Erleichterung für den Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith: Das Zürcher Obergericht hat am Donnerstag ein Verfahren gegen ihn wegen Wirtschaftsspionage und Verletzung des Bankgeheimnisses eingestellt. Der zuerst ermittelnde Staatsanwalt sei nicht unvoreingenommen gewesen, sagte der Richter laut der Nachrichtenagentur dpa.
Seith hatte vor mehr als zehn Jahren maßgeblich zur Aufdeckung und Strafverfolgung des Cum-Ex-Skandals, dem wohl größten Steuerraub in der deutschen Geschichte, beigetragen. In der Schweiz aber wurde er seit Jahren verfolgt. Seith begrüßte die Entscheidung. „Das ist eine gewisse Zäsur für die Schweiz“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. „Ab heute kann kein Staatsanwalt in der Schweiz mehr sagen, der Schutz für Whistleblower gilt dort nicht.“
Die Anklage hatte dem Wirtschaftsanwalt vorgeworfen, er habe sich interne Dokumente der Schweizer Bank J. Safra Sarasin besorgt und an deutsche Ermittler weitergegeben. Und zwar zum eigenen Vorteil, um weitere Mandanten an Land zu ziehen. Auf dieser Grundlage hatte die Staatsanwaltschaft nun sogar eine mehrjährige Haftstrafe gegen ihn gefordert. Anfang der Woche wollte sie ihn direkt in Sicherungshaft nehmen, was das Gericht abgelehnt hatte. Auch zwei frühere Mitarbeiter der Bank Sarasin standen vor Gericht.
Seith hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen: Er habe seinem Mandanten, dem Drogeriegründer Erwin Müller geholfen, der die Bank als früherer Kunde im Zusammenhang mit den Cum-Ex-Geschäften auf Schadenersatz verklagt hatte. Zugleich habe er erkannt, wie die Bank mit ihren Hinterleuten um den inzwischen verurteilten Anwalt Hanno Berger den deutschen Staat ausgenommen hatte. Es sei für ihn nicht infrage kommen, eine schwere Straftat zu bemerken, sie den Behörden aber aus Rücksicht auf ein angeblich übergeordnetes Bankgeheimnis vorzuenthalten. Das Vorgehen stünde im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch für die Schweiz gelte.
„Gute Nachricht für die Zivilgesellschaft“
Bei Cum-Ex-Aktiengeschäften zulasten der Staatskasse handelten Banken und Börsenhändler Wertpapiere mit („Cum“) und ohne („Ex“) Dividendenanspruch und ließen sich eine Kapitalertragsteuer mehrfach zurückerstatten. Dank Seiths Hinweisen konnten die deutschen Behörden die Auszahlung von mindestens 460 Millionen Euro stoppen. Bei dem Prozess ging es daher auch um die Frage, wie die Schweiz mit Whistleblowern umgeht und welchen Stellenwert das Bankgeheimnis dort weiterhin spielt.
Seith hätte es zwar begrüßt, auch eine Grundsatzentscheidung zur Frage des Bankgeheimnisses zu hören, sagte er am Donnerstag der SZ. Das Gericht habe aber verdeutlicht, dass die Europäische Menschenrechtskonvention auch für die Schweiz gelte. Seine Verteidiger, der Schweizer Strafrechtler Matthias Brunner, und Ex-NRW-Justizminister Peter Biesenbach, hatten das Verfahren am Montag zu Prozessbeginn als „eines Rechtsstaats unwürdig“ bezeichnet und sprachen von einer „befremdlichen Fraternisierung“ der Staatsanwaltschaft mit der Bank Sarasin.
Auch Seiths Unterstützer begrüßten die Entscheidung. „Nach einer langen Auseinandersetzung hat heute die Vernunft gesiegt“, sagte Anne Brorhilker, Geschäftsführerin der bankenkritischen Organisation Finanzwende. Die frühere Kölner Staatsanwältin hatte ihre wesentlichen Ermittlungserfolge den Hinweisen von Seith zu verdanken. „Das ist eine gute Nachricht für die Zivilgesellschaft – und ich bin auch persönlich froh und erleichtert darüber“, sagte sie weiter. Seith habe nicht geschwiegen, als er von einer schweren Straftat erfuhr, auch wenn es bequemer gewesen wäre. Stattdessen habe er Alarm geschlagen und einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung von Cum-Ex geleistet. Ohne ihn wären viele Ermittlungen nicht möglich gewesen, viele Täter nie verurteilt worden. „Dass er dafür angeklagt wurde, ist bitter – dass er am Ende nicht bestraft wird, ist eine Riesenerleichterung.“
Offen ist allerdings, ob Seith nun endgültig aufatmen kann: 2019 hatte ihn das Bezirksgericht Zürich wegen Vergehen gegen das Bankengesetz verurteilt. 2022 kassierte das Zürcher Obergericht das Urteil zwar ein, mit Verweis auf die Befangenheit des ursprünglich ermittelnden Staatsanwaltes. Doch die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft focht das Urteil beim Bundesgericht in Lausanne an – erfolgreich. Deswegen wurde die Sache jetzt in Zürich neu aufgerollt.
Eine rechtskräftige Verfahrenseinstellung dürfte für die Staatsanwaltschaft Zürich teuer werden. Denn die Angeklagten vor Gericht machten zugleich Schadenersatz in Millionenhöhe geltend, wie die NZZ am Donnerstag berichtete. Ein Sprecher des Obergerichts verwies am Donnerstagmorgen auf eine Stellungnahme, die noch im Laufe des Tages verschickt werde. Die Zürcher Staatsanwaltschaft reagierte kurzfristig nicht auf eine Anfrage dazu. Grundsätzlich können alle Parteien die Entscheidungen noch an das Bundesgericht ziehen.