Wissenschaft und Identität: Der Streit um Diversität – Wissen

Wer sich der Empirie und der Suche nach Erkenntnis verschrieben hat, für den zählen Fakten. Egal, in welche Richtung diese deuten – in politisch oder moralisch erwünschte oder unerwünschte –, die Wissenschaft lässt sich nicht bestechen. Sie ist nüchtern und an nichts anderem als der Beschreibung der Realität interessiert. „Veritas“ lautet das Motto der Harvard University, der vermutlich berühmtesten Universität der Welt: Wahrheit. In diesem einen Wort konzentriert sich der hohe Anspruch der Wissenschaft.

Doch besonders in den USA ist der akademische Betrieb zu einem Schlachtfeld der Ideologien verkommen, von wegen Wahrheit. Gerade zertrümmert der rechte Irrsinn Institutionen und greift die Freiheit der Forschung an. Zuvor, auch das muss gesagt werden, hat der linke Identitätsfuror den Betrieb drangsaliert.

Gerade zeigt nun ein Editorial im Fachjournal Nature Reviews Psychology quasi in Form einer Randnotiz, wie alle Seiten am Ideal einer weltanschaulich neutralen Wissenschaft kratzen. Die Autoren verweisen auf den radikalen Feldzug der Trump-Regierung gegen Forschung zu gesellschaftlicher Ungleichheit und gegen Diversity-Programme, die Förderhierarchien auf Basis von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe und Sexualität etabliert hatten. Aber Wissenschaftler hätten andere Möglichkeiten, ihren Einsatz für Diversität zu zeigen.

Der Gehalt der zitierten Arbeiten sollte entscheidend sein, nicht die Hautfarbe der Autoren

Sie regen an, dass Forscher sich bemühen, Studien aus einer diversen Gruppe von Wissenschaftlern zu berücksichtigen, etwa was Geschlecht, Hautfarbe, Karriereposition und Herkunft angeht. Zudem ermutigen sie Studienautoren, ihre Arbeiten mit Diversitäts-Zitationserklärungen zu versehen, um auf diese Bemühungen hinzuweisen.

Wie so oft sind die Absichten dahinter mutmaßlich die allerbesten: Es gehe darum, dass nicht immer die gleichen Autoren und die gleichen Studien zitiert werden. Klingt ja erst mal sinnvoll, den Blick auch neben die ausgetretenen Pfade zu richten und zu recherchieren, wie die Studienlage in der Breite aussieht. Doch lässt sich der Vorschlag fast als Beleidigung auffassen: Das sollte man doch sowieso machen, die umfassende Literaturrecherche zählt wirklich zum kleinen Einmaleins. Doch dabei sollte vor allem der Gehalt der zitierten Arbeiten relevant sein, nicht Geschlecht oder Hautfarbe der Autoren. Und es kann auch an der Qualität von Studien liegen, dass immer wieder auf gleiche Arbeiten verwiesen wird: Vermutlich haben diese Wesentliches zu ihrem Feld beigetragen.

Die Identität der Zitierten zu betonen, beschädigt die Integrität der Wissenschaft und hat das Potenzial, wie der Psychologe Steven Pinker auf X dazu schreibt, „schädliche, antiwissenschaftliche Narrative zu bedienen“. Tatsächlich hat die Wissenschaft in den vergangenen Jahren gerade in den USA stark an Vertrauen eingebüßt, auch durch die Betonung von Identität wie nun in dem Editorial in Nature Reviews Psychology. Zwar handelt es sich nur um eine Empfehlung, aber diese kann man doch so verstehen, dass eine bestimmte politische Haltung, ausgewiesen etwa durch besonders engagierte Diversity-Erklärungen, die Aussicht auf Veröffentlichung in dem Journal vermutlich erhöht.

Die für das Editorial verantwortliche Redaktion besteht übrigens aus drei weißen Frauen, die in den USA und Spanien arbeiten. In den Referenzen des Beitrags zitieren sie Publikationen, die sechs Frauen und sechs Männer verantworten. Elf von ihnen sind augenscheinlich Weiße, eine der Frauen ist von schwarzer Hautfarbe. Die meisten arbeiten an US-Universitäten, zwei in Norwegen und einer in den Niederlanden. Viele von ihnen sind Professoren. Ist das nun ausreichend divers? Erfüllt das die selbstformulierten Ansprüche?

Ja, genau, das sind absurde Fragen: Es sollte bewertet werden, was sie zu sagen haben.