

Leder für 500 Taschen, große Ambitionen und viel Neugier – all das hatte Antoine Mothay im Gepäck, als er das erste Mal nach Ubrique in Andalusien kam. Handtaschen wollte der heute 40 Jahre alte Franzose herstellen lassen. Aus feinstem Leder, handgemacht, mit minimalistisch-zeitlosem, aber nicht austauschbarem Design. Für die vielen guten Handwerker ist der Ort in der andalusischen Provinz bekannt, auch Luxusmarken wie Loewe und Carolina Herrera lassen dort Taschen produzieren.
Das Problem: Im Vergleich zu den Stückzahlen der großen Marken wirkten die 500 Taschen, die Mothay fertigen lassen wollte, nicht besonders lukrativ für die Manufakturen. „Ich musste sie davon überzeugen, mit mir zu arbeiten“, sagt Mothay heute. Er klingt ein wenig amüsiert, wenn er über diese Zeit spricht, aber auch stolz.
Sein französischer Akzent färbt sein Englisch. Immer wieder lässt er Worte in seiner Muttersprache einfließen, etwa „particularité“, die Besonderheit. Davon gibt es viele in der noch jungen Geschichte von Polène. In Ubrique überzeugte Mothay die Besten der Besten. Als er nach einem Jahr seine Produktionspartner gefunden hatte, besuchte er fast täglich die Manufakturen und vergewisserte sich, dass jedes Detail stimmt, oft mit seinem Bruder. „Einer der Fabrikanten sagte, wir seien wählerischer als die Luxusmarken.“ Ihr Faible für Präzision und Perfektion verschaffte ihnen den Spitznamen „Millimeter-Brüder“. Mothay lächelt, wenn er davon erzählt. „Wir wollten, dass unsere Produkte gleich bei der Markteinführung so perfekt wie möglich sind.“ Wir, das sind Mothay, sein Bruder und seine Schwester. 2016 gründeten sie die Marke Polène.
Die „Millimeter-Brüder“: Perfektion als Prinzip
Neun Jahre später hat das Unternehmen eine eigene Manufaktur in Ubrique, 1200 Personen arbeiten dort. Sie schneiden das Leder zu, bereiten es für die Produktion vor, stellen die Konfektion her. So viel Selbstverwaltung ist ungewöhnlich für eine so junge Marke. Manche Schritte, etwa die Verarbeitung der Nähte, übernehmen andere Unternehmen in Ubrique. 90 Prozent der Produktion finden dort statt. Von Ubrique aus erobern dann Modelle wie Cyme aus Kalbsleder die Welt: minimalistisch im Design, auf zwei Arten tragbar (in korbähnlicher und in blumenartiger Form), in zwei Größen erhältlich (klein: 380 Euro, groß: 420 Euro). Die Numéro Neuf (390 Euro), ebenfalls aus Kalbsleder, fällt mit ihrem breiten Henkel auf, kann aber auch als Bodycross-Tasche getragen werden.
Spricht Mothay über die Herstellung der Taschen, vom Leder und vom Design, ist seine Begeisterung zu spüren. Diese Begeisterung teilt er mit der Polène-Kundschaft, die seit Ende September am Neuen Wall in Hamburg im neuen Geschäft der Marke die Taschen aus nächster Nähe entdecken kann.
Die Kunden werden mit Taschen und Wissen ausgestattet
Im hinteren Teil des ganz in Creme- und Brauntönen gehaltenen Geschäfts wird der Prozess von der Qualitätsprüfung des Leders an der Maschine bis zu dessen Zuschnitt und Verarbeitung gezeigt. Hier sind Maschinen zu sehen, wie sie auch in Gerbereien stehen. Auf einem großen Tisch liegen Zuschnitte für die Einzelteile einer jeden Tasche, an den Wänden hängen Beispiele für Verarbeitungstechniken: gewebtes Leder, zu verschlungenen Fransen gelegtes Leder, gesticktes Leder. Die Präsentation vor den weißen Wänden erinnert an eine Kunstgalerie.
Solche Bereiche sind für alle zukünftigen Geschäfte geplant. „Wenn wir ein Geschäft eröffnen, geht es nie nur um eine Verkaufsstelle. Wir wollen Wissen über die Marke und das Produkt vermitteln“, sagt Mothay. Das hat Nutzen für Polène-Trägerinnen und für die Marke: „Wenn man seinen Kunden Wissen vermittelt, werden sie zu den besten Botschaftern.“ Das funktioniere gerade in Deutschland gut, einem der mittlerweile größten Märkte für Polène. Fragen nach der Herkunft des Leders und seiner Verarbeitung seien hier vielen Kundinnen wichtiger als der rein modische Aspekt.
