Man erreicht einen der vielen Vergessenen kurz nach Feierabend, er ist auf dem Weg in seine Unterkunft in einem der Arbeiterviertel Dohas. Anil wundert sich, dass mal wieder jemand an einen wie ihn denkt.
Anil hat 2008 seine Heimat Nepal verlassen, um erst in den Vereinigten Arabischen Emiraten und später in Katar mehr Geld zu verdienen. Die Arbeitsmigranten von Katar und ihr Leid waren in Deutschland das große Thema vor der dortigen WM. Während der WM schon weniger. Und seit Lionel Messi im Lusail-Stadion, in dem der kenianische Sicherheitsmann John Njau Kibue vor einem Viertelfinalspiel von der Tribüne gestürzt und gestorben war, den goldenen Pokal hochhielt, spricht kaum mehr jemand über die Arbeiter in Katar. „Genau das hat uns immer Sorgen gemacht, dass nach der WM niemand mehr auf Katar schaut“, sagt Anil. „Dass wir dann um die paar Verbesserungen bangen müssen, die die WM gebracht hat. Und genau das ist jetzt die Realität.“
Mehrere Tausend Männer aus Nepal, Indien, Bangladesch, Nigeria, Kenia und anderen Ländern sollen bei Arbeiten für die WM gestorben sein, schätzen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Genau weiß es niemand, weil die katarische Regierung darüber keine Statistik führt. Wie wichtig den Organisatoren die Gesundheit, das Leben der Arbeiter ist, zeigte der Turnierchef Nasser Al-Khater noch während die WM lief. Als ein Mann von den Philippinen bei Arbeiten im Hotel des Teams aus Saudi-Arabien starb, sagte Al-Khater: „Der Tod ist ein natürlicher Teil des Lebens.“
Wer während der WM mit Arbeitern sprach, erfuhr, wie viele von ihnen im Sommer auf Baustellen schuften, bis sie kollabieren. Und wie sie trotzdem weiterarbeiten, weil sie sonst keinen Lohn bekommen. Anil, der seit zehn Jahren in Katar ist und, wie er sagt, einen guten Job in einem Geschäft hat, bei dem man nicht an sechs Tagen die Woche zwölf Stunden in der Hitze arbeiten muss, will das verhindern. Deshalb hat er sich mit anderen im nepalesischen Migrant Worker Network zusammengetan, einer inoffiziellen Gewerkschaft. Offiziell sind Gewerkschaften in Katar nicht erlaubt.
Manches wird wieder schlechter
Gemeinsam mit Anil ist Ram beim Videotelefonat dabei. Er hat sich nicht aus Doha, sondern aus Nepal zugeschaltet. Ram hat lange in Katar gearbeitet, jetzt lebt er wieder in der Heimat und versucht von dort, anderen Nepalesen zu helfen. Ram und Anil vom Migrant Worker Network sprechen auch für die anderen Vergessenen aus Katar. Unter ihren echten Namen möchten sie nicht sprechen, weil einem Kritik an Katar großen Ärger bringen könnte, vielleicht müsste Anil Katar verlassen.
Anil und Ram sagen, dass manches besser wurde. „Das meiste wegen des öffentlichen Drucks vor der WM“, sagt Anil. Es gibt jetzt etwa einen Mindestlohn von 1.000 Katar-Riyal (aktuell etwa 260 Euro). Das Kafala-System wurde reformiert. Für die Arbeiter war das besonders wichtig, denn das alte System lieferte sie ihrem Arbeitgeber aus. Offiziell müssen sie jetzt nicht mehr ihre Pässe abgeben und können ohne Erlaubnis des Arbeitgebers das Land verlassen oder den Job wechseln.
Zugleich erzählen Anil und Ram von der ständigen Diskrepanz zwischen dem, was auf dem Papier beschlossen wurde, und dem, was wirklich abläuft. Wo und wie kann sich ein Arbeiter beschweren, wenn er einfach weniger oder gar keinen Lohn bekommt? Und seit der WM habe sich nichts mehr verbessert, erzählen sie. „Manches wird sogar wieder schlechter“, sagt Anil. In Sachen Kafala-System sei es zum Beispiel so, dass viele Arbeiter doch weiterhin das Einverständnis ihres Arbeitgebers brauchen, um den Job zu wechseln. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf seit Jahren hin. Gegen Ausbeutung können sich viele Arbeiter nicht wehren, weil sie keine Alternative und oftmals für ein Visum viel Geld an Arbeitsagenten bezahlt haben. Auch das ist illegal, und trotzdem Realität.
Vor zwei Jahren, ein paar Tage vor dem WM-Finale, sprach ZEIT ONLINE in Doha mit zwei weiteren Arbeitern, die Teil des Migrant Worker Network sind. Sie ahnten schon, dass die Weltöffentlichkeit bald nicht mehr an sie denken würde. „Schaut weiter auf Katar, schaut weiter auf uns. Bitte vergesst uns nicht“, sagten sie.
Man erreicht einen der vielen Vergessenen kurz nach Feierabend, er ist auf dem Weg in seine Unterkunft in einem der Arbeiterviertel Dohas. Anil wundert sich, dass mal wieder jemand an einen wie ihn denkt.
Anil hat 2008 seine Heimat Nepal verlassen, um erst in den Vereinigten Arabischen Emiraten und später in Katar mehr Geld zu verdienen. Die Arbeitsmigranten von Katar und ihr Leid waren in Deutschland das große Thema vor der dortigen WM. Während der WM schon weniger. Und seit Lionel Messi im Lusail-Stadion, in dem der kenianische Sicherheitsmann John Njau Kibue vor einem Viertelfinalspiel von der Tribüne gestürzt und gestorben war, den goldenen Pokal hochhielt, spricht kaum mehr jemand über die Arbeiter in Katar. „Genau das hat uns immer Sorgen gemacht, dass nach der WM niemand mehr auf Katar schaut“, sagt Anil. „Dass wir dann um die paar Verbesserungen bangen müssen, die die WM gebracht hat. Und genau das ist jetzt die Realität.“