
Deutschland bröckelt. Der Befund ist wenig strittig. Aber dann ist auch schon Schluss mit dem parteiübergreifenden Konsens. Dass Union und SPD ihr auf Krediten fußendes Sondervermögen für Investitionen als entscheidendes Wendemanöver rühmen, kann wenig überraschen. Ebenso wenig, dass die Opposition das 500-Milliarden-Euro-Paket auf dem Verschiebebahnhof sieht. Das ist dem parlamentarischen Rollenspiel geschuldet.
Aussagekräftiger ist die Einschätzung unabhängiger Beobachter. Dazu gehört die Deutsche Bundesbank. Sie schreibt in ihrem Monatsbericht August nüchtern, dieses Jahr sei über das neue Sondervermögen eine Kreditaufnahme von 37 Milliarden Euro geplant. Dem stünden zusätzliche investive Infrastrukturausgaben des Bundes von 2,5 Milliarden Euro gegenüber.
Das entspricht einer Quote von gerade einmal sieben Prozent. Gleichwohl hält der Bund die Vorgabe für die Zusätzlichkeit ein – zumindest in seiner eigenen Rechnung. Das Finanzministerium kommt im Kernhaushalt auf eine Investitionsquote von zehn Prozent, indem es den Teil der sicherheitspolitischen Ausgaben aus dem Bundeshaushalt herausrechnet, der an der Schuldenregel vorbei finanziert wird (sogenannte Bereichsausnahme).
Bei den Bundesländern ist nicht mehr von Zusätzlichkeit die Rede, das haben ihre Regierungen erfolgreich aus dem entsprechenden Gesetzentwurf herausverhandelt. Von den 500 Milliarden Sonderschulden erhalten die Länder 100 Milliarden Euro. Das Geld wird in Anlehnung an den Königsteiner Schlüssel verteilt, der zumeist herangezogen wird, wenn der Bund Wohltaten über das Land, oder besser: die Länder, streuen will.
In diesem Fall heißt das: Nordrhein-Westfalen bekommt als bevölkerungsreichstes Land über zwölf Jahre gut 21 Milliarden Euro, Bayern fast 16 Milliarden Euro, Baden-Württemberg mehr als 13 Milliarden Euro. Es folgen Niedersachsen mit rund 9,5 Milliarden Euro und Hessen mit etwa 7,4 Milliarden Euro. Am Ende der Verteilungskette findet man Mecklenburg-Vorpommern (nicht ganz 1,9 Milliarden Euro), das Saarland (knapp 1,2 Milliarden Euro) und Bremen (0,9 Milliarden Euro).
Ursprünglich war vorgesehen, dass mindestens 60 Prozent der Mittel an die Kommunen weitergeleitet werden sollten. Kommunale Spitzenverbände hatten sogar eine Quote von 75 Prozent gefordert. Dafür nennen sie zwei Gründe: Zum einen entfällt auf die Gemeinden der Großteil der öffentlichen Investitionen, zum anderen bekommen die Bürger vor Ort den Verfall der Infrastruktur direkt zu spüren.
Geld für Luftschlösser oder fürs Fundament?
Thorsten Rudolph, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, brachte es vor der abschließenden Abstimmung des „Länder-und-Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetzes“ auf die Formel: Die 100 Milliarden Euro flössen nicht in Luftschlösser, sondern in das Fundament des Landes: Ein Landkreis könne endlich seine Schlaglochpisten wieder in Straßen verwandeln, eine Stadt ihre maroden Schulen zu modernen Lernorten machen, eine Gemeinde ihr Feuerwehrhaus sanieren und die Sporthalle so dämmen, dass sie nicht den Rhein mitheize.
Aber eine feste Quote zugunsten der Kommunen sucht man nun in dem Gesetz vergebens, das in Kürze in Kraft treten wird, nachdem es der Bundesrat vergangenen Freitag gebilligt hat. Geblieben ist nur die Vorgabe: „Die Länder legen jeweils die Höhe des Anteils der dem jeweiligen Land zustehenden Mittel fest, der für die kommunale Infrastruktur zu verwenden ist.“ Bei der Verteilung der Mittel sollen die Länder die Bedürfnisse finanzschwacher Kommunen besonders berücksichtigen.