Nichts verschwenden: Lederreste als Designchance
Von Anfang an lag der Fokus bei Polène auf dem stationären Verkauf. Der große Erfolg der Marke online (allein auf Instagram hat sie rund drei Millionen Abonnenten) lässt viele Menschen anderes vermuten: „Die meisten denken, wir hätten als Onlinemarke angefangen, aber das ist nicht der Fall. Polène startete mit einem Geschäft, gerade einmal 20 Quadratmeter groß, an einer kleinen Straße in Paris.“ Das wichtigste Marketinginstrument war Mundpropaganda. Erst nach anderthalb Jahren kam der Onlineverkauf hinzu.
Die Geschäfte sind also mehr als nur Kulisse für die Taschen. Bei deren Herstellung können bis zu 50 Prozent des Leders nicht verwendet werden, etwa wegen der Textur, die für die Taschenverarbeitung ungeeignet ist. „Von Anfang an habe ich nie Leder weggeworfen, ich habe ein ganzes Lager mit Lederresten“, sagt Mothay. Schon oft sei ihm geraten worden, sie aus Platzgründen zu entsorgen, jedes Mal winkte er ab. Stattdessen werden sie zu kleinen Lederwaren verarbeitet, aber auch für Möbel und Ladendesign genutzt. Der von Weitem hölzern anmutende Tresen zum Beispiel besteht aus gepresstem Leder. Blumenskulpturen (die auch zum Verkauf stehen) sind ebenfalls aus Leder gefertigt. Auf einem Tisch liegt eine Decke aus gewebtem Leder.
Hochwertige und langlebige Materialien prägten auch ein Unternehmen, mit dem die Gründer-Geschwister indirekt verbunden sind: Saint James, jene Marke, die im 19. Jahrhundert das bretonische Fischerhemd populär machte. Deren Gründer war Mothays Urgoßvater. Der Urenkel war nie in das Unternehmen involviert, aber in der Bedeutung von Langlebigkeit und Zeitlosigkeit der Produkte erkennt er dann doch eine Gemeinsamkeit. „Ich habe noch immer einen Pullover meines Vaters von Saint James, daran sieht man, wie gut die Qualität ist.“
Die Kunden sollen die ganze Handarbeit hinter dem Produkt sehen
Auch ganz ohne Verbindung zu Saint James ist Polène Familiensache. Drei Geschwister gründen gemeinsam ein Unternehmen – wie funktioniert das? „Phantastisch“, lautet die kurze und klare Antwort. „Wer ein Unternehmen gründet, arbeitet 24 Stunden am Tag, hat keinen Urlaub, ist ständig unterwegs. Da hilft es, seine täglichen Erfolge, aber auch Schwierigkeiten mit jemandem teilen zu können, am besten mit der Familie, den Menschen, denen man am meisten vertraut und mit denen man nicht in Konkurrenz steht. Alle ziehen am selben Strang, zumindest bei uns.“
Beim Design der Taschen zieht Mothay auch mit seinem Team an einem Strang. Einige sind seit der Gründung dabei. Von der ersten Idee bis zur fertigen Tasche könne es bis zu zwei Jahre dauern, sagt Mothay. Für die Stationen auf diesem Weg – bis zu 40 Skizzen, die auf Mikrofaser angefertigt werden, Miniaturtaschen und Prototypen – brauche es Zeit: „Eine Balance zu finden, die unsere Taschen für besonders mode- und trendbewusste Frauen, aber auch für solche mit einem klassischen Stil tragbar machen, ist unsere Stärke.“ Die rief auch schon einen Investor auf den Plan: Seit Herbst 2024 hat L Catterton, eine zu LVMH gehörende Investmentgesellschaft, eine Minderheitsbeteiligung an dem Unternehmen.
Schon lange vor diesem Schritt war Polène als Marke bei Taschen- und Modefans so bekannt und präsent, dass viele überrascht sind, wenn sie hören, wie jung das Unternehmen ist. Der Erfolg dürfte auch den im Vergleich zu anderen Luxusmarken sehr moderaten Preisen zu verdanken sein. Es gehe weniger darum, andere zu über- oder unterbieten, betont Mothay, als vielmehr um „Wertwahrnehmung“, wie er es nennt: „Ich liebe den Begriff des ‚bewussten Luxus‘, bei dem man den Kunden die ganze Handarbeit hinter dem Produkt zeigt.“
Diese Idee scheint auch aus ganz anderer Perspektive zu funktionieren: Vor der hohen Glasfront des hinteren Geschäftsbereichs in Hamburg, der zum Alsterfleet liegt, bleiben immer wieder neugierige Betrachter stehen. Ihr Blick fällt auf Lederrollen, kunstvoll geflochtene Lederfäden und Zuschnitte auf dem großen Tisch.
