Wie Tuta sich raus aus dem Schatten gespielt hat

Januar 1999, die letzte Minute des Spiels Venedig gegen Bari läuft. Der Brasilianer Tuta köpft den Siegtreffer für Venedig, nur jubeln will niemand mit ihm. Nach dem Spiel sagt der brasilianische Stürmer der italienischen Presse, dass er davon ausgeht, dass das Spiel geschoben war. Ein halbes Jahr später wird in São Paulo Lucas Silva Melo geboren. Seine gesamte Jugend spielt er für den FC São Paulo, und weil seine Nase ähnlich groß, seine Augen ähnlich braun sind, nennen sie ihn Tuta, wie den Stürmer. Tuta der Zweite ist aber kein Torjäger, er verteidigt. Und weil er das so gut tut, werden die Scouts von Eintracht Frankfurt 2018 auf ihn aufmerksam.

Sein erstes Spiel macht er schließlich im Oktober 2020. Als der ehemalige Trainer Adi Hütter ihn gegen Hoffenheim einwechselt, klatscht sich Tuta mit David Abraham ab und blickt zu seinen Nebenleuten Martin Hinteregger und Makoto Hasebe. Bald blicken sie zu ihm: Tuta spielt sich fest, grätscht gegen Barcelona und jubelt in Sevilla als Stammspieler über den Europapokalsieg. Heute ist er einer der dienstältesten Spieler, aus der Startelf des Finals gegen die Glasgow Rangers sind lediglich Ansgar Knauff, Kevin Trapp und er übrig. Länger im Kader sind nur Timothy Chandler und Trapp.

Im Sommer 2024 verpflichtete die Eintracht gleich drei Verteidiger: Arthur Theate, Rasmus Kristensen und Aurèle Amenda. Vor allem Theate könnte Tuta gefährlich werden, kommentierten viele Beobachter. Der Belgier kann als linker Innenverteidiger spielen und damit Robin Koch perfekt ergänzen. Auch Kristensen kann zentral verteidigen. Und Amenda, der schon im Winter aus Bern geholt und direkt zurückverliehen wurde, gilt als großes Talent – ebenfalls für die Zentrale.

Die Luft schien also dünner zu werden für Tuta in seinem sechsten Frankfurter Vertragsjahr. Drei Monate später gehört der Brasilianer, der in der Saison 2019/2020 an den KV Kortrijk nach Belgien ausgeliehen worden war, statistisch gesehen zu den besten Verteidigern der Liga. Was ist da passiert? „Auch in der letzten Saison hat er schon viele gute Spiele gemacht“, sagte Trainer Dino Toppmöller kürzlich. Da sei es nur nicht so sehr aufgefallen, weil die Eintracht als Gruppe schwankte. Das stimmt, Tuta spielte teilweise stark, stand aber im Schatten seiner Nebenmänner Koch und Willian Pacho. Seit Pacho weg ist und die neuen Verteidiger da, wirkt er gefestigter.

Kein schlechtes Spiel, keine Patzer

Mit Theate und Kristensen sind zwei Abwehrleute dazugekommen, denen anzusehen ist, dass es ihnen Spaß macht, sich in Schüsse zu schmeißen und Stürmer zu traktieren. Tutas Anlagen sind unbestritten, in den Zweikampf kommt er oft genau zur rechten Zeit, seine Pässe sind scharf. Wieso sollte dieser Mann nicht für eine größere Mannschaft spielen als die Eintracht? Weil er immer wieder Fehler macht, hieß das Urteil. Toppmöller sagt: „Sein Potential hat er schon in den letzten Jahren gezeigt. Es ist sehr schön, dass er es jetzt konstant abruft.“

Tuta hatte in der aktuellen Saison noch kein schlechtes Spiel, keinen Patzer, im Gegenteil: Er fängt die zweitmeisten Zuspiele ab und spielt häufiger raumgewinnende Pässe als 96 Prozent seiner Verteidigerkollegen in der Liga. Über die Jahre hat er sich hier besonders verbessert: Kamen in seiner ersten Saison 2020/21 84 Prozent der Zuspiele an, sind es nun 93 Prozent.

Werte auf dem Niveau internationaler Topverteidiger

Zusammen mit Koch und Theate, die ebenfalls herausragend das Spiel eröffnen, bildet Tuta gewissermaßen das Fundament des halsbrecherischen Frankfurter Spiels: Würden er und seine Kollegen nicht geduldig hin und her spielen, bis Marmoush oder Ekitiké in die Lücke starten, würde einer von ihnen dann nicht den Pass spielen – die Konter wären nur halb so gefährlich. Acht Tore hat Tuta in seinen 113 Spielen geschossen, vier vorbereitet. Gerade bei Standards ist er nicht allzu gefährlich. Seine restlichen Werte sind auf dem Niveau internationaler Topverteidiger – irgendwas müssen sie also doch geändert haben bei der Eintracht. „Nein, haben wir nicht“, sagt Toppmöller und schmunzelt.

Vielleicht liegt es auch an der neuen Position: Häufig spielt Tuta im defensiven Mittelfeld, zuletzt auch gegen den Double-Sieger Bayer Leverkusen. Dort darf er dribbeln, gegen Kiel ließ er mehrere Spieler nacheinander aussteigen. „Wir lassen es uns offen, ob er als Innenverteidiger spielt, in der Fünferkette als Halbverteidiger oder im Zentrum“, sagt Toppmöller.

In zwei Jahren läuft Tutas Vertrag aus. Die Frankfurter dürften alles daran setzen, mit ihm zu verlängern. 25 Jahre ist er alt, wurde jüngst erstmals Vater. Verteidiger werden bekanntlich nicht unbedingt schlechter, je erfahrener sie sind. Für sein Land hat Tuta noch nie gespielt. „Für Brasilien aufzulaufen, das wäre ein Brett“, sagt sein Trainer. Zentral verteidigen bei der Seleção Marquinhos, Paris St. Germain, und Gabriel Magalhães, Arsenal London. Ist da noch Platz für Tuta, Herr Toppmöller? „Wenn er weiter so konstant spielt, wird sich für ihn eventuell was bewegen.“ Seinem Vorbild, dem Namen nach, wäre Tuta dann einen Schritt voraus. Der Stürmer spielte zwar für 25 Klubs, aber nie für Brasilien.