Wie steht es um die Gleichberechtigung im Sport?

Kurz bevor sie ins Stadion einziehen, sehen sie die Bilder. Die deutschen Frauen schauen vor dem Spiel auf ihre Handys. Sie sehen, wie Fans mit Fahnen durch die Basler Innenstadt ziehen. Und sie hören vielleicht in einem Video, wie ein Mann ins Mikrofon ruft: „Ich habe eine Zahl gehört. 17.000 Fans aus Deutschland sind hier.“ Dann laufen die deutschen Frauen gemeinsam ein.

Es ist der 8. Juli. Die deutsche Nationalmannschaft spielt in Basel gegen Dänemark. Als die Frauen auf dem Rasen stehen, schauen sie in die Ränge. Dort sehen sie nicht nur ein Fahnenmeer, sondern auch Fans, die Schilder hochhalten. Auf einem steht: „Jule, kann ich bitte dein Trikot!“ Nach dem Spiel machen die Spielerinnen Selfies mit den Fans. Giovanna Hoffmann gibt am Spielfeldrand ein Autogramm nach dem nächsten.

Man kann vieles über die Fußball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz schreiben. Man kann über das sportliche Niveau schreiben, über starke und schwache Spielerinnen, über die Dramen, die dieses Turnier produziert hat. Doch egal, was auf dem Platz passiert ist, eines steht fest: Dieses Turnier hat einen Hype ausgelöst, in der Schweiz, in Deutschland, in ganz Europa. Schon bei der Europameisterschaft in England 2022 war das ähnlich.

Vom Schatten ins Stadion-Rampenlicht

Das war nicht immer so. Lange standen Sportlerinnen im Schatten der Männer – und sie tun es noch immer. Doch bei dieser Europameisterschaft wurden schon vor dem Finale mehr als 620.000 Tickets verkauft, das ist ein Rekord. Die Einschaltquoten für die Spiele der deutschen Frauen zogen mit dem „Tatort“ gleich. 10,7 Millionen Menschen verfolgten beispielsweise den dramatischen Einzug der deutschen Fußballspielerinnen ins EM-Halbfinale. Haben die Frauen es nun aus der Nische ins Rampenlicht geschafft? Und wirkt sich dieser Effekt auch auf andere Sportlerinnen aus?

Bei den Zuschauern gelang ihnen ein Sieg: Klara Bühl und Selina Cerci umarmen sich nach dem verlorenen Halbfinale.
Bei den Zuschauern gelang ihnen ein Sieg: Klara Bühl und Selina Cerci umarmen sich nach dem verlorenen Halbfinale.dpa

Ein Blick zurück zeigt: Einiges aufzuholen haben die Frauen allemal. Viele Vereine aus ganz Europa nahmen bei ihrer Gründung zunächst nur Männer auf. Sogar der Deutsche Turner-Bund, der heute wesentlich mehr Frauen denn Männer als Mitglieder zählt, schloss in seinen Anfängen Frauen völlig aus. Beim Fußball galt das für Frauen bis Anfang der Siebzigerjahre. Frauenabteilungen waren damals nicht erlaubt. Und noch immer gibt es Rudervereine in Deutschland, die keine Frauen aufnehmen.

Seit damals hat sich einiges verändert. Längst haben die Frauen im Tennis die großen Courts erobert. Sie spielen Fußball in vollen Stadien. Die Turnerin Simone Biles zieht als Star der Olympischen Spiele alle Blicke auf sich, wenn sie durch die Luft wirbelt. All das kann schnell darüber hinwegtäuschen, dass Frauen immer noch nicht die gleiche Präsenz wie den Männern zuteil wird.

