Wie Sønderborg in Dänemark zum Leuchtturm der Welt werden will



Am Sund liegt die traditionelle Uferpromenade der Stadt.




Als Pionier der Energiewende kann Torben Esbensen das sonst schwer Sichtbare von hier aus sofort erkennen. Und er kann es auch erklären, weil er das meiste mit errichtet hat. Zuvor sind wir auf einen kleinen begrünten Hügel gestiegen, von wo wir einen besseren Blick auf die gesamte Wohnanlage haben. 432 Wohneinheiten in 19 Blöcken, außen verkleidet mit dem hellgelben Klinkerstein, wie er in Nordschleswig üblich ist. „Aber nicht in Sozialwohnungen wie diesen“, sagt Esbensen. Aus vier bis fünf Meter Höhe sind auch die auf allen Blöcken installierten Solarpaneele zu sehen. 

Weniger leicht zu erkennen sind die dicke Dämmschicht unter dem Klinker, die 19 grünen Botschafter in den Mehrfamilienhäusern, die alle Sanierungsschritte gegenüber den Nachbarn verteidigt haben, und all die Rohrleitungen im Keller. Technik, Menschen, Kooperationen zwischen Unternehmen, Kommune und Bürgern – all das hat dazu beigetragen, dass die dänische Stadt Sønderborg auf dem Weg ist, die erste klimaneutrale Stadt in Europa zu werden. Für das Jahr 2029 hat sie sich das vorgenommen, die Treibhausgasemissionen entwickeln sich wie kalkuliert. In vier Jahren könnte es eine Party in der Stadt an der Flensburger Förde geben. 




Fast jeder vierte Einwohner lebt in Sozialwohnungen, was die Wärmewende erleichterte.





Die Wohnhäuser in Kløvermarken wurden aufwendig energetisch saniert.













„Mein ganzes berufliches Leben habe ich mich mit erneuerbaren Energien beschäftigt.“

TORBEN ESBENSEN





Esbensen ist schon ein halbes Jahrhundert am Thema. Mitte der siebziger Jahre hat er mit seinem Professor Vagn Korsgaard in Kopenhagen das erste europäische Nullenergiehaus errichtet. Damals zog Dänemark aus der Ölkrise weiterreichende Schlüsse als die meisten anderen Länder. Esbensen ist in Sønderborg geboren, verließ die Stadt für zwölf Jahre zur und nach der Studienzeit. Im Jahr 1979, als das Land alle Kommunen zur Wärmeplanung verpflichtete, kehrte er zurück und gründete er in seinem Heimatort ein Beratungsunternehmen. „Mein ganzes berufliches Leben habe ich mich mit erneuerbaren Energien beschäftigt.“ 






Ungewöhnlich war, dass Unternehmen der Region um Sønderborg den Anstoß gaben. Project Zero, der Klimaplan, ist eine Idee der Wirtschaft. „Sie sagte zu uns im Stadtrat: Das Klima wird ein Thema, damals sprach fast keiner über die Herausforderungen.“ Der Plan sollte auf zwei Säulen errichtet werden: Neue Betriebe und Stellen sollten geschaffen und der Welt sollte zu einem besseren Klima verholfen werden. Diese Kopplung habe den langfristigen Erfolg bewirkt. „Wäre es nur ums Klima gegangen, hätte man nicht den gesamten Stadtrat zusammenbringen können“, sagt Lauritzen.

Die CO2-Einsparungen der Stadt sind beachtlich: für die Heizwärme seit 2007 minus 76 Prozent, für Haushaltsgeräte minus 72 Prozent, für die Industrie minus 61 Prozent. Da viele Umstellungen mit Investitionen verbunden sind, die Unternehmen und die Stadt sukzessive tätigen, könnte es mit dem Zieldatum 2029 etwas werden. Nur mit dem Autoverkehr ist es nicht so einfach: 17 Prozent weniger Emissionen seit Beginn des Projekts. „Wir sind ungeduldig, aber beim Autoverkehr geht es in eine gute Richtung“, sagt Bürgermeister Lauritzen. Die Kommune stelle ihre Flotte um. In den vergangenen zwei Jahren seien mehr elektrische Autos als Verbrenner verkauft worden. „Aber es gibt ein Problem: Viele haben zwei Autos. Sie kaufen ein elektrisches und behalten das alte“, sagt er.






Doch das, was ein so großes Thema ist, der Klimawandel, die Rettung der Erde, auch hier ist es kaum sichtbar. Wenn Inge Skov zeigen will, was das ist, worauf sie stolz sind, muss sie in der Küche eine Tür öffnen, dahinter Rohre und eine Kunststoffisolierung. Ein Wärmetauscher übernimmt die gelieferte, zunehmend regenerativ erzeugte Energie ins Haus. Ein unspektakulärer Apparat, Standardtechnik. Was auch nur dem sichtbar wird, der danach fragt: Von den drei Kindern der Skovs ist eines weiter weg, eines in der Nähe und eines in Sichtweite. Das war ja eines der Ziele von Project Zero: das Klima zu schützen und neue Stellen zu schaffen.




