
Carlos Alcaraz zum dritten Mal in Folge? Oder diesmal Jannik Sinner? Oder ein vielleicht goldenes Finale für Novak Djokovic? Eine Überraschung? Alexander Zverev gehört beim Tennis-Klassiker in Wimbledon seit längerer Zeit mal nicht zum engsten Kreis der Titelanwärter bei den Männern. Was kein Nachteil sein muss.
Als Carlos Alcaraz seine ersten Erfolge als Tennisprofi feierte, kamen immer wieder die Vergleiche mit Rafael Nadal auf. Siege als Noch-Teenager oder gerade 20-Jähriger zu feiern und dabei noch Spanier zu sein in einer Zeit, in der das große Idol des Landes in den letzten Zügen der Karriere war, führten ganz automatisch dazu. Es wurde jedoch schnell klar, dass Alcaraz ein anderer Spielertyp ist – nicht ganz so viel Top-Spin, schnellerer Aufschlag, mehr Schelmisches als der überprofessionelle und verbissene Nadal.
Es gibt aber dann doch viele Parallelen. Seine schier grenzenlose Klasse, aber auch das Festhalten an Ritualen – Alcaraz achtet am Rande des Courts wie sein Vorbild ganz genau darauf, wie die Flaschen vor seiner Bank positioniert sind. Und der 22-Jährige hat es geschafft, sein überragendes Spiel in eine ganz andere Tenniswelt zu adaptieren, den Rasen.
Alcaraz „auf Rasen spielen zu sehen, ist für mich ein Luxus“
Bei seinen ersten beiden Teilnahmen in Wimbledon kam Alcaraz noch nicht so gut damit klar, dass die Bälle nach Schlägen des Gegners nicht mehr hochsprangen, sondern eher rutschten. Erst schied er in der 2. Runde aus, dann im Achtelfinale, die Bilanz war 4:2-Siege – im Tennis ist das kein Gütesiegel. Doch danach wurde seine Serie unheimlich. In Wimbledon gewann Alcaraz die nächsten 14 Partien und damit auch die vergangenen beiden Ausgaben des größten Rasenturniers der Welt.
Seit seinem Achtelfinal-Aus 2022 hat „Carlitos“ nur eins von 26 Rasen-Matches verloren, seit 18 Duellen ist er auf dem Belag unbesiegt. „Das ist perfekt für Alcaraz, weil es auf Rasen weniger taktische Muster gibt als auf Sand – und das passt genau zu ihm. Ich glaube, er hat immer mehr Spaß, wenn er auf Rasen spielt. Wir können die Freude in seinen Augen sehen, den unglaublichen Wettkampfgeist, den er besitzt. Ihn auf Rasen spielen zu sehen, ist für mich ein Luxus“, sagte Tennis-Legende Mats Wilander.
Sinner glaubt, sich „auf Rasen sehr verbessert“ zu haben
Alcaraz reist entsprechend als großer Favorit nach Wimbledon, wo es ab Montag mal wieder um die Rasenkrone geht. Die will ihm insbesondere der Spieler entreißen, der ihn zuletzt dort besiegt hatte: Jannik Sinner. Als die beiden Spieler noch weit weg von ihrer herausragenden Rolle waren, die der Tenniswelt das verblüffend starke French-Open-Finale vor einigen Wochen bescherte, gewann er in vier Sätzen. Doch nun ist die Nummer eins der Welt der Herausforderer.
Aber wie aussichtsreich ist das Vorhaben für ihn? In Wimbledon schaffte es Sinner bisher einmal ins Halb- und einmal ins Viertelfinale, mehr war noch nicht drin. In Halle verlor er zuletzt gegen Alexander Bublik bereits in der zweiten Runde – doch insgesamt sieht er sich gut vorbereitet. „Ehrlicherweise habe ich mich auf Rasen sehr verbessert. Als ich das erste Mal hier war, konnte ich gar nicht verstehen, wie man spielen muss. Jetzt fühle ich mich viel wohler und es geht in die richtige Richtung“, sagte Sinner.
Jannik Sinner bei den Wimbledon Championships 2024
Mit Djokovic ist in Wimbledon immer zu rechnen
Alcaraz oder Sinner? Diese Frage wird in den nächsten Jahren sicherlich noch sehr häufig gestellt. Doch in Wimbledon darf sie durchaus erweitert werden. Um Novak Djokovic ganz sicher. Bevor Alcaraz sein Wimbledon-Gen für sich entdeckte und den Serben beide Male im Finale (vergangenes Jahr sogar glatt in drei Sätzen) bezwang, hatte er in London viermal in Folge den letzten Ballwechsel des Turniers gewonnen. Insgesamt holte er dort siebenmal die Trophäe.
24 Grand-Slam-Turniere hat Djokovic in seiner Karriere gewonnen und er hatte zuletzt in Paris schon angedeutet, dass er dort sein letztes Match gespielt haben könnte. Ob es so kommen wird oder nicht, Wimbledon ist seine größte Chance, um das 25er-Jubiläum noch perfekt zu machen. „Wimbledon ist das Lieblingsturnier meiner Kindheit. Ich werde alles tun, um mich dafür vorzubereiten“, sagte der Altmeister.
Siebenmal triumphierte Novak Djokovic bereits in Wimbledon.
Die Liste derer, die im Topf der erweiterten Titelkandidaten sind, ist noch ein wenig länger. Daniil Medwedew war in den vergangenen beiden Jahren in Wimbledon auch nur von Alcaraz (jeweils im Halbfinale) zu schlagen, Lokalmatador Jack Draper ist stark auf Rasen und hat die Fans im Rücken, Halle-Sieger Bublik ist viel zuzutrauen. Aber was ist eigentlich mit Alexander Zverev?
Wimbledon bisher kein gutes Pflaster für Zverev
Vor, während und nach jedem Grand-Slam-Turnier ist das große Thema, dass der mit Abstand beste deutsche Tennisspieler der vergangenen Jahre noch nie ein solches gewonnen hat. Dabei waren die Abfolgen oft die gleichen: Zverev gilt im Vorfeld als Mitfavorit, spielt sich durch die Runden und nährt seinen Traum – und der platzt dann doch in der zweiten Turnierwoche, manchmal sogar erst am letzten Tag wie bei der Finalniederlage bei den Australian Open gegen Sinner.
Und es ist schwer vorstellbar, dass sich das in Wimbledon ändert. Zverev hat in seiner Karriere noch kein Rasenturnier gewonnen, in Wimbledon erreichte er bislang nie mehr als das Achtelfinale. Der Londoner Rasen ist aber auch immer gut für Überraschungen, gerade bei Spielern, die über einen sehr guten Aufschlag verfügen. Zverev hat den, trifft er ihn auch, werden seine Chancen größer. Und spielt er in engen Situationen selbstbewusster als so oft, werden sie noch größer.
Gelingt Alexander Zverev in Wimbledon der entscheidende Schlag?
Am Mikrofon hat er dieses Selbstvertrauen nach wie vor. Auf die Frage nach den Wimbledonfavoriten nennt auch Zverev zuerst Alcaraz und dann Sinner. „Dahinter ist es offen, aber auch nicht so offen. Ich sehe nur zwei, drei Leute, die zum Thema werden – da würde ich mich mit einbeziehen“, sagte der 28-Jährige. Ganz objektiv betrachtet gehört Zverev aber nicht zu dem kleinen Favoritenkreis in Wimbledon. Aber vielleicht ist ja gerade das das Gute.