Wie unsere Autorin den Blackout in Lissabon erlebte

Als es dunkel wurde, hatte ich gerade eine Metrofahrkarte gelöst. Es war Montag, 11.33 Uhr, und ich wollte zu einem Markt im Westen Lissabons fahren, noch mal ein bisschen Atmosphäre genießen, bevor ich nach Deutschland zurückfliegen würde. Mit einem leisen „Klick“ verabschiedete sich die Station, alles lag schwarz da. Die Ventilatoren hatten ihr Brummen eingestellt, die Automaten quittierten den Dienst.

Ein Stromausfall? Ich stieg die Treppe hinauf, hinein ins warme Sonnenlicht des entspannten Lissabonner Viertels Graça. Vor den Cafés und Geschäften standen ein paar Leute, nichts wirkte ungewöhnlich. Ich zog mein Handy heraus, um den Weg zur nächsten Haltestelle zu suchen – bestimmt war nur meine Station betroffen, also würde ich zu einer anderen laufen. Ein Kurzschluss oder so. Doch die Kartenapp auf dem Mobiltelefon lud nicht. Der Empfang war weg. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Portugal und Spanien waren von einem massiven Stromausfall getroffen worden, der fast das gesamte öffentliche Leben für mehr als zwölf Stunden zum Erliegen bringen würde. Und ich mittendrin.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Über den Blackout auf der Iberischen Halbinsel hieß es zunächst, ein Brand in Frankreich sei dafür verantwortlich gewesen. Ein spanischer Politiker sprach von einem Cyberangriff, andere von einem Wetterphänomen in der Atmosphäre. Einige Tage später hieß es dann, eine Temperaturschwankung könnte der Grund gewesen sein. Fakt ist: In allen großen Städten brach der Verkehr zusammen, Mobilfunknetz und Internet waren über Stunden nicht verfügbar, Hunderte Flüge wurden gestrichen, Tausende Urlauber strandeten, in Spanien starben drei Menschen an einer Kohlenmonoxidvergiftung durch ihren Benzingenerator. Ich hatte von alldem keine Ahnung. Ich stellte nur fest, dass offenbar der Strom weg war.

Der Blackout verlängerte unseren Urlaub ungewollt

Ich war mit einer Freundin unterwegs. Ein langes Wochenende in der portugiesischen Hauptstadt, die gefliesten Häuser bestaunen, die Feiern anlässlich des Jahrestags der Nelkenrevolution miterleben, zur Jesus-Statue wandern, Fisch essen. Genau so war es auch. Bis der Blackout unseren Urlaub ungewollt verlängerte.

Als uns klar wurde, dass der Strom nicht innerhalb kurzer Zeit zurückkommen würde, machten wir uns auf den Weg zum Flughafen. Bis zum Abflug waren es zwar noch Stunden, doch da Straßenbahnen, Metro und Züge nicht fuhren, drängten sich auf den Straßen schon die Autos dicht an dicht. Die Busse waren komplett überfüllt. Inzwischen waren alle Straßen und Plätze voller Menschen, jedes Geschäft hatte geschlossen, überall liefen, warteten, saßen Leute.

Unsere Bargeldreserven waren schmal

Keine Ampel in Lissabon ging, zwischen vorankriechenden Autos sprangen Fußgänger herum. Wir fuhren ein Stück mit einem Taxi, immer das Taxameter im Blick: Unsere Bargeldreserven waren schmal, und kein Geldautomat spuckte mehr etwas aus. Einen guten Kilometer vor dem Flughafen fuhr unser Chauffeur rechts ran – er kam nicht weiter, und wir marschierten zu Fuß durch einen Park zum Airport. Das war ein Glück, wie sich später herausstellen sollte.

Rund um die Terminals campierten die Menschen. Eine Polizistin bewachte die Tür, allein. Zwar kamen alle paar Sekunden Reisende auf sie zu und fragten nach Informationen, doch die Stimmung war weder aggressiv noch panisch. Aus Spanien gab es später Berichte von Plünderungen. Für Lissabon kann ich sagen: Es blieb ruhig und ziemlich freundlich. Obwohl es auf dem ganzen Flughafengelände noch genau eine Toilette gab, die offen hatte.

Noch glaubten wir daran, irgendwann abzuheben

Noch glaubten wir daran, irgendwann abheben zu können, wenngleich mit massiver Verspätung. Einige Stunden später sagte eine Mitarbeiterin des Flughafens in gelber Warnweste: „Hier fliegt heute nichts mehr.“ Ich fragte, wie wir eine Übernachtung organisieren sollten – das Internet ging seit Stunden nicht. „Wenden Sie sich an die Airline“, sagte die Frau. Doch auch das Telefonnetz war zu weiten Teilen ausgefallen.

Aufregung nützt ja nichts: Am ­Flughafen Lissabon war die Stimmung recht entspannt - trotz Stromausfall.
Aufregung nützt ja nichts: Am ­Flughafen Lissabon war die Stimmung recht entspannt – trotz Stromausfall.Picture Alliance

Rückblickend war das wohl der Moment, in dem uns langsam ins Bewusstsein sickerte, dass wir ein Problem hatten. In solchen Situationen bekommt manch einer Panik, andere verfallen in den Problem-löse-Modus, der nächste lehnt sich zurück und sagt: Ich kann gerade eh nichts ändern. Besser fühlt sich auf jeden Fall, wer vorgesorgt hat. Leider gehöre ich zu Team Sorglos und reise am liebsten nur mit einer Zahnbürste, Kreditkarte und ein bisschen Wechselwäsche. Bargeldreserven, Not-Biwaksack, Powerbank, ein Offline-Stadtplan oder eine kleine Stirnlampe? – Fehlanzeige. Angesichts der Aussicht, draußen schlafen zu müssen, dachte ich wehmütig an meinen Partner, der das Haus selten ohne zumindest rudimentäre Notfallausstattung verlässt. Das würde kalt werden. Und die Taschenlampe meines Handys sollte ich lieber nicht zu oft benutzen. Der Ladebalken schmolz kontinuierlich ab.

Wir gingen unsere Optionen durch. Erstens: Am Flughafen bleiben, warten, bis sich irgendwas tut, bis uns vielleicht ein Hotel vermittelt wird. Oder gar ein Flug. Option zwei: Zurück in den Park. Noch war es warm, warten konnten wir dort netter. Wir schulterten die Rucksäcke und liefen los.

Die Rettung hieß Emilia. Sie hatte spontan frei, wegen des Stromausfalls, und war zum Lesen in den Park gegangen. Wie durch ein Wunder hatte sie noch Empfang auf ihrem Handy mit lokaler Sim-Karte. Schnell kontaktierten wir Freunde in Deutschland, die sich um ein Hotel bemühen, uns die Adresse der deutschen Botschaft schicken, die Airline erreichen und der Redaktion mitteilen sollten, dass wir am folgenden Tag kaum zur Arbeit erscheinen würden. Nach wenigen Minuten brach die Verbindung auch bei Emilia zusammen. Doch sie bot uns ihre Zweisitzercouch für die Nacht an. Bequem war das nicht, aber anders schön: Wie wir mit ihren WG-Mitbewohnern bei Kerzenschein um den Tisch saßen, Karten spielten und uns darüber wunderten, wie viel Glück im Unglück man haben kann. Und wie hilfsbereit Menschen in Not­situationen sind.

Als gegen 23.30 Uhr der Strom zurückkam, jubelte der ganze Tisch. Wir konnten endlich unseren Fluganbieter kontaktieren – und nach einer Nacht, die schlecht für den Rücken, aber gut für die Seele war – Portugal verlassen.