Wirtschaftskrieg der Großmächte: Deutschland braucht einen Masterplan

Zwischen dem Westen und einer unheilvollen Allianz aus China, Russland, Iran und Nordkorea (CRINK) tobt ein neuer Kalter Krieg. Deutschland braucht eine Antwort auf diese „geoökonomische Zeitenwende“: Berlin muss sich strategisch völlig neu positionieren – gegenüber dem „Quartett des Chaos“ genauso wie dem Bündnispartner USA.

„Der zweite Kalte Krieg“, schrieb Sarah Paine im November im „Economist“, habe schon vor langer Zeit begonnen. Für die Historikerin und strategische Vordenkerin am Naval War College, einem der wichtigsten Ausbildungszentren für Führungskräfte der US-Streitkräfte, waren die Zeichen schon vor Jahren erkennbar. „Es begann mit Xi Jinpings Aufstieg zur Macht, mit Wladimir Putins Abschaffung der Amtszeitbegrenzung im Jahr 2012 und Russlands Einverleiben von 7 Prozent der Ukraine im Jahr 2014“. Seitdem hat sich laut Paine eine dem Westen feindlich gesinnte Allianz von Diktatoren formiert. Geholfen und begünstigt haben sie sich schon lange. Aber im Ukraine-Krieg tritt ihre Partnerschaft nun offen zutage.

China, Iran und Nordkorea sind allesamt Unterstützer von Russlands Angriffskrieg – mit Wirtschaftshilfe, Waffen oder sogar Soldaten. Die vier Länder kooperieren zunehmend ökonomisch, technologisch und militärisch. Zwar haben sie nicht die gleichen primären Gegner – China gegen Taiwan, Russland gegen die Ukraine, Iran gegen Israel, Nordkorea gegen Südkorea.

Aber sie alle eint laut Paine, dass für sie „internationale Normen nicht länger bedeutsam sind“. Sie suchten Erfolge auf der Weltbühne, um ihre Machtmodelle bei der Bevölkerung zu legitimieren. Und weil ihre militärischen Ambitionen an die Grenzen der internationalen Ordnung stießen, hätten sie ein gemeinsames Ziel: Sie in ihrer heutigen Form zu beseitigen. Und einen gemeinsamen Feind: die USA, die sie bisher garantieren.

Schon im Januar 2002 nannte der damalige US-Präsident George W. Bush im Kampf gegen den Terror mit Iran und Nordkorea Teile der heutigen unheiligen Allianz eine „Achse des Bösen“ (axis of evil). In Anlehnung daran wird die heutige Zweckehe der Diktatoren auch als „Achse des Aufruhrs“ (axis of upheaval) bezeichnet. Oder schlicht „Quartett des Chaos“ genannt und mit den Anfangsbuchstaben seiner Mitglieder abgekürzt: CRINK.

„Wird nicht schnell enden“

Der neue Kalte Krieg zwischen dem Westen und dem Diktatoren-Pakt ist laut Paine längst in vollem Gange. Mit einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine droht nun im kommenden Jahr ein neuer Eiserner Vorhang Europa wieder dauerhaft zu spalten. Nur verläuft er diesmal durch den Donbass und nicht durch Berlin. Wie auch immer dieser Konflikt genau verlaufen sollte, eins ist für Paine sicher: „Er wird nicht schnell enden“. Für Deutschland tickt deshalb die Uhr.

Seit dem Mauerfall hat Berlin es sich zwischen den gegensätzlichen Polen der Weltordnung gemütlich gemacht und das Beste aus allen Welten herausgepickt: billige Energie aus Russland, Sicherheit aus den USA, florierende Exporte nach China. Doch diese jahrzehntelangen Eckpfeiler des deutschen Wohlstandsmodells brechen angesichts der Konfrontation zwischen dem Westen und den CRINK-Staaten weg. Die Ära der Turbo-Globalisierung kommt an ihr Ende. Deutschland ist ein Kollateralschaden im neuen Wettlauf der Großmächte. Es wird zum Spielball globaler Kräfteverschiebungen, die es nicht mehr kontrollieren kann.

Nicht nur braucht die deutsche Wirtschaft eine neue Geschäftsgrundlage. Die globale Systemrivalität zwingt Deutschland dazu, nach dem Amtsantritt von Donald Trump im Januar seine Rolle in der Welt neu zu definieren und sich gegenüber der Achse der Autokratien und dem wichtigsten Bündnispartner USA zu repositionieren. Doch dabei gibt es derzeit keine wirklich guten Optionen.

