WM-Teilnehmer 2026: Früher Urlaubsziel, heute Fußballnation

An der WM in Katar nahmen 32 Nationen teil, im kommenden Jahr in den USA, Kanada und Mexiko werden es 48 sein. Diese Reform, die der Fifa-Präsident Gianni Infantino wollte, sehen viele kritisch. Zu viele Spiele, zu niedriges Niveau, fürchten sie. Andere finden sie gut. Nicht nur, aber auch dank ihr haben sich einige Nationen qualifiziert, die schon lange nicht mehr oder noch nie dabei waren.

Schottland

Man tritt den Schotten nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass sie keine Brasilianer sind. Den technisch ausgefeiltesten Fußball spielten sie noch nie, dafür hauen sie sich in jeden Zweikampf. Nach dem entscheidenden 4:2 gegen Dänemark muss man diese Erzählung allerdings revidieren. Die Schotten schossen ein Traumtor nach dem anderen: Zunächst traf Scott McTominay per Fallrückzieher. In der Nachspielzeit schlenzte erst Kieran Tierney höchst präzise und anschließend überlupfte Kenny McLean von der Mittellinie den dänischen Torwart. Damit stand die erste WM-Quali seit 28 Jahren fest. „They will drink Glasgow dry tonight“, rief der TV-Kommentator. Man tritt den Schotten sicher nicht zu nahe, wenn man behauptet, dass sie das nicht nur in Glasgow, sondern auch in Edinburgh geschafft haben.

Die Schotten nach dem 4:2 gegen Dänemark © Ian MacNicol/​Getty Images

Curaçao

Natürlich heißt die Mannschaft The Blue Wave. Die Farbe ist immer da, sei es im Wasser der Karibik oder in dem teuflischen Likör. Mit einem 0:0 im entscheidenden, dramatischen Spiel auf Jamaika, in dem sie drei Alutreffer des Gegners und einen zurückgenommenen Elfer in der 95. Minute überstehen mussten, hat sich Curaçao nun zum ersten Mal für eine WM qualifiziert. Als kleinstes Land in der Geschichte. Nur etwa 150.000 Menschen leben auf der Insel, in etwa so viel wie in Paderborn. Ein bisschen nachgeholfen haben sie aber. Dem Fußballverband Curaçaos kam zupass, dass viele Niederländer Wurzeln auf der Karibikinsel haben. Fast alle Spieler wurden in den Niederlanden geboren. Auch der Trainer. Dick Advocaat kann womöglich selbst nicht mehr aufzählen, wo er überall schon Trainer war (unter anderem in Mönchengladbach). Jetzt hat er den Traumjob schlechthin. Das entscheidende Spiel schaute er wegen einer familiären Angelegenheit allerdings in seinem Heimatland. Advocaat, 78 Jahre alt, wird im kommenden Jahr Otto Rehhagel als ältesten WM-Trainer ever ablösen.

Nach einem 0:0 gegen Jamaika qualifizierte sich die Karibikinsel Curaçao erstmals für eine Fußball-WM. © RICARDO MAKYN/​AFP/​Getty Images

Usbekistan

Gut möglich, dass in den kommenden Jahren Utkir zum beliebtesten Jungennamen in Usbekistan, vielleicht sogar in ganz Zentralasien, wird. Jedenfalls ist Utkir Yusupov seit dem entscheidenden Qualifikationsspiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate im Juni ein Nationalheld. Reaktionsschnell warf sich der Torwart der usbekischen Nationalmannschaft in der 9. Minute der Nachspielzeit in einen saftigen Schuss. Er verhinderte damit einen Sieg der Emirate – und hielt die usbekische WM-Qualifikation fest. Es ist die erste, nicht nur für Usbekistan, sondern für ganz Zentralasien. Und das nach einigen knappst und äußerst unglücklich verpassten Chancen. Da war der wegen eines Schiedsrichterfehlers annullierte Sieg und das Ausscheiden wegen der Auswärtstorregel in der Qualifikation zur WM 2006; und dann das mit 8:9 verlorene Elfmeterschießen in der Qualifikation acht Jahre später. Jetzt ist die Teilnahme sicher. Uffbekistan.

