
Die erste eigene Mietwohnung bleibt vielen Menschen unvergesslich. Einerseits, weil die paar Quadratmeter im Parterre nicht viel mehr als ein Loch waren, andererseits, weil man als junger Mensch in diesem „Loch“ neue Freiheit schnuppern durfte. Der erste eigene Wohnungsschlüssel ist der Schritt in die Selbständigkeit. Junge Leute ziehen häufig um, es folgen größere Wohnungen, mit Partnerin oder Partner und häufig Kindern. Es gehörte zum Aufstiegsversprechen Deutschlands, dass Menschen einen passenden Ort zum Leben finden, ohne lange zu suchen oder sich finanziell zu übernehmen. Und wer es schwer hatte im Leben, für den gab es wenigstens genügend günstigen Sozialwohnraum.
Dieses Versprechen gilt nicht mehr. Das betrifft auch Menschen mit mehr Geld, also solche, die eine Immobilie kaufen möchten. Im Münchner Stadtteil Lehel kostet eine derzeit angebotene Altbauwohnung mit 120 Quadratmetern 1,7 Millionen Euro. Für schlanke Reihenmittelhäuser im Speckgürtel Münchens oder Frankfurts wird schon mal eine Million Euro verlangt. Ein Normalverdiener kann sich das heutzutage von seinem Gehalt nicht mehr leisten. Das war in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg und noch bis in die 1980er-Jahre anders: Ordentlich verdienende Facharbeiter und Büroangestellte kauften ein Haus und konnten es abbezahlen. Heute benötigen die allermeisten Menschen einen Lottogewinn, ein größeres Erbe oder den glücklichen Umstand, schon lange in einer Wohnung mit niedriger Bestandsmiete zu leben, um sich diesen Traum zu erfüllen. Die Bestandsmiete ist oft günstiger, weil ältere Verträge mit niedrigeren Mietpreisen abgeschlossen wurden. Wer oft umzieht, muss daher mit deutlich höheren Mietkosten für den gleichen Wohnraum rechnen. Meist sind die Löhne nicht so stark gestiegen, dass sie die Mehrkosten für die Miete und Nebenkosten ausgleichen könnten.
Insbesondere Menschen mit niedrigem Einkommen oder befristeten Arbeitsverträgen suchen in Ballungszentren monatelang nach einer Wohnung. Ein sicheres Einkommen, ein makelloser Schufa-Score und ein guter persönlicher Eindruck helfen, sind aber keine Garantie. Gleichzeitig sind mehr als 500 000 Menschen in Deutschland wohnungslos. Sie hausen in Alkoven bei Freunden, Verwandten oder Eltern, weil sie keine finanzierbare Wohnung finden. 9,6 Millionen Menschen – 11 Prozent der Bevölkerung – leben nach Angaben von Wissenschaftlern in überbelegten Wohnungen. Das sind 1,1 Millionen mehr als vor fünf Jahren. In Mittel- und Großstädten wohne mittlerweile jeder Sechste mit zu vielen Menschen in einer zu kleinen Wohnung, heißt es in einer Studie der Forschungsinstitute ARGE und Regiokontext. „Es gibt ‚Zwangs-WGs‘ nach Scheidungen. Fremde wohnen unter einem Dach, die eigentlich nicht zusammenleben wollen. Junge Erwachsene ziehen wieder zu den Eltern zurück. Gerade in Großstädten hoppen viele von einer Untermiete zur anderen“, sagt der Leiter von Regiokontext, Arnt von Bodelschwingh. „Viele fahren stundenlang und kilometerweit zum Arbeitsplatz. Sie zahlen die Spritkosten extra, weil sie sich die Miete in der Stadt, in der sie arbeiten, nicht mehr leisten können. Das alles passiert, wenn Lohn und Wohnkosten bei massivem Wohnungsmangel immer krasser auseinanderlaufen“, so das Fazit von Arnt von Bodelschwingh.