Am deutlichsten werden Deutschlands Dilemmata in der neuen Weltordnung am Verhältnis zu China. Seit fast zwei Jahrzehnten ist das Reich der Mitte einer der größten Handelspartner, für Schlüsselsektoren wie die Autobranche wichtigster Absatzmarkt, Hauptlieferant etwa für die Chemieindustrie und die pharmazeutische Branche. Doch vom einstigen Wachstumspartner ist die Volksrepublik längst zum Systemrivalen geworden, wie sich am Kampf um die Vorherrschaft bei E-Autos oder der Photovoltaik-Industrie zeigt.

De-Risking? Welches De-Risking?

Deutsche Politiker rufen daher immer lauter nach einer Abkehr von China. Denn Peking sieht sich selbst zwar gerne in der Rolle als globaler Vermittler. Am Ende aber dient jeder wirtschaftliche Austausch mit China seinen globalen Ambitionen. Genau wie Donald Trump will Präsident Xi Jinping sein Land zu neuer Stärke führen. Seit seinem Amtsantritt verfolgt er den „Chinesischen Traum“: „eine große Erneuerung der chinesischen Nation„, durch die das Reich der Mitte globale Führungsmacht werden soll. 2018 hat er sich zum Herrscher auf Lebenszeit ausgerufen. Als selbst ernannte „polare Großmacht“ dampft China inzwischen regelmäßig sogar mit Eisbrechern durch die Arktis.

Die Volksrepublik befindet sich spätestens seit Trumps erster Amtszeit auf Kollisionskurs mit Washington. Als Handelsnation sitzt Deutschland im Wirtschaftskrieg zwischen Ost und West auf den Stühlen dazwischen. Doch ein nennenswertes De-Risking von China ist derzeit nicht zu erkennen. Und auch keine Pläne für eine stärkere Allianz mit Peking – denn dann droht Deutschland zum europäischen Endbahnhof der chinesischen Seidenstraßen zu verkommen.

Die Forscher der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), der zentralen Denkfabrik der Bundesregierung, empfehlen Deutschland im kommenden Jahr mit Blick auf China die „Verwundbarkeit in strategisch wichtigen Wirtschaftssektoren und bei kritischen Rohstoffen“ zügig zu reduzieren sowie auch chinesische Investitionen kritischer zu prüfen und im Zweifel nicht nur Übernahmen, sondern auch Neuansiedlungen auf der grünen Wiese zu blockieren.

Um die eigene Resilienz zu stärken, wären etwa Technologieallianzen oder gemeinsame Vorratshaltung bei kritischen Rohstoffen wie seltenen Erden mit anderen EU-Ländern denkbar. Denn die sind immer noch die größte Trumpfkarte der Volksrepublik. Und anders als in der ersten Trump-Administration setzt Peking sie inzwischen ein und beschränkt etwa bereits den Export seltener Mineralien in die USA.

Ein neues Großrussland

Egal wer die Bundestagswahl gewinnt: Das größte Kopfzerbrechen dürfte den Strategen im Kanzleramt das Verhältnis zu Russland bereiten. Um den revisionistischen Ambitionen des Kreml zu begegnen, führt an einer weiteren Finanzierung der Ukraine kaum ein Weg vorbei. Die SWP-Forscher empfehlen Berlin eine „Rekalibrierung“ und einen Ausbau der militärischen Unterstützung für Kiew: „Welche Haltung die USA […] einnehmen, sollte für Deutschland […] weniger Maßstab sein als früher, auch wenn das transatlantische Verhältnis äußerst relevant bleibt.“

Die schaurige Alternative einer Allianz mit Russland lässt sich im Entwurf des Wahlprogramms der Alternative für Deutschland besichtigen. Die Partei will raus aus der EU, dem Euro und ihr Parteichef Tino Chrupalla stellt nun sogar die Mitgliedschaft in der NATO infrage. Für ihn hat Russland den Krieg bereits gewonnen und Europa sollte Moskaus Interessen akzeptieren.

Folglich fordert die AfD die „sofortige Aufhebung der Sanktionen sowie die Instandsetzung der Nord-Stream-Leitungen“. Die deutsche Industrie hätte dann zwar wieder billige Energie. Doch Deutschland wäre wenig mehr als größter Gaskunde des Kreml, in der Welt isoliert und zum Stillhalten verdammt, während Putin mit Gewalt sein Imperium in Europa wiedererrichtet. Berlin hätte womöglich selbst Sanktionen zu fürchten, die Exporte würden dramatisch einbrechen.

