
Das Ziel hat die Größe einer Zwei-Euro-Münze und wird auf einer Entfernung von 18 Metern anvisiert. Einmal „voll in die 10“ zu treffen kann mit Glück gelingen – aber um es öfter zu schaffen, muss sich der Schütze mit Leib und Seele den besonderen Anforderungen dieser Disziplin verschrieben haben.
Bogenschießen gehört zu den Präzisionssportarten, und wer mit Pfeil und Bogen die Mitte der ringförmigen Zielscheibe anvisiert, sollte seine eigene Mitte gefunden haben – ein ruhiges Händchen und vor allem ein ausgeglichenes Gemüt. „Wir streben einen Einklang von Körper, Geist und Material an“, sagt Christopher Goergen, der Vereinsvorsitzende des Bogensportclubs Oberauroff.
Oberauroff ist ein Vorort von Idstein im Taunus, nur etwa 300 Einwohner wohnen hier, doch sie haben einen Verein aus ihren Reihen hervorgebracht, der es über die Ortsgrenzen hinaus zu einer gewissen Bekanntheit gebracht hat. Die Schützen aus Oberauroff treten mit ihren Recurvebögen in der zweiten Bundesliga Nord an – und waren sogar schon erstklassig unterwegs.

Der Verein wurde 1971 gegründet, von „sieben gestandenen Oberauroffer Mitbürgern“, wie es die Vereinschronik ausweist. Schnell stellten sich erste Erfolge ein. Iris Schäfer, Tochter des damaligen Bürgermeisters, wurde Anfang der 1970er Jahre Hessenmeisterin. Später sammelten die Oberauroffer Bogenschützen weitere Titel ein: zehn deutsche Meisterschaften, dazu drei Dutzend Siege auf Landes-Ebene.
Eine CD aus 70 Metern Entfernung treffen
Trainiert wird im „idyllischen Haubental“. Wer von Idstein kommt, „unter der Autobahnbrücke durch“ und dann „an der einzigen Ampel des Ortes rein in den Feldweg“ – so erklärt Goergen den Weg: „Hier haben wir unsere Vereinshütte“. Nebenan erstreckt sich das Areal mit Übungswiese für den Sommer: „Dann schießen wir draußen“. Dass ein Reh auf die Lichtung trat und aus Versehen erlegt wurde, kam „zum Glück noch nicht vor“.
Laut Eigenbeschreibung zählt die Bogensportanlage „zu den schönsten in Deutschland“: 15 Scheiben in verschiedenen Entfernungen sind auf der Wiese platziert. Bei Wettkämpfen im Freien steht der Schütze 70 Meter von der Zielscheibe entfernt – die „10“ hat nun die Größe einer CD.

Sie zu treffen, erfordert eine Kombination aus sauberer Technik, mentaler Fokussierung und stetiger Übung. Die Haltung aufrecht, der Griff entspannt, der Bewegungsablauf automatisiert – vom Anziehen des Bogens bis zum Loslassen des Pfeils. Die Kunst liegt darin, konzentriert und doch locker zu sein. Ehrgeiz ist dabei nicht ausgeschlossen.
Im Jahr 2010, so erinnert sich Goergen, entwickelten die Oberauroffer die Idee, als Gemeinschaft das ferne Ziel Bundesliga anzuvisieren. Der BSC trat mit seinem Team seinerzeit in der Gauliga an, der untersten Ebene des Mannschaftssports: Doch dank der Konzentration der Kräfte gelang ihnen über Ober-, Hessen- und Regionalliga dann tatsächlich binnen weniger Jahre der Sprung in die Bundesliga.
Seit 2016 dreimal auf-, aber auch dreimal abgestiegen
Die Bogenschützen erwiesen sich als zielsichere Aufsteiger. Doch in der Bundesliga „wurde die Luft dünn“, wie der Vereinsvorsitzende erkannte. Auf höchster nationaler Ebene treten bisweilen Schützen an, „die das hauptberuflich machen“. Angestellte bei Zoll, Polizei oder Bundeswehr, die freigestellt sind fürs Sportschießen. Da können die Amateure aus dem Taunus nicht ganz mithalten – obwohl sie immer mal wieder nah dran sind. Insgesamt fünf Jahre lang gehörte der BSC Oberauroff schon der Eliteliga an, ist seit 2016 dreimal auf-, aber auch dreimal abgestiegen. Die Umsetzung eines Wunschs ist ihnen selbst in ihren besten Jahren noch nicht gelungen: beim Bundesliga-Finale der Spitzen-Teams im benachbarten Wiesbaden vor dem schicken Kurhaus antreten zu dürfen.

Derzeit tritt die erste von drei Mannschaften der BSC Oberauroff in der 2. Bundesliga Nord an. „Deutschland ist zweigeteilt“, erklärt Goergen, und meint damit die geographische Zuordnung der Bogensport-Standorte in Norden und Süden. Da es viele starke Vereine aus Bayern und Baden-Württemberg gibt, zählen die Hessen zu Norddeutschland. Am vergangenen Samstag stand für sie der erste Bogenliga-Wettkampf der Saison an. In der Sporthalle Harksheide in Norderstedt bei Hamburg. Dabei trugen alle acht Mannschaften jeweils sieben Gefechte aus – einmal jeder gegen jeden.
„Die größte Fehlerquelle bin ich selbst“
Ein Team besteht aus drei Schützen plus Ersatzleuten. Jeder Schütze gibt zwei Pfeile ab. Somit ergibt sich pro Durchgang die maximale Ausbeute von 60 Ringen. Die Duelle werden nach dem Prinzip „best of five“ ausgetragen: Das Team, das zuerst drei Sätze für sich entschieden hat, gewinnt die Begegnung.
In Norderstedt traten André Preusner, Markus Zellmann, Philipp Widmer und Nestor Couyoumtzoglou für Oberauroff an. Nach einer Auftakt-Niederlage gegen Gastgeber SG Norderstedt und einem Remis gegen Sherwood Herne II gewannen die Taunus-Schützen zwei Gefechte und verloren drei weitere. So fand sich das Team nach dem ersten Wettkampftag der Bogenliga auf Rang sechs unter acht Mannschaften wieder. „Wenn man mit 57 Ringen verliert, ist das absolut okay“, verwies der Vereinsvorsitzende auf das hohe Leistungs-Niveau.
Auf die magischen 60 Ringe für sechs Volltreffer kam das Taunus-Trio diesmal nicht – aber immerhin einmal auf eine 59. In den kommenden Monaten stehen in Itzehoe, Marburg und Oberhausen drei weitere Wettkampftage an. Die Zielsetzung ist laut Christopher Goergen immer dieselbe: „Ich versuche, jeden Schuss genauso zu machen, wie den zuvor.“ Das Problem dabei: „Die größte Fehlerquelle bin ich selbst“.
