Wiedergeburt einer Modemarke – Stil

Zurück also in das Jahr 1985, wo Donald Schneider im New Yorker Nachtclub Area als Kulissenbauer engagiert ist, sich etwas Besonderes für das Geburtstagsfest von Bryan Ferry ausdenken soll und die Idee hat: Lasst uns hinten im VIP-Saal doch mal die Plattencover von Roxy Music nachbauen. Zwei puerto-ricanische Girls folglich vor eine Kunsthecke gestellt, die Hände vorm nackten Busen („Country Life“). Daneben zwei Speerwerferinnen im knappen Sportdress („Flesh + Blood“). Und mitten auf der Tanzfläche ein Felsblock, auf dem ein sich rekelnder Transvestit die honigblonde Jerry Hall gibt („Siren“). „Bryan Ferry erschien um zwei Uhr morgens und fing an zu weinen, als er das sah.“

Berlin, Torstraße. Ein Loft, darin ein Besprechungstisch, sorgfältig kuratierte Kunstgegenstände, an den Wänden Modefotografien in Schwarz-Weiß. Privatwohnung und Showroom in einem. Hinten an der Stange hängt die erste Kollektion von Elho Freestyle, und da man die neonbunten Achtziger recht heftig miterlebt hat, auf der Skipiste und auch sonst, steigt bei dem Anblick ein ganz seltsames Gefühl in einem hoch: Als wäre ein alter Bekannter wieder da, der sich in 40 Jahren klar verändert hat und trotzdem jung geblieben ist.

Donald Schneider hat als Art Director und Grafiker in der Mode so ziemlich alles erreicht. Nun hat er auch sein eigenes Label. (Foto: ELHO)

Wie kommt ein 64-jähriger Schweizer, der als Art Director und Werber in der Mode so ziemlich alles erreicht hat, auf die jede Work-Life-Balance zertrümmernde Idee, nun noch sein eigenes Label auf die Beine zu stellen? Und bitte sehr: Da schadet es schon nicht, seine Geschichte zu kennen. Die nicht nur die glanzvollsten Namen aus Mode, Kunst und Architektur enthält. Die regelrecht platzt vor Neugierde, Dreistigkeit, der Lust, scheinbar Widersprüchliches zusammenzufügen – allen Zweiflern zum Trotz.

Der erste Name in dieser Geschichte ist Andy Warhol. Donald Schneider ist 14, als ihn seine Patentante in eine Ausstellung im Kunsthaus Zürich mitnimmt. Wo er nicht nur Warhols Bilder, sondern in einer Vitrine auch einige Ausgaben des Interview-Magazins erblickt. Zu Weihnachten wünscht er sich ein Abo und bekommt das Heft dann monatlich per Luftpost zugeschickt, sein Englisch ist eher mittel. Aber was er sich dort erschließt, die Kunstszene, die Musik, das Nightlife von Downtown Manhattan, lässt ihn nie wieder los.

<strong>Die erste Reise nach New York – und natürlich will er Andy Warhol treffen</strong>

Er hat schon Grafikdesign studiert und einen Job als Werber, als er zum ersten Mal hinfliegt – und am Union Square den Weg zu Warhols Factory einschlägt. Mit dem Lift rauf in den dritten Stock. Hi, I am Donald from Switzerland. I would like to meet Andy Warhol. Am Assistenten kommt er nicht vorbei, aber hinten im Raum steht der leibhaftige Andy und schaut so zu ihm rüber. Daheim kündigt er wenig später Job und Wohnung.

In New York will Schneider erst mal Maler werden, Geld verdient er praktisch keines. Aber weil er viel ausgeht, lernt er irgendwann die Macher des Area kennen, das als legitimer Nachfolger des weltberühmten Studio 54 gilt. Ein Club, der alle vier Wochen nach einem neuen Motto umdekoriert werden muss. Rush Hour!

Die Sängerin Cher in vollem Ornat beim Einzug in den New Yorker Nachtclub Area, circa 1988. (Foto: Getty Images/Archive Photos/Getty Images)

An jedem letzten Sonntag im Monat, fünf Uhr morgens, ist es wieder so weit. Motto, sagen wir: „Natural History“. Drei Tage Zeit. Schneider und seine Kollegen reißen die alte Deko raus, modellieren den Dancefloor zur Tropfsteinhöhle um, buchen neue Performer. Sie installieren bizarre Landschaften in den Schaufenstern am Eingang und setzen ein lebendiges Gürteltier hinein.

