Wofür gibt es die SPD eigentlich noch?

Die SPD ist in der Regierung, aber die Stimmung bei vielen Genossen war vor dem Parteitag trotzdem mies. Irgendwie sind sie schon wieder reingerutscht in eine Koalition, die sie nicht wollten – und jetzt haben sie Angst, dass es ihnen mit Friedrich Merz ergehen wird wie mit Angela Merkel: Die SPD arbeitet routiniert, erzielt sogar einige Erfolge, aber das Herz ihrer Wähler erwärmt sie nicht.

Schon in Olaf Scholz’ versehentlicher Kanzlerschaft wurde deutlich, dass Regieren allein noch nicht die tiefe Strukturkrise löst, in der die SPD seit Langem steckt. Denn die entscheidende Frage beantwortet sie seit Jahren nicht: Was will sie eigentlich sein?

Partei der Arbeiter? Friedenspartei? Funktionspartei?

Die Partei der Arbeiter (die es so schon lange nicht mehr gibt), die für günstige Mieten kämpft und Wohnungen baut, damit alleinerziehende Mütter und junge Familien in Großstädten gut leben können? Die „Friedenspartei“ Willy Brandts, nach dem sich viele SPD-Linke umso brennender verzehren, je fieser die Realpolitik wird, und darüber vergessen, dass Brandt sich im Gegensatz zu ihnen keinerlei Illusionen über Russland machte? Oder begnügt sich die SPD damit, eine Funktionspartei zu sein, die verlässlich Regierungsmehrheiten organisiert und von allem ein bisschen macht, dabei aber erst beliebig und dann obsolet wird?

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Selbst hartnäckigen SPD-Wählern geht es doch so: Sie machen weiter brav ihr Kreuz, aber wofür sie da stimmen, wissen sie nicht. Die Schwarzen haben die Migration, die Grünen die ökologische Transformation, die Linken immerhin Klassenkampf-Rhetorik und coole Memes. Und was hat die SPD?

Die SPD ist in vielem widersprüchlich, weil Anspruch und Wirklichkeit in kaum einer Partei so harsch kollidieren. In der Migrationspolitik weigerte sich der linke Flügel trotzig, Zuwanderung als zentrales innenpolitisches Thema zu begreifen, bis die SPD sogar in ihrem früheren Stammland Nordrhein-Westfalen etliche Wähler an die AfD verlor. Auch jetzt lehnen viele Genossen Merz’ schärferen Migrationskurs noch ab, während die SPD-Spitze ihn vor der Wahl erst verdammte und jetzt zähneknirschend mitträgt.

In der Ukrainepolitik vernebeln alte Friedensträume und noch ältere Seilschaften aus der „Russland-Connection“ den Blick auf die Unbarmherzigkeit des Diktators Putin. Das „Manifest“, in der ein paar Altvordere um Rolf Mützenich und Ralf Stegner eine „behutsame“ Annäherung an Russland forderten und den „Angriff der NATO auf Serbien 1999“ kritisierten, bewies abermals, wie entrückt Gesinnungs- und Verantwortungsethiker in der SPD nebeneinanderher regieren. Das „Manifest“ war eine Kampfansage an Parteichef Klingbeil und Verteidigungsminister Pistorius, von denen es schnell als Randmeinung abgetan wurde. Dabei dürfte es eine Stimmung beschreiben, die bei vielen an der Basis verbreitet ist. Oder, Thema Wehrpflicht: Pistorius kann sie sich vorstellen, die SPD-Linken nicht. Wofür steht die Partei also?

Willy-Brandt-Statue in der SPD-Parteizentrale in Berlin
Willy-Brandt-Statue in der SPD-Parteizentrale in BerlinFrank Röth

Viele machen Klingbeil für das Wahldebakel verantwortlich

Momentan eher für den konservativen Seeheimer Kreis als für die Parlamentarische Linke. Der Seeheimer Lars Klingbeil ist als Parteivorsitzender und Vizekanzler so mächtig wie lange kein Genosse mehr. Er sieht die Zukunft der SPD in der Mitte. Doch an der Basis schwelt der Richtungsstreit weiter. Viele (linke) Genossen haben nicht vergessen, wie schnell Klingbeil vom Merz-Kritiker zum Merz-Verteidiger wurde – und wie vehement er nach dem Wahldebakel, für das sie ihn mitverantwortlich machen, die Parteispitze und den Ministerposten für sich beanspruchte. Auch sonst steht Klingbeil unter hohem Druck. Als Finanzminister ist er das Gesicht der Verschuldung. Die SPD-Anhänger dürften es auch ihm persönlich anlasten, wenn das Geld nur zu mehr Waffen, aber nicht bald zu intakten Brücken oder Schulen mit Internet führt.

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Umso heikler ist für ihn die Konkurrenz durch Bärbel Bas, die den linken Parteiflügel befrieden soll. Bas war als Bundestagspräsidentin hoch angesehen; außerdem kommt sie nicht aus dem Hannoveraner Schröder-Dunst wie Klingbeil, sondern aus dem Ruhrgebiet. Jüngst sorgte sie mit dem Vorstoß für Aufruhr, Beamte und Selbständige sollten in die Rentenversicherung einzahlen – das gefiel den Parteilinken. Als Sozialministerin will Bas das Bürgergeld in eine „neue Grundsicherung“ umbauen und Sozialleistungsbetrug stärker bestrafen – auch das ein Tonfall, den man aus der SPD nicht oft gehört hat.

Die Ratlosigkeit vieler Genossen ist damit aber noch nicht überwunden. Die SPD, zu dem Schluss kam kürzlich eine interne Kommission, müsse wieder mehr Bewegungspartei sein als nur eine „professionalisierte Wahlpartei“. Wer sich bewegen will, muss aber wissen, wohin.