Ihr Sohn arbeitet bei Danfoss, und damit kommt der wichtigste Akteur des Wandels ins Spiel. Unweit von den Skovs hatte auch Familie Clausen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen Bauernhof. Im alten Bauernhaus von 1898 erzählt ein Museum das Leben von Mads Clausen, dem Gründer des größten dänischen Industriekonzerns. Gefördert von seinen Eltern, interessierte er sich für Elektronik und wurde zum Industriellen. Mit Ventilen für Kühlschränke ging es los, heute ist Danfoss in dritter Generation familiengeführt und ein Weltmarktführer für Wärmesysteme.

In Laufentfernung vom alten Bauernhof stehen die alten Fabrikgebäude im typischen Baustil mit hellgelbem Klinker. Wer die Fabrik betritt, kann sich wieder auf die Suche nach dem Unsichtbaren begeben. Wie an Produktionsstätten üblich, überall unübersichtliche Leitungsrohre. Die Philosophie von Danfoss lautet: Senke den Verbrauch, verwende Energie wieder und ersetze sie durch regenerative Quellen. Eine Maschine in der weitläufigen Halle ist in einen Glaskasten eingebaut, oben setzt unmittelbar ein Rohr an. „Überschüssige Energie ist der wichtigste Energiefluss für uns“, sagt ein Mitarbeiter. 




Die erfolgreiche Wärmewende in der dänischen Stadt beruht auf intelligenter Technik des Danfoss-Konzerns.





Leitungsrohre fangen die Abwärme von Produktionsanlagen in der Fabrik ab.





Eine der Hallen von Danfoss mit Heizungssystem und Wärmespeicher





In einem Supermarkt auf dem Unternehmensgelände misst der Konzern relevante Daten, um das System effizienter zu machen.








Jede Maschine, die eine Arbeit verrichtet, erhitzt sich und führt Wärme direkt ins Rohrleitungssystem ab. Weil man das Unsichtbare kaum selbst erkennen würde, tritt der Mitarbeiter aus dem Inneren der Fabrik hinaus und zeigt auf ein etwa einen Quadratmeter großes Loch in der Wand, das mit gleichfarbigen Ziegeln gefüllt wurde. Hier strömte früher Abwärme aus der Fabrik nach außen. „Heute brauchen die Vögel einen Mantel“, sagt er scherzend. Denn die Zeit, in der sich die Luft draußen ohne jeden Nutzen aufheizte, ist mit der modernen Wärmerückgewinnung vorbei. 






Um in den Coop 365 Discount zu kommen, muss man von der Hauptzentrale nur die Straße überqueren. Alles, was an dem Supermarkt besonders ist, ist natürlich wieder einmal unsichtbar. Der klimaneutrale Kunde, der hier einkauft, läuft durch die Reihen, wie er es kennt. Backwaren, Süßigkeiten, Tiefkühlkost. Um die Welt zu retten, brauche es keine vollständig neuen Konsummuster, meint man in Sønderborg. Am Kühlregal mit Joghurt und Orangensaft werden die Verbraucher daran erinnert, die Türen schnell wieder zu schließen, um Energie zu sparen. „Luk lagen: det rigtide sted at spare pa energien“, das kennt man fast überall auf der Welt. 




Doch eines ist anders: Hinter den Zahnbürsten beginnt eine Fensterfront, etwa so groß wie ein Handballtor. Dahinter ist das Reich von Ejnar Luckmann. Der weißhaarige Ingenieur stellt sich als technischer Manager vor. In der Schaltzentrale hinter der großen Scheibe hat er versammelt, was die moderne Wärmetechnik bereithält. Seit 40 Jahren arbeitet er für Danfoss. Auf den 800 Quadratmetern des Supermarkts kann er vorführen, was möglich ist. Regelmäßig begrüßt er Besuchergruppen und erklärt, wie er ein Drittel aller benötigten Energie durch Solarquellen bereitstellt, wie er überschüssigen Strom ins Netz einspeist, warum er im Winter keine Energie zukaufen muss. Luckmann grinst so zufrieden, als habe er hier sein Lebensglück gefunden. 