Menschen haben das Recht auf eine angemessene Wohnung
Diese Misere ist sozialer Sprengstoff in einer ohnehin polarisierten Gesellschaft. Dabei ist das Recht auf eine geeignete Wohnung in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 verankert. Auch die Bayerische Verfassung regelt, dass jeder Bewohner Bayerns Anspruch auf eine angemessene Wohnung hat. Doch es wird deutlich weniger gebaut, als nötig ist. Die Zahl der Sozialwohnungen ist seit 1990 von rund drei Millionen auf eine Million gesunken. Für die Ärmsten fehlt Wohnraum, während sich die wohlhabende Klientel bei Besichtigungen um den Zuschlag kloppt. Es ist eine Schlacht, die oft nur durch Hintertürgeschäfte wie obszön hohe Abschlagszahlungen, Kostenübernahmen für notwendige Renovierungen oder zusätzlich preissteigernde Bieterwettbewerbe bei Eigentumsobjekten zu gewinnen ist. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagt daher zu Recht, bezahlbares Wohnen sei „eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit“. Sein Lösungsvorschlag: „Bauen, bauen, bauen.“ Doch das ist hierzulande gar nicht so leicht.
Der Wohnungs- und Hausbau in Deutschland dauert zu lange. Die bürokratischen Vorschriften vor allem für das Baunebenrecht sind monströs. Da geht es um die Frage, inwieweit das Bauvorhaben mit dem Klimaschutz, Emissionsschutz, Lärmschutz, Bodenschutz, Gewässerschutz, Naturschutz und Artenschutz vereinbar ist. Die Prüfung durch die Behörden dauert ewig. In China geht das rasant. Dort stand ein 10-stöckiges Wohnhaus binnen 28 Stunden. Ein effektiver Modulbau und vorgefertigte Bauelemente machten diesen Rekord möglich. Warum wird das nicht auch in Deutschland umgesetzt?
Die neue Bundesregierung möchte immerhin den Genehmigungsprozess für Wohnprojekte beschleunigen, auch der soziale Wohnungsbau soll gefördert werden. Gut so. Dabei sollten die Verantwortlichen den Blick nach Wien richten. Dort leben rund 60 Prozent der Bevölkerung in Gemeindewohnungen oder geförderten Wohnungen, denn auch viele Durchschnittsverdiener haben Anspruch darauf. Das Modell setzt gezielt auf einen sozialen Einkommensmix, um das gesellschaftliche Miteinander zu stärken. Das verhindert eine Segregation, wie sie in manchen Großstädten Europas zu beobachten ist.
Wohnungsmangel ist sozialer Sprengstoff
Das Elend auf dem Wohnungsmarkt hat auch verteilungspolitische Konsequenzen. Deutschland gehört europaweit zu den Ländern mit der größten Vermögensungleichheit. Ein Hauptgrund ist, dass hierzulande nur rund 45 Prozent der Menschen Wohneigentum besitzen. Der EU-Durchschnitt liegt bei rund 70 Prozent. In osteuropäischen Ländern wie Rumänien, Ungarn, Kroatien und Polen liegt die Eigentumsquote oft über 90 Prozent. Dort wurde nach dem Ende des Sozialismus staatlicher Wohnraum privatisiert, sodass die Mehrheit der Bevölkerung zu Eigentümern wurde. Die Bundesregierung muss den Immobilienbesitz auch für einkommensschwache Gruppen erleichtern. Jede noch so kleine Wohneinheit bringt dem Eigentümer Freiheit und Sicherheit. Zudem verhindert Wohneigentum Altersarmut, weil die Besitzer nach Tilgung der Hypotheken keine Miete mehr bezahlen müssen.
Um die Konsequenzen des Wohnraummangels zu lindern, braucht Deutschland auch einen besseren Nahverkehr: Rund fünf Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland legen jeden Tag 50, manche mehr als 100 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz zurück. Das sind mehr als eine Million Menschen. Pendeln stresst. Für Autofahrer sind die Straßen zu Stoßzeiten verstopft und die Parkplätze knapp. Auf dem Land ist der Wohnraum zwar billiger, aber es fehlt zu oft die geeignete Anbindung des Nahverkehrs in die Großstädte. Und selbst dort, wo S-Bahnen und Regionalzüge eingerichtet sind: Die Verlässlichkeit vieler öffentlicher Verkehrsmittel leidet unter den Baustellen, siehe Stuttgart 21.
Die Mietpreisbremse löst das Grundproblem nicht
Ein viel diskutiertes Instrument zur Senkung der Wohnkosten ist die Mietpreisbremse. Sie verhindert, dass Neuvertragsmieten deutlich über die ortsübliche Vergleichsmiete hinaus steigen. Die Maßnahme macht Wohnraum tendenziell bezahlbarer. Das eigentliche Problem, der Wohnraummangel, wird allerdings damit nicht gelöst. Zudem haben Vermieter und Investoren durch die Mietpreisbremse weniger Anreize, in ihre Immobilien zu investieren. Effektiver als eine Mietpreisbremse wäre es, wenn einkommensschwache Haushalte einen höheren Wohngeldzuschuss erhielten.
