Wie stark Renten und Beitragssätze steigen sollen

Die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat keine Mehrheit im Parlament mehr. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht dennoch davon aus, dass sein „Rentenpaket II“ und die damit beabsichtigte Beschleunigung von Rentenerhöhungen wie geplant in Kraft tritt. Das ergibt sich aus dem Entwurf des neuen Rentenversicherungsberichts, der jährlich um­fang­rei­che Vorausberechnungen liefert und den sein Ministerium nun fertiggestellt hat.

Darin wird unterstellt, dass der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor zur Abfederung der Demographielasten bei künf­ti­gen Rentenerhöhungen keine Wirkung mehr entfaltet und damit die Renten stärker steigen. Genau dies ist das Ziel einer geplanten Rechtsänderung durch das umstrittene Rentenpaket. Der Berichtsentwurf liegt der F.A.Z. vor.

Die mehr als 20 Millionen gesetzlich versicherten Ruheständler könnten demnach in den kommenden drei Jahren jeweils mit Rentenerhöhungen von drei bis vier Prozent rechnen. Auf der anderen Seite müssen sich Arbeitnehmer und Ar­beitgeber darauf einstellen, dass der Rentenbeitragssatz nicht erst 2028, sondern schon 2027 steigt. Dazu tragen neben den Wirkungen des umstrittenen Rentenpakets auch die Schwäche der Wirtschaft und die schlechtere Lage auf dem Arbeitsmarkt bei. Diese Erhöhung käme zu der am Freitag von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigten Erhöhung des Pflegebeitragssatzes um 0,2 Prozentpunkte zum 1. Januar 2025 hinzu.

Vogel: „Dieses Rentenpaket II darf und wird nicht kommen“

Auf eine Unterstützung der FDP bei der Umsetzung des Rentenpakets können SPD und Grüne nicht mehr rechnen. Das machte deren Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Johannes Vogel am Freitag deutlich. „Dieses Rentenpaket II darf und wird nicht kommen“, sagte Vogel der F.A.Z. „Olaf Scholz und Hubertus Heil wollen die Beiträge für die arbeitende Mitte und die jüngeren Generationen immer weiter erhöhen.“ Das sei mit der FDP-Fraktion „nach wie vor nicht zu machen“.

Notwendig seien Reformen, „die für stärker steigende Renten statt stärker steigende Beiträge sorgen“, sagte Vogel und verwies auf das Bespiel kapitalgedeckter Systeme wie in Schweden. „Wir brauchen jetzt eine Politik, die in Jahrzehnten denkt – das Gegenteil hat uns gerade in die wirtschaftlichen Probleme geführt.“

Unabhängig davon, was aus dem Rentenpaket wird, steht den Rentnern eine Erhöhung ihrer Bezüge um gut 3,5 Prozent im Juli kommenden Jahres in Aussicht. Das weist der Berichtsentwurf des Arbeitsministeriums aufgrund vorläufiger Daten und Schätzungen aus. Im kommenden Jahr gelten auf jeden Fall noch die bisherigen Gesetzesregeln, das Rentenpaket würde erst von 2026 an greifen. Die genaue Höhe der jährlichen Rentenanpassung wird immer im März ermittelt, wenn alle dazu benötigten Daten vorliegen – vor allem die Entwicklung der Löhne im Vorjahr, die das Hauptkriterium dafür ist. In jedem Fall dürfte die Erhöhung die Inflationsrate von rund zwei Prozent übertreffen, die Kaufkraft der Renten also steigen.

2027 Rentenerhöhung um 4,2 Prozent in Aussicht

Für 2026 rechnet das Arbeitsministerium nun mit einer Rentenerhöhung um 3,4 Prozent, und für 2027 stehen demnach sogar knapp 4,2 Prozent in Aussicht. Eine Alternativrechnung für den Fall, dass das Rentenpaket nicht kommt, liefert der Entwurf nicht. Anhaltspunkte gibt der Rentenversicherungsbericht von 2023, in dem das Paket noch nicht berücksichtigt war, der zugleich aber auf günstigeren Wirtschaftsannahmen basierte: Anhand der damaligen Schätzdaten wurden Rentenerhöhungen von 3,8 Prozent für 2026 und von 3,9 Prozent für 2027 prognostiziert.

Die Beitragszahler müssen sich indes nun wohl im jedem Fall schon für 2027 auf eine Erhöhung ihrer Abzüge für die gesetzliche Rente einstellen. Dem Berichtsentwurf zufolge ist dann mit einer Anhebung des Beitragssatzes von bisher 18,6 Prozent auf 18,9 Prozent des Bruttolohns zu rechnen. Eine Beitragserhöhung um 0,3 Prozentpunkte macht für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen jährliche Mehrbelastungen von etwa fünf Milliarden Euro aus. Für 2028 erwartet das Ministerium eine Erhöhung um einen weiteren Prozentpunkt auf 19,9 Prozent. Die Summe der Beitragssätze von Renten-, Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung erreicht damit voraussichtlich 2028 die Marke von 44 Prozent.

Vor einen Jahr hat­te sich die Entwicklung des Rentenbeitragssatzes noch günstiger dargestellt. Damals wurde für 2028 eine erste kleine Beitragserhöhung auf 18,7 Prozent prognostiziert; ein Sprung auf 19,9 Prozent wäre erst 2029 erfolgt. Für das Jahr 2035 erwartet das Ministerium nun ein Überschreiten der Marke von 22 Prozent. Das wäre dann ein Prozentpunkt mehr als nach der alten Vorausberechnung.

Anstieg der jährlichen Rentenausgaben auf mindestens 650 Milliarden Euro

Grundsätzlich ist es so, dass sich die Wirkung des Rentenpakets auf die Höhe der Renten und der Rentenausgaben schrittweise aufbaut, in den ersten Jahren also mit Zehntelprozentpunkten beginnt und dann allmählich zunimmt. Bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts würde das Paket dem ohnehin erwarteten Anstieg der jährlichen Rentenausgaben von derzeit knapp 400 Milliarden auf dann 650 Milliarden Euro weitere 40 Milliarden Euro hinzufügen. Während nach bisheriger Gesetzeslage in der Zeit bis Ende des kommenden Jahrzehnts Rentenerhöhungen um insgesamt etwa 48 Prozent zu erwarten wären, würden daraus mit dem Rentenpaket etwa 58 Prozent.

Kanzler Scholz hatte die Umsetzung des Rentenpakets in seiner Rede zur Aufkündigung der Ampelkoalition am Mittwoch auf eine Dringlichkeitsstufe mit weiteren Hilfen für die Ukraine gestellt. Ohne Zustimmung der FDP könnte er das Paket aber nur mit Hilfe der Union im Bundestag durchsetzen. Diese könnte dadurch in eine politische Belastungsprobe geraten, weil es auch in ihren Reihen Forderungen nach stärkeren Ren­ten­er­hö­hun­gen gibt.

Bisher stellt sich für die Union die Frage nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung darüber aber vor allem aus einem taktischen Grund nicht: Ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat jegliche Überlegungen zu einer möglichen Kooperation mit der rot-grünen Minderheitsregierung bei einzelnen Gesetzesvorhaben davon abhängig macht, dass Scholz zuvor im Bundestag die Vertrauensfrage stellt und damit schnell den Weg zu Neuwahlen freigibt. Scholz hat angekündigt, die Vertrauensfrage erst Mitte Januar zu stellen.