
Zwischen all den Besuchern und Fans war Wolfgang Joop kaum mehr zu sehen. Alle wollten ein paar Worte oder eine Umarmung mit dem Mann des Abends, dem Potsdamer Wunderkind, austauschen. Er konnte sich also nur langsam bewegen über die 450 Quadratmeter des Kunstraum Potsdam, wo von diesem Samstag an sein Lebenswerk mit über 200 Exponaten gezeigt wird.
Zum ersten Mal finden sich alle Disziplinen des Multitalents Joop für den Betrachter zusammen: Die Ausstellung führt durch Zeichnungen, Gemälde, Grafiken, Skulpturen, Fotografien und natürlich Modedesigns – darunter einige, die noch nie öffentlich zu sehen waren. Sie erzählen vom facettenreichen Leben und Schaffen Joops, der bis heute nicht davor zurückschreckt, sich neu zu erfinden.
Angefangen mit einem Ölgemälde aus den Siebzigerjahren, eine frühe Fingerübung in Präzision und Stilisierung, die später auch seine Mode prägten: Damals, während seines Studiums in Braunschweig, kopierte Joop Stillleben nach alten Meistern und ließ sie durch Techniken wie Staub, Hitze oder künstliche Patina gealtert wirken. Mit dem Verkauf dieser Werke finanzierte er sich sein Studium.

Von dort spannt sich der Bogen: Zunächst zu den ersten Kollektionen für sein gleichnamiges Label in den Achtzigerjahren und den farbenfrohen Entwürfen seiner Marke „Wunderkind“ aus den Nullerjahren, die auf großformatigen Leinwänden inszeniert werden. Dann folgen die Zeichnungen, textilen Installationen und skulpturalen Arbeiten seiner Ausstellung „Wolfgang Joop. Eternal Love“, mit der er sich unter anderem 2011 auf der 54. Kunstbiennale in Venedig als bildender Künstler präsentierte. Diese spätere Phase seines Schaffens zeigt sich vergleichsweise farbreduziert, erzählt von Ewigkeit, Vergänglichkeit, dem Göttlichen und Irdischen – bringt also die philosophische Ader Joops zum Ausdruck, die er auch in Interviews und als Schriftsteller immer wieder betont.
„Transmitter und Zwischenwesen“
Als wiederkehrende Motive tauchen Engel und Affen auf. Die Engel schlüpfen aus weißen, marmornen Frühstückseiern. Die weibliche Affenbüsten sind aus schwarzem Marmor gefertigt, ihre Köpfe zieren goldene Rosenblütenkränze – Sinnbilder, die Joops Leben wie kaum etwas anderes durchziehen.

In Interviews erzählt er oft, dass Engel ihn schon immer in seiner Fantasie begleitet hätten. Bereits als kleiner Junge habe er Engel gezeichnet und sei regelmäßig zur Orangerie von Friedrich Wilhelm IV. im Schlosspark Sanssouci gegangen. Dort stehen zwei klassizistische Engel. Er habe sie am Fuß berührt und sich etwas gewünscht. Auch auf dem Grab seiner Eltern platzierte der gebürtige Potsdamer eine der Engel-Skulpturen, die zuvor in seinem Garten gestanden hatte.
Dem RBB sagte Joop kürzlich, Engel und Affen seien für ihn „Transmitter und Zwischenwesen, die mit einer Botschaft versehen sind, die wir empfangen können oder nicht“ – Affen, weil sie dem Menschen so ähnlich seien, Engel als Boten. Er habe die Idee gehabt, die Ausstellung „Affenliebe“ zu nennen, eine Hommage an seine Großmutter: „Als Kind war ich etwas schüchtern und flüchtete mich ganz schnell auf den Schoß meiner Großmutter mit der großen Kittelschürze. Und dann sagte sie: ‚Ach Wölfi, was willst du denn von mir? Das ist doch schon Affenliebe.‘“
Seit 2003 lebt er wieder in Potsdam
Am Freitagabend wurde einmal mehr deutlich, dass Wolfgang Joop keine Hemmungen hat, seine Emotionen zu zeigen. Mit Tochter Jette auf der einen und Tochter Florentine auf der anderen Seite zeigte er sich bei den Ansprachen des Abends sichtlich ergriffen, dankte für all die Liebe und betonte, er habe immer gesagt, dass er „from Potsdam“ sei. Seit 2003 lebt er nach Jahren in Hamburg und New York wieder dauerhaft in seiner Heimat, seit 2017 sogar wieder auf Gut Bornstedt, dem Familiensitz seiner Kindheit, gemeinsam mit seinem Lebenspartner Edwin Lemberg, seiner früheren Frau Karin, Tochter Florentine und Enkeln.

Lemberg, ursprünglich Fotograf, ist seit den frühen Achtzigerjahren Joops Lebensgefährte und seit 2013 offiziell mit ihm verpartnert. Lemberg war lange Jahre auch beruflich an Joops Seite tätig, unterstützte ihn bei Projekten wie dem Label Wunderkind und wirkt nun als Kurator der Ausstellung. Dafür wurde tief ins Familienarchiv geblickt. Viele der Mode-Skizzen weisen Knicke auf – ganz bewusst. Mike Geßner, künstlerischer Leiter des Kunstraum Potsdam, sagt: „Es war uns wichtig, dass die Arbeiten pur gezeigt werden, ohne Glas und ohne Schutzfilm. Dadurch entsteht auch etwas Flüchtiges.“
Es war der Stadt Potsdam wie auch der Familie Joop ein besonderes Anliegen, das Lebenswerk des „Wunderkinds“ erstmals in der Heimatstadt zu präsentieren. Ein Unterfangen, das nicht ohne Hürden verlief: Ursprünglich sollte die große Retrospektive schon vor einem Jahr stattfinden – ein Geschenk des damaligen Potsdamer Oberbürgermeisters Mike Schubert zum 80. Geburtstag Joops. Doch die Räumlichkeiten des Potsdam Museum erwiesen sich als zu klein, die Eröffnung wurde kurzfristig abgesagt.
Nun konnte Joops großer Wunsch doch Wirklichkeit werden. Florentine, die selbst als Autorin und Malerin tätig ist, zeigte sich erleichtert. Die Ausstellung sei der Herzenswunsch ihres Vaters gewesen, dafür habe er in den letzten Jahren gekämpft. So sei er schon immer gewesen: Was er sich vorgenommen habe, das setze er auch um. Geßner bekräftigte: „Von hier aus kann die Ausstellung um die Welt wandern.“ „From Potsdam“ in die große weite Welt – ganz wie das Potsdamer Wunderkind selbst.