Die AfD flüchtet sich in die Vorstellung, verstärkter Handel mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) könne all das ausgleichen – der russischen Gegen-EU, in der Moskau seine Satellitenstaaten wirtschaftlich dominiert. Dabei können Kasachstan, Kirgisien und selbst Russland bei Weitem nicht die Kaufkraft für Millionen deutsche Autos ersetzen, die bislang etwa in den USA geliefert werden. Das hält AfD-Politiker Björn Höcke nicht davon ab, auf dem Thüringer Parteitag schon von einer „eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft, die von Lissabon bis Wladiwostok reicht“ zu träumen.

„Kluge Machtpolitik“

Angesichts mangelnder Alternativen bleibt Deutschland kaum etwas anderes übrig, als an seiner euroatlantischen Verankerung festzuhalten. Doch auch hier stehen tektonische Verschiebungen an. Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus besteht die Gefahr, dass auch die USA in eine autoritäre Oligarchie abrutschen.

Unter Trump wird Deutschland auf Exporte verzichten und womöglich hohe Zölle akzeptieren müssen. Zudem könnte der Preis dafür, dass Washington Europa nicht vollends fallen lässt, sein, dass Deutschland stärker in den Wirtschaftskrieg mit China einsteigt. Spätestens wenn Peking wirklich Taiwan überfallen sollte, würde für Deutschland der Offenbarungseid kommen.

Die SWP empfiehlt Berlin daher, zweigleisig zu fahren. Einerseits die Einigkeit der Europäer in der NATO zu wahren. Aber gegenüber Washington deutlich zu machen, „dass liberale Werte weiterhin die Bedin­gung für den Zusammenhalt […] der atlantischen Sicherheitsgemeinschaft sind“. Im schlimmsten Fall ist auch das bislang Undenkbare möglich: „Wenden sich die USA von diesen Werten vollständig ab, dann steht auch die Atlantische Allianz zur Dis­position“.

„Neue Verhältnisse, Schwierige Beziehungen“ haben die Forscher nicht ohne Grund ihre Sammelstudie überschrieben. Sie empfehlen Deutschland in der „geoökonomischen Zeitenwende“ eine „kluge Machtpolitik, die Politik, Gesellschaft und Wirtschaft durchdringt“, weniger werteorientierte Außenpolitik und „auf Prinzipien gegründeten Pragmatismus“.

Zweckbündnis, keine Allianz

Die sinnvollste Option dürfte sein, in den Aufbau eigener Fähigkeiten zu investieren, sowohl bei der Wiederaufrüstung der Bundeswehr als auch der Stärkung deutscher Wirtschaftsmacht. Denn um die CRINK-Staaten, allen voran China, einzudämmen, wird sich Washington stärker auf Fernost konzentrieren. Womöglich wird dort bald eine asiatische NATO aufgebaut, wie es Japans Premierminister vorgeschlagen hat.

Sowohl wirtschaftlich als auch militärisch wird sich Deutschland ab kommendem Jahr stärker behaupten müssen. „Nach jahrzehntelanger Globalisierung […] muss das Denken und Handeln in geoökonomischen Kategorien“ hierzulande „allerdings erst wieder neu geschärft werden“, konstatiert die SWP. An den Schaltstellen der Wirtschaft müsse sich erst wieder das Bewusstsein durchsetzen, „dass bestimmte Maßnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit unerlässlich sind und letztlich auch im existenziellen Eigeninteresse“ liegen.

Letztlich kommt auf Deutschland eine Phase stärkerer technologischer und wirtschaftlicher Entkoppelung zu. Das bedeutet weniger Wohlstand, etwa durch geringere Exporte oder das Verbot von Investitionen. Um die Verluste zu begrenzen, sollte sich Deutschland, wo immer möglich, für Kooperation und die regelbasierte Weltordnung starkmachen, schlussfolgert die SWP. Ein Lichtblick bleibt: Noch ist CRINK ein Zweckbündnis, keine formale Militärallianz wie die NATO. Trotz eines gemeinsamen Gegners gibt es große strategische Differenzen im „Quartett des Chaos“. Und vielleicht öffnet sich künftig auch mehr Raum für Verständigung, wenn etwa China und die USA einen Deal finden sollten. Und das Bewusstsein dafür wieder wächst, dass globaler Wohlstand Kooperation erfordert.