Pionierinnen und Powerfrauen

Bis heute kämpfen Sportlerinnen dafür, so wahrgenommen zu werden wie ihre männlichen Kollegen. Eine Vorreiterin für die Rechte von Frauen ist die Tennis-Ikone Billie Jean King. Schon in den Siebzigerjahren forderte sie die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen. Später übernahm Serena Williams diese Rolle, eine der einflussreichsten Frauen im Sport. Sie kämpfte öffentlich dafür, dass Frauen bei Grand-Slam-Turnieren die gleichen Preisgelder wie Männer bekommen. Heute ist das der Fall. Und sie kritisierte regelmäßig, dass über Frauen in den Medien weniger berichtet wird als über Männer. Einmal sagte sie: „Ich werde härter beurteilt, weil ich eine Frau bin und weil ich schwarz bin.“

Kämpfte auch abseits des Platzes: Serena Williams
Kämpfte auch abseits des Platzes: Serena WilliamsAFP

Die Medien, die den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen können, sind hierbei ein Teil des Problems. „Frauen sind selbst bei Medaillenerfolgen in der Sportberichterstattung unterrepräsentiert“, sagt Ilse Hartmann-Tews, die jahrelang zur Präsenz von Sportlerinnen an der Deutschen Sporthochschule in Köln forschte. Sie untersuchte in einer Studie, wie Frauen bei den Olympischen Sommerspielen von 2000 bis 2016 visuell in den Medien präsentiert wurden. Hier treten mittlerweile genauso viele Männer wie Frauen an. Trotzdem waren wesentlich weniger Bilder von Frauen zu sehen, 90 Prozent zeigten Männer, nur zehn Prozent Frauen. Ihr Fazit: Die Sportlerinnen waren nahezu unsichtbar, sie tauchten deutlich seltener auf.

Heute nutzen Sportlerinnen längst andere Kanäle, um aus dem Schatten der Traditionsmedien zu treten. Sie posten Videos in den sozialen Medien, und auch die Werbeindustrie hat erkannt, dass der Frauensport ein großer Markt ist. Die klassischen Medien ziehen ebenfalls nach. Die „Sportschau“ will beispielsweise mit ihrem Format „Sportschau F“ Frauen in den Mittelpunkt rücken. Doch wie die Männer werden Sportlerinnen deswegen noch lange nicht behandelt. Noch immer kämpfen Frauen dafür, als Sportlerinnen gesehen zu werden. Sie kämpfen dafür, die gleiche Bezahlung zu bekommen und die gleiche Präsenz. Bei den French Open kritisierte die Tennisspielerin Ons Jabeur die Organisatoren dafür, dass Frauen nicht bei der beliebten „Night Session“ präsent waren. Sie folgerte daraus eine besorgniserregende Tendenz für den Frauensport.

Gleichberechtigung: Noch lange kein Ziel erreicht

Sportlerinnen, die sich für ihre Rechte einsetzen, gibt es viele. Auch das zeigt, dass das noch immer nötig ist. Die ehemalige amerikanische Fußballspielerin Megan Rapinoe ist dabei eines der bekanntesten Gesichter. Unermüdlich engagierte sie sich für die Rechte der LGBTQI+-Community und die Gleichstellung der Geschlechter. Auch die ehemalige Leichtathletin Allyson Felix hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen zu stärken. Sie zeigte während ihrer Karriere, dass es möglich ist, eine erfolgreiche Athletin und Mutter zu sein. Und wies immer wieder auf die Schwachstellen im System hin. Heute sehen sich Sportlerinnen wie die Fußballspielerin Alexia Putellas und die deutsche Hockeyspielerin Nike Lorenz als Stimme der Frauen und setzen sich ebenfalls für die Rechte der LGBTQI+-Gemeinschaft ein.

Ihre Forderungen zeigen, dass es bis zur echten Gleichberechtigung von Sportlerinnen und Sportlern noch ein weiter Weg ist. Im Tennis und Fußball stehen die Frauen mittlerweile mehr im Rampenlicht. Doch das gilt längst nicht für alle Sportarten – und alle Frauen. Der Scheinwerfer, der auf die EM-Spielerinnen gerichtet wurde, muss wesentlich größer werden. Sonst bleiben weiterhin viele Sportlerinnen unsichtbar.