Mittwoch um Mitternacht steht dann Madonna vor der Tür, Grace Jones, Cher, William S. Burroughs, Rod Stewart, auf dem Klo hat Jean-Michel Basquiat sein eigenes Sofa, auf dem er Leute empfängt – für einen öffentlicheren Raum ist er zu schüchtern. In einem anderen Monat (Motto: „Art“) bemalen Basquiat, Keith Haring und Francesco Clemente die Club-Wände, im Schaufenster sitzt einmal wöchentlich von Mitternacht bis eins Andy Warhol auf einem silbernen Stuhl und lässt sich anglotzen. „Die Leute winkten ihm zu und machten Zeichen – Handys gab es ja noch keine.“

Am Tisch im Berlin der Gegenwart ist die nun nicht minder interessante Sache, wie Schneider (schwarzes Outfit, rasierter Schädel) das alles erzählt. Dicke Hose, aufgekratzter Duktus, die großen Namen als Ausweis der eigenen Granatenhaftigkeit? Null. Im noch hörbaren Schweizer Singsang stattdessen ein Sich-Wundern, ein mildes Amüsiertsein über die Winkelzüge der eigenen Geschichte, das darin herumturnende Personal. Er sagt: „Ich hab wahrscheinlich einfach diese Curiosity. Ich lese, ich gucke, höre zu. Mich interessieren tausend Sachen.“ Er ist ein freundlicher, fast unheimlich leiser Mensch.

<strong>Bei der französischen <em>Vogue</em> lernt er: Ein „Non“ heißt am Ende nicht unbedingt Nein</strong>

Nun aber zurück ins alte Europa, in die Neunziger und nach Paris, wo Schneider nach ersten Erfahrungen im Magazingeschäft inzwischen Art Director bei der französischen Vogue ist. Wo er innerhalb weniger Jahre die maßgeblichen Designer, Fotografen, Supermodels kennenlernt. Und begreift: Ein „Non“ heißt am Ende nicht unbedingt Nein. Der Star-Fotograf Irving Penn zum Beispiel arbeitet jetzt für ihn – wenn auch nicht bei Mode-Shootings, da hat die US-Vogue einen Exklusivanspruch. Zu dumm, aber wie wäre es stattdessen mit Porträts der japanischen Architekten Tadao Ando und Arata Isozaki, die Penn so sehr bewundert? Schneider fädelt den Kontakt ein, beide Seiten sind von der Aussicht auf eine Zusammenarbeit gleichermaßen entzückt.

Jahrtausendwende. Schneider macht jetzt auch High-Fashion-Kampagnen für Chloé, wo Stella McCartney gerade Chefdesignerin ist. Er lässt für dieses ultrafeminine Label alle Motive von Frauen fotografieren, und weil ihn die perfekt retuschierten Bilder zunehmend anöden, stellt er die Fotografin einmal direkt an den Laufsteg: dorthin, wo die Models rauskommen und nach ihrem Walk wieder verschwinden. „In der Kampagne war dann alles zu sehen, die Anspannung, der Stress, die Schweißperlen auf der Stirn, wir haben nichts retuschiert. Das war intensiv. Das finde ich heute noch mega.“

Sein größtes Kunststück aber kommt erst noch – und es gibt in der westlichen Welt wahrscheinlich kaum einen Menschen über 30, der nicht davon gehört hat.

Märchenhafter Erfolg: Donald Schneider mit Karl Lagerfeld. (Foto: privat)

Anfang der Nullerjahre: Schneider hat die Kreativagentur Donald Schneider Studios gegründet, für H&M inszeniert er jetzt Claudia Schiffer, Linda Evangelista und Naomi Campbell. Es ist das erste Mal, dass seine Arbeit in ganz Paris plakatiert ist. „Was mich aber gestört hat: Dass alle immer über die Models und nie über die Kollektion geredet haben.“ Bei einem Treffen mit den H&M-Leuten in Stockholm stellt er eine ungeheuerliche Idee vor. Eine Kollaboration mit einem namhaften Designer, ach was, sagen wir doch gleich: mit einem der berühmtesten Modedesigner der Welt. Ungläubigkeit, Zweifel. Der alte Satz: Das geht nicht, das wird niemals funktionieren. Auch in Paris schütteln sie die Köpfe, Schneiders Agent beendet aus Empörung über diesen Unsinn die Zusammenarbeit. Nur Karl Lagerfeld sagt am Telefon vom Fleck weg: „Genial. Das ist die Zukunft.“

Märchenhafter Erfolg: Die weltweit lancierte Kollektion von Karl Lagerfeld für H&M ist im November 2004 innerhalb weniger Tage vergriffen. Hier eine Filiale in Frankfurt. (Foto: Bernd Kammerer/Associated Press)

Am 12. November 2004 kommt die Kollektion Karl Lagerfeld x H&M weltweit in die Läden. Schneiders Idee. Sie reißt die Mauern ein zwischen Luxus und Masse und wird zu einem märchenhaften Erfolg für beide Seiten. Allein im New Yorker Store an der Fifth Avenue landen stündlich zwischen 1500 und 2000 Teile an der Kasse – nach einem Tag ist alles vergriffen. Donald Schneider wird zum Fachmann für Kollaborationen und sechs Jahre lang auch Kreativdirektor bei H&M.