Utkir Yusupov bei einem Spiel Usbekistans gegen Thailand © KARIM JAAFAR/​AFP/​Getty Images

Kap Verde

Am 13. Oktober mussten die Menschen in Kap Verde nur einen halben Tag arbeiten, das hatte der Präsident der Inselgruppe im Westen Afrikas, José Maria Neves, veranlasst. Denn das entscheidende Qualispiel gegen Eswatini um 15 Uhr sollten so viele Menschen wie möglich sehen können. Die Kapverden gewannen 3:0 und qualifizierten sich, dem achtmaligen WM-Teilnehmer Kamerun blieb nur der zweite Gruppenplatz. Die Kapverden sind erstmals bei einer WM dabei, und mit etwa 500.000 Einwohnern der kleinste Teilnehmer aus Afrika. Geschafft haben sie das mit einer ausgefeilten Rekrutierungsstrategie, ähnlich der Curaçaos: Seit einigen Jahren sucht die frühere portugiesische Kolonie weltweit gezielt nach Spielern mit kapverdischen Wurzeln. Sie fanden zum Beispiel den gebürtigen Franzosen Logan Costa, den Star der aktuellen Mannschaft, der im Sommer für 18 Millionen Euro zum FC Villareal wechselte. Der ehemalige Nationalspieler und heutige Vereinstrainer auf den Kapverden, Eduardo Fernandes Pereira Gomes, schrieb der ZEIT nach der erfolgreichen Quali: „Kap Verde war bisher nur ein Urlaubsziel. Seit gestern ist es auch eine Fußballnation.“

Einen ausführlichen Text zum WM-Teilnehmer Kap Verde lesen Sie hier.

Kapverdische Fans beim Public Viewing © QUEILA FERNANDES/​AFP/​Getty Images

Jordanien

Der in München geborene Ahmad Assaf hat für verschiedene Vereine in der Regionalliga gespielt: VfB Eichstätt, Türkgücü München, FC Eilenburg, Bremer SV. Inzwischen spielt er für den al-Hussein Sport Club in der ersten jordanischen Liga – und im nächsten Jahr, wenn für ihn alles gut läuft, bei der WM. Denn Assaf und Jordanien haben sich erstmals für eine WM qualifiziert, als Gruppenzweiter hinter Südkorea und vor dem Irak. Früher fuhren nur vier Nationen aus Asien zur WM, nun mindestens acht. Davon profitierte Jordanien. Assaf sagte dem Magazin 11 Freunde, nach der geschafften WM-Quali sei die Mannschaft im Privatflugzeug des Kronprinzen Hussein bin Abdullah zurück in die Hauptstadt Amman geflogen. „Jordanien ist ein fußballbegeistertes Land, und wir haben mit der Qualifikation vielen Menschen einen großen Traum erfüllt.“

Jordanische Fans während der WM-Quali beim Public Viewing in Amman © KHALIL MAZRAAWI/​AFP/​Getty Images

Österreich

Wien feiert Gregerl. In der 78. Minute staubte der eingewechselte Michael Gregoritsch zum 1:1 gegen Bosnien-Herzegowina ab. Das Unentschieden ermöglicht Österreich die erste WM-Teilnahme in diesem Jahrhundert. Gregoritsch kennt man, wie die meisten Spieler Österreichs, aus der Bundesliga. Er schoss für Bochum, Augsburg, Hamburg, Schalke und Freiburg Tore, inzwischen ist er im dänischen Brøndby gelandet. „Ich bin einer der langsamsten Spieler“, sagte er nach dem Spiel, vor Glück strahlend. Seine Mitspieler necken ihn, weil er nicht mehr das ideale Kampfgewicht hat. Also hob Gregoritsch sein Trikot, zeigte dem TV-Publikum eine Bauchfalte und sagte: „Manchmal ist es nicht nur wichtig, wie hoch der Fettwert ist.“

Michael „Gregerl“ Gregoritsch nach seinem entscheidenden Tor gegen Bosnien und Herzegowina © Christian Hofer/​Getty Images

Haiti

Als Haiti sich das letzte Mal für eine Fußballweltmeisterschaft qualifizierte, hätte die Mannschaft gegen Franz Beckenbauer und Co. spielen können – und zwar in Deutschland. 1974 war das, vor mehr als einem halben Jahrhundert. So weit kam es aber nicht: Haiti verlor alle drei Vorrundenspiele. Und zwar deutlich. Der damals einzige Torschütze Haitis, Emmanuel Sanon, ist bis heute der größte Fußballer, den das kleine Land (knapp elfmal das Saarland oder 3.851.540 Fußballfelder) hervorgebracht hat. Jetzt haben sich Les Grenadiers – wie passend – erneut eine Qualifikation erkämpft und damit die Chance, Sanon zu entthronen. Und natürlich: den ersten WM-Sieg der haitianischen Geschichte zu holen. À l’assaut!

Fußballfans feiern in Port-au-Prince. Das entscheidende Spiel gegen Nicaragua musste Haiti wegen der Unruhen im Land in Curaçao austragen. © CLARENS SIFFROY/​AFP/​Getty Images