Es gibt zudem Vorschläge, die Wohnflächen effektiver zu nutzen. Die Bundesregierung könnte gesetzlich Druck machen nach dem Vorbild der Schweiz. Viele Schweizer Wohnungsgenossenschaften verlangen von ihren Mietern, dass eine Vierzimmerwohnung von mindestens drei Menschen bewohnt werden muss. Anderenfalls ist eine Unterbelegungsabgabe zu zahlen, teilweise ist diese einkommensabhängig. Manche Genossenschaften in der Schweiz verpflichten ihre Mieter nach einer Frist sogar, die unterbelegte Wohnung zu verlassen.

:Oma soll umziehen
Ältere Menschen leben oft allein in vier Zimmern oder in Einfamilienhäusern. Das verknappt den Markt für junge Familien. Lässt sich das nicht besser verteilen? Höchste Zeit für ein paar Vorschläge.
Man versteht den Frust vieler Wohnungssuchenden, wenn in Villen und großen Wohnungen nur ein oder zwei Menschen leben. Aber ist es wirklich Sache der Politik, dafür zu sorgen, dass niemand alleine auf 200 Quadratmetern wohnt, sondern untervermietet? Natürlich, manche Menschen haben so viel Geld, dass sie sich alles leisten können. Da kann man schon neidisch werden und fordern: Die sollen teilen und abgeben. Doch viele Immobilienbesitzer mussten eine große Portion Mut aufbringen, das finanzielle Risiko eines Hypothekenkredits einzugehen. Manchmal wird der Mut belohnt, manchmal nicht, denn es ist kein Naturgesetz, dass Immobilienpreise immer steigen. Der aktuelle Immobilienboom begann 2011. Zwischen 1990 und 2010 herrschte in Deutschland eine Preisflaute, wunderbare Wohnungen in besten Lagen waren günstig zu haben – das lässt sich selbstverständlich nur im Rückblick sagen.
Soll es einen Zwang zur Untervermietung geben?
Auch einige alte Menschen leben in beliebten Großstadtvierteln in großen Häusern oder Wohnungen. Sie hätten Platz, um unterzuvermieten. Doch es gibt Vorbehalte und Ängste davor, es zu tun. Nicht jeder Mieter ist ein netter Zeitgenosse. Im Alter wird man vorsichtig. Die älteren Menschen könnten natürlich umziehen in eine kleinere altersgerechte Wohnung. Allerdings verlassen Menschen den Ort, an dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht haben, verständlicherweise nur ungern. Hier Druck auszuüben, verbietet sich. Vereinzelt mag es Tauschmöglichkeiten geben, wenn ein Nachbar mit Familie den alten Menschen die kleinere Wohnung überlässt und sich dafür in das Haus einmietet. Aber auch damit lässt sich der Wohnungsmangel in den Großstädten nicht beheben.
Was bleibt, sind viele kleine Schritte: der Umbau leer stehender Büro-, Gewerbe- oder Kasernengebäude zu Wohnraum. Die Förderung kleiner, flexibler Wohneinheiten wie Mikroapartments, Einliegerwohnungen und Gemeinschaftswohnprojekten.
Das Problem lässt sich nicht schnell lösen
Es muss vielleicht auch nicht immer das populäre Ballungszentrum sein. In Bremen kostet die mit München-Lehel vergleichbare Altbauwohnung statt 1,7 Millionen Euro rund 400 000 Euro, in der Görlitzer Altstadt ist sie noch günstiger zu haben. Deutschland ist groß. Wer woanders als in München oder Berlin leben möchte und einen Job findet, kann sich seine Träume leichter erfüllen.
Man darf sich nichts vormachen. Das Wohnungsproblem in Deutschland ist hartnäckig. Es wird viele Jahre dauern, bis ein größeres Angebot für Entspannung am Markt sorgt. Dass allerdings die Miet- und Kaufpreise für Immobilien in der Innenstadt von München oder anderen Metropolen sinken werden, ist nicht zu erwarten. Es gibt genügend wohlhabende Menschen, die die Nachfrage nach dem knappen Angebot und damit auch das Preisniveau hoch halten werden. Das gilt selbst, wie Deutschland es gerade erlebt, in einer Rezession.