

Skispringen ist eine bisweilen mysteriöse Sportart. Verwissenschaftlicht ist sie schon längst, das Fluggefühl und die Materialabstimmung werden im Windkanal erarbeitet und schon im Sommer mit Mattensprüngen in der Praxis getestet. Doch Tüftelei zahlt sich nicht immer aus, manchmal verstärkt sie das Gefühl der Unsicherheit nur noch, was am vergangenen Wochenende etwa der deutsche Weltklasse-Athlet Andreas Wellinger erleben musste.
Beim Weltcup-Auftakt am Samstag in Lillehammer verpasste er die Qualifikation für den Wettkampf der 50 Starter, am Sonntag schaffte er es nicht in den zweiten Durchgang. Er springe zurzeit „wie ein abgestochener Vogel“, ohne Leichtigkeit und Selbstvertrauen, sagte Wellinger und wirkte ratlos. Sein Teamkollege Felix Hoffmann, 28 Jahre alt, landete dagegen am Sonntag sogar auf Platz drei. Beides erschien später einigermaßen unerklärlich.
Wellinger kündigte zwar schon vor den Wettkämpfen in Lillehammer an, dass er noch an seinem Setup tüftelt und nicht mit einer Topplatzierung rechnet. Dass er aber derart weit abgeschlagen sein würde, hatte er nicht erwartet. Der Thüringer Hoffmann hingegen, bisher ein Pendler zwischen dem B- und dem A-Team, verblüffte neben seinen Trainern auch sich selbst. Am Samstag belegte er nach dem ersten Durchgang Rang drei, verpatzte allerdings seinen zweiten Sprung. Er erreichte immerhin noch Platz zehn und damit sein bis dahin bestes Ergebnis im Weltcup.
„Er kann mit den Besten mitspringen“
Am Sonntag wiederum segelte Hoffman zweimal konstant stark und stand erstmals in seiner Weltcup-Karriere auf dem Podest. Nur der Japaner Ryōyū Kobayashi und der Slowene Domen Prevc, zwei Koryphäen ihres Sports, waren etwas besser. Das zeigt, in welch guter Verfassung Hoffmanns Flugsystem gerade ist. Bundestrainer Stefan Horngacher sagt dazu: „Felix muss sich daran gewöhnen, dass er mit den Besten mitspringen kann.“
Hoffmann ist bei der Bundespolizei angestellt und springt für einen Klub namens Ski- und Wanderverein Goldlauter-Heidersbach, ein Ortsteil von Suhl in Thüringen. Zwischen 2017 und 2024 gewann er fünf Wettkämpfe im Continental-Cup, der zweiten Liga der Skispringer. 2023, 2024 und 2025 belegte er im Weltcup die Positionen 70, 46 und 50; allerdings wurde er auch selten in dieser Serie eingesetzt, weil andere deutsche Springer stets besser waren als er.
Zwischen August und Oktober konnte Hoffmann bei der Sommer-Grand-Prix-Serie mit Top-Ten-Ergebnissen überzeugen. Ende Oktober gewann er bei den deutschen Meisterschaften in Oberhof schließlich sogar den Titel vor Philipp Raimund, der am Sonntag auf Platz vier flog. „Das war sein teaminterner Durchbruch“, sagt Horst Hüttel, Sportdirektor für Skisprung und Nordische Kombination des deutschen Skiverbandes, über Hoffmann.
Hoffmann hat das neue Fluggefühl bereits gefunden
Der internationale Durchbruch gelang ihm auch dank neuer Vorschriften des Weltverbandes Fis. Hoffmann profitiert von einer Anzugsreform. Die Suits sind nun wesentlich enger geschnitten als zuvor, die Fis will auf diese Weise den Segeleffekt des Materials minimieren. In der Folge mussten sich alle Skispringer auf ein neues Fluggefühl einstellen. Wellinger sucht es noch, Hoffmann und Raimund, die sich in Lillehammer ein Zimmer geteilt haben, haben es offensichtlich bereits gefunden.
Je weniger Fläche ein Anzug bietet, desto besser muss der Absprung passen, um ganz vorn zu landen. Hoffmann und Raimund gehören in dieser Kategorie zu den besten Skispringern im deutschen Team. Das Schöne an der Sportart sei eben, „dass auch noch mit 28 Jahren der Durchbruch gelingen kann“, sagt Hüttel. Vor einem Jahr sprang der damals 34-jährige Pius Paschke plötzlich zu fünf Weltcup-Siegen.
Dass er am Sonntag als bester deutscher Springer glänzen würde, machte Hoffmann beinahe sprachlos. Wobei er ohnehin „nicht viel redet und wenn, dann muss man ihn vorher schon etwas gefragt haben“, erzählte sein Teamkollege Karl Geiger in Lillehammer. Dafür lächelt Hoffmann umso mehr, ein Wesenszug, den auch seine Fans bemerkt haben. Im Frühjahr war beim Weltcup in Willingen ein Schild zu sehen, auf dem er als „Grinsebacke“ begrüßt wurde.
Bereits im Training und in der Qualifikation habe sich gezeigt, dass er zuletzt einen großen Sprung nach vorn gemacht habe, sagt Hoffmann. „Aber dass ich das im Wettkampf auch zeigen konnte, das ging dann doch sehr schnell.“ Insgesamt empfindet er seinen Aufschwung als „schon überraschend, aber die Sprünge waren eben gut“.
