
Plötzlich, so mein Eindruck, sprechen alle nur noch über „alkoholfreien“ Wein. Sogar mein Arzt, seines Zeichens kein Weinkenner, aber ein Gelegenheitstrinker. Oder nein, warten Sie: Gelegenheitsgenießer, denn als Trinker würde er sich nur ungern bezeichnet sehen wollen. Am Vortag habe er sich eine ganze Reihe alkoholfreier Weine gekauft, sagt er, als ich ihn besuche. Er wollte „das“ mal ausprobieren.
„Entalkoholisierter Wein“ sei das, entgegnete ich und hielt ihm ein kleines improvisiertes Referat, etwa so: Denken Sie nicht, ein Wein käme ohne Alkohol zur Welt. Wein ist auf der Welt, Zeugen zufolge seit etwa 8000 Jahren. Alkoholfrei war er bis vor fast 120 Jahren nie, und wenn man der Dichtung glauben darf, dann hat der Alkohol im Wein die Menschen doch zumeist in gute, geistreiche bis kreative Stimmung versetzt und so der Kunstgeschichte zu Meisterwerken in allen Kategorien verholfen. Sogar die Kirche läutet dreimal, wenn der Pfarrer den Kelch zum Himmel hebt. Und als ehemaliger Messdiener darf ich Ihnen verraten: Auch da ist echter Wein drin und nicht etwa Traubensaft, wie es mir meine Eltern immer weismachen wollten, als ich noch kaum über den Altar schauen konnte und der Kelch daher an mir vorüberging (nicht aber an meinen Eltern).
Man braucht sich nichts vorzumachen: Den Alkohol aus dem Wein zu treiben, ist technisch aufwendig und durchaus absurd. Man presst reife Trauben und vergärt den Most zunächst zu trockenem Wein, der zwangsläufig – und Gott sei Dank – Alkohol enthält? Um diesen dann mittels teurer Verfahren wieder zu entziehen, während die ebenfalls entzogenen, aufgefangenen Aromen dem entseelten Wein wieder zugesetzt werden? Ist das logisch? Ebenso übrigens wie rektifiziertes Traubenmostkonzentrat, Dimethyldicarbonat (E242), Ethyllaurylarginat (E243), Kohlendioxid, Schwefeldioxid, L-Ascorbinsäure und/oder Gummiarabikum.