Bloß nicht zu viel staatliche Regulierung: Jahrzehntelang war dies Konsens in der Wirtschaft. Der Staat sollte sich zurückziehen, der Markt sollte möglichst viel allein regeln. Doch dieses Paradigma scheint in der Bevölkerung wenig Rückhalt zu finden, wie die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der Berliner Thinktanks Forum New Economy und dpart zeigen, die ZEIT ONLINE vorliegt. Sie sind spannend, weil die Ampelkoalition vor zwei Wochen auseinandergebrochen ist und in Deutschland nun darüber gerungen wird, welchen wirtschaftspolitischen Kurs das Land verfolgen soll.
Laut Umfrage sind fast 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass das Gefälle zwischen Arm und Reich ungerecht sei und nicht mit den Leistungen der Menschen übereinstimme. Und viele haben Angst vor einem sozialen Abstieg oder sehen dies als ein hohes Risiko in Deutschland an.
Tatsächlich wächst die Zahl der Haushalte, die entweder als arm gelten oder armutsgefährdet sind. Jeder Fünfte in Deutschland ist von Armut bedroht, zehn Jahre zuvor waren es noch etwas weniger, wie Studien zeigen. Von Armut sprechen Forscherinnen und Forscher, wenn Menschen weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens zur Verfügung stehen.
Mittlerweile sorgen sich drei Viertel der Befragten darum, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen zum sozialen Problem in der Bundesrepublik wird, wie die Umfrage zeigt. Und fast 73 Prozent stimmen der Aussage zu, dass das Risiko, in Deutschland sozial abzusteigen, in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Die Umfrage verdeutlicht, wie groß die Sorgen und die Verunsicherung der Menschen sind.
Als eine Hauptursache für Ungleichheit sehen viele der Befragten die Globalisierung an. Zwei Drittel meinen, dass man die Globalisierung nicht um jeden Preis weiter vorantreiben solle. Vor allem aber wünschen sich die Bürgerinnen und Bürger wieder einen starken Staat, der regulierend in die Märkte eingreift, gerade in Zeiten der Transformation. Mehr als zwei Drittel der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Gesellschaft und die gewählten Politikvertreter und -vertreterinnen über den Kurs der Wirtschaftspolitik entscheiden sollten und man dies nicht allein dem Markt überlassen solle. Dass Unternehmen Entscheidungen treffen, die dem Wohlstand der Gesellschaft dienen, glauben also viele Menschen nicht. Ein Viertel der Befragten stimmt dieser Aussage aber nicht zu.
Sehr viel eindeutiger ist das Stimmungsbild, wenn es um die Frage geht, wie stark die Politik lenkend eingreifen soll: Mehr als 85 Prozent der Menschen meinen, der Staat müsse dafür sorgen, dass die Menschen die ökonomischen und sozialen Umbrüche auch bewältigen können, etwa durch eine aktive Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Dazu gehört für viele Befragte, dass sich Deutschland weniger abhängig vom Export macht und Schlüsselindustrien und -technologien (wieder) oder verstärkt hierzulande ansiedelt. Das befürworten fast 78 Prozent der Befragten. Außerdem wünschen sich die Menschen, dass der Staat dafür sorgen soll, neue Industrien und Arbeitsplätze aufzubauen, wenn andere einen Niedergang erleben. Wie solche Programme finanziert werden sollen, etwa über höhere Staatsverschuldung oder über neue Steuern, wurde nicht gefragt.
Nur wenige Befragte sind überzeugt, dass die Wirtschaft von selbst Lösungen gegen den Klimawandel findet oder gar von sich aus beginnt, ihn zu bekämpfen. Mehr als 78 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass erst der Staat die Voraussetzungen dafür schaffen muss.