
Wirtschaft „praktisch abgewürgt“
Experten: Ohne Bürokratieabbau bringt das Finanzpaket wenig
21.03.2025, 18:54 Uhr
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Mit einem neuen Finanzpaket will die Bundesregierung die schwächelnde Wirtschaft ankurbeln. Doch schnelle Erfolge sollte man nicht erwarten, sind sich viele Wirtschaftsakteure einig. Experten fordern weniger Bürokratie statt „einfach mehr Geld in Infrastrukturprojekte zu pumpen.“
Mit dem neuen milliardenschweren Finanzpaket soll auch der lahmen Wirtschaft rasch wieder auf die Beine geholfen werden. Doch mit einer Erholung über Nacht rechnen Wirtschaftsakteure nicht. Ein chronischer Arbeitskräftemangel in vielen Branchen, lange bürokratische Vorlaufzeiten und komplizierte Ausschreibungsverfahren dürften die erhofften positiven Effekte für die seit zwei Jahren schrumpfende Wirtschaft verzögern.
Marc Tenbieg, geschäftsführender Vorstand beim Deutschen Mittelstands-Bund (DMB), der Tausende kleine und mittelständische Unternehmen vertritt, ist sich sicher: „Das wird nicht ausreichen, einfach mehr Geld in Infrastrukturprojekte zu pumpen.“ Bürokratie, komplexe europäische Anforderungen bei Ausschreibungen und Personalengpässe hätten in der Vergangenheit oft dazu geführt, dass Fördermittel nicht effektiv genutzt worden seien. Die Finanzmärkte haben dagegen die Reform umgehend begrüßt und den deutschen Börsen-Leitindex Dax diese Woche auf Rekordhöhen getrieben. Der Bausektor und die Rüstungsbranche werden als die größten Profiteure des Pakets gesehen.
Die Berliner Pläne haben auch dem Kurs des Euro kräftigen Auftrieb gegeben und die Renditen von Staatsanleihen der Euro-Länder angeschoben. Die Verzinsung der zehnjährigen Bundesanleihe erreichte zeitweise 2,938 Prozent – das höchste Niveau seit Oktober 2023. Trotz der schnellen Börsenreaktionen rechnen Volkswirte nicht mit einer Erholung der Wirtschaft in diesem Jahr. „Die umfassenderen Auswirkungen sind für 2026 und 2027 zu erwarten, wenn die Auftragsvergabe durch staatliche Stellen an Fahrt gewinnt und die Unternehmen ihre Kapazitäten erweitert haben“, meint Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht davon aus, dass allein der geplante Infrastrukturfonds die Wirtschaftsleistung „in den nächsten zehn Jahren um durchschnittlich mehr als zwei Prozent pro Jahr anheben“ könne. Nach der Einigung auf höhere Verteidigungs- und Infrastrukturausgaben rechnet das DIW für das Jahr 2026 nun mit einem Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent statt von 1,1 Prozent.
Auch Führungskräfte aus der Industrie, die mit hohen Arbeits- und Energiekosten sowie mit Stellenabbau zu kämpfen haben, wollen sich dem Jubel nicht sofort anschließen. „Es ist noch zu früh, um wirklich Vertrauen für Investitionsentscheidungen zu schaffen“, sagt etwa Ulrich Flatken, Geschäftsführer von Mecanindus Vogelsang, einem Hersteller von zylindrischen Hohlkörpern für die Autobranche und andere Industriekunden mit rund 450 Beschäftigten. „Mal sehen, ob wirklich greifbare Strukturreformen Teil einer Koalitionsvereinbarung werden“, fügt er mit Blick auf die laufenden Gespräche zwischen Union und SPD hinzu.
340.000 MINT-Akademiker verlassen bis 2035 den Markt
Deutschland war in den vergangenen zwei Jahren den anderen europäischen Volkswirtschaften hinterhergehinkt. Aus Sicht von Jesko von Stechow, Finanzvorstand des Gasproduzenten Westfalen AG, hat eine Mischung aus EU- und nationalen Regulierungen die Wirtschaft „praktisch abgewürgt“. Er fordert die entstehende neue Bundesregierung zu einem drastischen Bürokratieabbau auf.
Die milliardenschweren Ausgabenpläne haben einigen der ältesten und angeschlagensten Unternehmen Deutschlands an der Börse wieder Luft zum Atmen verschafft. Der Stahlkonzern ThyssenKrupp hat seinen Börsenwert innerhalb eines Monats verdoppelt. Obwohl das europäische Stahlgeschäft des Konzerns – der zweitgrößte Produzent des Kontinents – die Konjunkturvorhaben diese Woche begrüßte, will der Konzern an seinen Plänen zum Kapazitäts- und Stellenabbau festhalten. Und Siemens kündigte Pläne zur Streichung von 5600 Stellen im Geschäftsbereich Digital Industries an.
Insgesamt ist bei Ingenieurs- und IT-Berufen nach wie vor die Personalknappheit groß. Und bis 2035 werden voraussichtlich rund 340.000 Akademiker aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) den Arbeitsmarkt verlassen. Dies dürfte die derzeitige Lücke von rund 130.000 offenen Stellen in Ingenieur- und IT-Berufen noch weiter vergrößern. „Wir brauchen mehr Ingenieurskapazitäten, um das riesige Investitionspaket in konkrete Projekte umzusetzen, was mehrere Jahre dauern wird“, sagt etwa Adrian Willig, Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI).
Manche warnen sogar vor einer möglichen Überhitzung der Wirtschaft, sollten die Produktionskapazitäten nicht ausgebaut werden. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass die enorme Nachfrage durch die Investitionspakete zu einem starken Anstieg der Inflation führt“, glaubt etwa der Volkswirt Robert Grundke von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).