Nun also sein Spätwerk. Die Wiedererweckung der Skisportmarke Elho. Die in den Achtzigern mit Neonfarben, den ausgestellten „Jet Pants“ und der ersten Daunenkollektion auf dem deutschsprachigen Markt Furore machte. Die ihm inhaltlich natürlich liegt – als Grafiker mit Vorliebe für mutiges Design genauso wie als Schweizer, der zwischen den Beinen des Papas schon die Pisten runtersauste, bevor er laufen konnte. Nach einem erfolglosen Relaunch waren die weltweiten Markenrechte für eine siebenstellige Summe wieder zu haben. Schneider nutzte seine Kontakte und brachte 20 Investoren, darunter Oliver Bierhoff, dazu, an etwas zu glauben, von dem er seit Jahren überzeugt war: Dass Outdoor nach Athleisure das nächste große Ding werden würde.

<strong>High Fashion und Outdoor zusammenbringen? Fanden alle Beteiligten erst mal doof</strong>

Auch dazu gibt es natürlich eine Geschichte. Mit seiner Lebensgefährtin, der bei Bogner geschulten Designerin Claudia Hofmann, hat Schneider eine Zeit lang die Modebeilage des Handelsblatts gestaltet. Einmal kamen sie auf die Idee, Outdoor-Marken mit High Fashion zu kombinieren, Jack Wolfskin mit Louis Vuitton also, Mammut mit Prada. „Ich habe Anna Ewers organisiert als Model, Claudia hat die Hersteller angeschrieben. Und dann stellte sich heraus: Die wollten alle nicht.“

Nicht nur war den Luxushäusern das schweißige Aroma von Funktionsjacken suspekt. Die Outdoor-Leute fanden die Glitzer-Aura des Laufstegbetriebes umgekehrt hochgradig unseriös. Es war also wieder der neuralgische Punkt erreicht, an dem es hieß: Never! Und da wusste Schneider, dass er auf etwas gestoßen war. (Seinen Pitch für die Capsule-Kollektion mit einem Luxushaus haben sie bei Jack Wolfskin letztlich abgelehnt. Zwei Jahre später kam The Northface x Gucci in die Läden. Tja.)

Die erste Kollektion von Elho Freestyle setzt auf kräftige Farben – und Zeichnungen von Jean-Michel Basquiat. (Foto: Elho)

Torstraße, Berlin. Zwei Stunden um. Schneider eilt zum Teams-Meeting ins Nebenzimmer, seine Partnerin Claudia Hofmann erklärt inzwischen die erste Kollektion von Elho Freestyle, von ihr entworfen. Biobasierte Stoffe, kaum Plastik. Die Signature-Bomberjacke mit abnehmbarer Kapuze, Schneeschutz-Saum und Reißverschlüssen innen an den Ärmeln, damit man die Arme lüften kann. Ein molliger Zweiteiler aus Teddy-Fleece, die Neuauflage der Jet Pants mit einem Saum wie eine sich öffnende Blüte.  Auf einer Jacke und einem Hoodie prangen die Kritzeleien von – da schließt sich der Kreis – Jean Michel Basquiat.  Donald Schneider wäre nicht der Mann für Kollaborationen, wenn er Elho x Basquiat zum Start nicht eingefädelt hätte.

Alles sieht sehr aufgeräumt, durchdacht und hip aus. Womit der Anspruch eingelöst wäre, Funktionalität mit Fashion zusammenzubringen, Heritage mit Gegenwart, die Piste mit dem Großstadtpflaster. Markenbotschafter ist der Schweizer Ski-Freestyler Andri Ragettli, dem auf Youtube mehr als 900 000 Menschen folgen. Nach seinem Auftritt bei den X-Games in Aspen, in der weißen Basquiat-Bomberjacke, haben Asap Rocky und Rihanna gleich ein paar Teile bestellt.

Freestyler und Elho-Botschafter: Andri Ragettli in Action. (Foto: ELHO)

Es ist also alles großartig und außerdem die Hölle. Bei aller Expertise: Eine Produktions- und Lieferkette auf die Beine zu stellen vom ersten Entwurf bis zum Online-Store und Einzelhandel, das hat selbst einen Vollprofi wie Schneider umgehauen. Er steht dieser Tage um fünf Uhr auf und arbeitet bis nachts um elf. Die emotionalen Ausschläge dazwischen: hat kein EKG jemals gemessen. „Am Morgen heißt es: Der Produzent kann die Jacke leider nicht liefern. Am Nachmittag teilt uns die britische Kaufhauskette Selfridges mit, dass sie an Elho interessiert sind. Einmal täglich denken wir, jetzt müssen wir dichtmachen, und ein paar Stunden später glauben wir fest daran: Es geht durchs Dach.“ Er schüttelt den Kopf, lacht. Er bleibt ein positiver Mensch.

Als Bedenkenträgerin hätte man jetzt einwerfen können: Was macht ein Wintersport-Label eigentlich im Sommer? Das hätte Donald Schneider bestimmt motiviert. Aber die Frühjahrskollektion ist längst fertig, erste Samples hängen im Loft schon an der Stange. Und was soll man sagen. Sie sieht cool und vollkommen logisch aus.