Vergleichsweise großzügig gegenüber ihren Kommunen zeigt sich die baden-württembergische Landesregierung. Sie will von insgesamt 13,1 Milliarden Euro, die dem Land in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen, 8,75 Milliarden Euro an die Kommunen weiterleiten. Das entspricht einem Schlüssel von zwei zu eins. Das Land benötige seine Mittel für eigene Investitionen, zum Beispiel für die Sanierung der Universitätskliniken, der Hochschulen, aber auch für Verkehr und Mobilität, argumentiert die Regierung in Stuttgart. Sie verspricht, dass ihre Kommunen frei entscheiden können, in welche Infrastrukturbereiche sie investieren. Eine Verrechnung mit Förderprogrammen finde nicht statt. Darüber hinaus sagt das Land seinen Kommunen für dieses und nächstes Jahr zusätzlich 550 Millionen Euro über den kommunalen Finanzausgleich zu.

Andere Landesregierungen sind da zurückhaltender. Zu Brandenburg hört man, die Landesregierung habe 500 Millionen Euro von insgesamt 3 Milliarden Euro für die Gesundheitsversorgung und Digitalisierung reserviert. Der Rest solle 60 zu 40 aufgeteilt werden. Unter Berücksichtigung des Vorababzugs kommt man damit auf eine Quote von 50 zu 50. Im Falle Niedersachsens ist die Rede von einer pauschalen Quote zugunsten der Kommunen von 50 Prozent, mit ergänzend aufgestockten Förderprogrammen landet man dann dort bei 60 zu 40. In Nordrhein-Westfalen ist die Verteilung dem Vernehmen nach noch offen.
Der Städte- und Gemeindebund kritisiert, dass keine feste und verlässliche Quote für die Weitergabe der Fördermittel des Bundes durch die Länder an die Kommunen festgelegt wurde. Die öffentliche Infrastruktur sei in großem Umfang kommunal getragen, sagte Hauptgeschäftsführer André Berghegger der F.A.Z. „Wenn man die öffentlichen Investitionen in den Flächenbundesländern zusammenrechnet, so liegt der kommunale Anteil bei rund 80 Prozent und mehr.“ Diese Investitionsquote sollte bei den weiteren Verhandlungen als Richtschnur gelten. „Wir fordern mindestens 75 Prozent für die Kommunen.“
Aktuell lägen die Zusagen bei um die 60 Prozent. „Zum Teil handelt es sich hierbei aber nicht einmal um Finanzmittel, die den Kommunen auch tatsächlich in Gänze zur freien Verfügung stehen. Andere bereits zugesagte Projektgelder werden mit verrechnet.“ Das zeuge nicht von einer fairen und verlässlichen Politik, kritisiert Berghegger. „Wir brauchen mehr Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Kommunen. Vor Ort weiß man, wo wie viel investiert werden muss.“ Die Weiterleitung der Mittel müsse möglichst bürokratiearm verlaufen. „Im besten Fall einigen wir uns auf Budgets für die Städte und Gemeinden, über deren Verwendung sie vor Ort entscheiden können.“
Unabhängig davon, ob die Kommunen 75, 60 oder 50 Prozent (also 75, 60 oder 50 Milliarden Euro über zwölf Jahre) erhalten, stellt sich die Frage, inwieweit sie die Mittel für zusätzliche Investitionen nutzen. Sie hatten vergangenes Jahr ein Rekorddefizit von 24,8 Milliarden Euro. Wer gesetzlich verpflichtet ist, mit ausgeglichenen Haushalten zu wirtschaften, wird zwangsläufig nach Wegen suchen, wie er seine Löcher stopfen kann, bevor er Mittel in neue Projekte steckt.
So droht auch auf kommunaler Ebene ein Verschiebebahnhof. Damit fließt ein noch größerer Teil der mit Sonderkrediten finanzierten Mittel nicht in zusätzliche Investitionen, als der Blick allein auf die vom Bund verantworteten Mittel vermuten lässt.