„Wärme- und Kühlleute sind zwei unterschiedliche Spezien“, hat er festgestellt. Um diese Logiken zusammenzuführen, sei ein Schaufenster wie seines nützlich. Er zeigt auf ein Messgerät, das angibt, wie viel überschüssige Energie aus dem Supermarkt genutzt werden konnte: 33.000 Kilowattstunden, genug, um drei Haushalte für ein Jahr zu versorgen. „Wir können einiges messen: Was beispielsweise der Effekt einer Maßnahme ist. Wir haben einen integrierten Blick auf das System.“ In einem Kasten errechnet eine Software, welche von 10.000 Supermärkten energetisch wie abschneiden. Im Obergeschoss ein Wärmetauscher, Solarzellen auf dem Dach. Gegenüber ist die Biomasseanlage des Wärmeanbieters. Speist Danfoss genug Wärme ein, wird kein Stroh verbrannt. So wie jetzt, obwohl die Sonne hinter einer dünnen Wolkendecke liegt. „Das ist mein Baby“, sagt Luckmann und strahlt. 




Früher wurde aus dem Loch in der Wand Abwärme an die frische Luft gelassen, inzwischen gibt es keine ungenutzte Abwärme mehr.





Das Dach des Supermarkts auf dem Konzerngelände ist mit PV-Anlagen bestückt.





Eine der Produktionshallen von Danfoss am Hauptsitz








Vom Supermarkt dauert die Autofahrt ins Stadtzentrum etwa 20 Minuten. Der Aussichtspunkt im Alsik-Hotel bietet einen guten Überblick. Hier oben wird deutlich, was für einen Stempel der Danfoss-Konzern dem wiederbelebten Kern der Stadt aufgeprägt hat. Die Universität wird von der Stiftung unterstützt, die ihren Sitz einige Meter weiter am Sund entlang hat, ebenfalls am Ufer steht ein Gebäude, in dem Mitarbeiter von außerhalb unterkommen, wenn sie zu Besuch sind. Wieder einmal nahezu unsichtbar ist der Fortschritt, den die örtliche Klinik in den vergangenen Jahren erreicht hat.










Die medizinischen Geräte an der Klinik erzeugen am meisten Abwärme. Sie wird eingefangen.





Anstatt von zwei Gasboilern beliefern nun zwei Wärmepumpen das Krankenhaus mit Energie.








Immer wieder taucht dieser Gedanke auf, wenn man durch Sønderborg streift. „Warum sind wir einen Schritt voraus? Weil wir alle Institutionen in das Projekt einbezogen haben“, sagt Bürgermeister Lauritzen. Kindergärten, Schulen und Universitäten wurden animiert, über Nachhaltigkeit zu reflektieren. Abends hätten sich die Diskussionen am Essenstisch fortgesetzt. „Man muss das Mindset verändern, das ist geglückt. Es funktioniert nicht, wenn man zu den Bürgern sagt: Ihr müsst. Wenn es im Kindergarten gelehrt wird, kommen Themen von selbst“, sagt er. Etwas Lebensstiländerung, viel Technik und nichts, was die Stadt sichtbar verändern würde. 



„Warum sind wir einen Schritt voraus? Weil wir alle Institutionen in das Projekt einbezogen haben.“

ERIk LAURITZEN, Bürgermeister von Sønderborg



Oder Energiewende-Pionier Torben Esbensen, der das erste Nullenergiehaus Europas gebaut hat, in seinem klimafreundlichen Sozialbau mit den 19 grünen Botschaftern: „Wir wollten ein Projekt definieren, dessen Ziele die gesamte Gesellschaft mit Enthusiasmus verfolgen kann. Es wurde 2029, weil wir vor 2030 fertig werden wollten.“ Und natürlich sei nicht jeder Botschafter jederzeit von seiner Aufgabe begeistert. „Sie handeln unterschiedlich. Einige, die 40 oder mehr Familien in ihrem Block haben, sind mal mehr, mal weniger bereit dazu.“ 

Danfoss-Spitzenmanager Kristian Strand hat in Kopenhagen gerade erst wieder eine Delegation aus China empfangen. Er beantwortet zwei der meist gestellten Fragen im Klimadiskurs in einem Zug: Warum sollte ein kleines Land vorangehen? Und: Was, wenn die großen Länder nicht mitziehen? „Wir sind ein globales Unternehmen“, sagt er. Über 39.000 Menschen beschäftigt Danfoss. „Eine Vorreiterrolle Dänemarks erscheint vielleicht als nicht entscheidend im globalen Kontext. Aber das kommt immer auf die Perspektive an. Wir können uns zum Beispiel als europäischer Vorreiter darauf konzentrieren, den Transformationsprozess in einem Land wie China mitzugestalten. Das Land ist im Wandel begriffen und die Geschwindigkeit, mit der dies geschieht, ist bemerkenswert. Man denke nur an die Elektrifizierung. Der Weg ist zwar noch lang, aber es könnte schneller gehen, als man denkt.“