Wie die Politik immer mehr die Zivilluftfahrt dominiert – Wirtschaft

Unterbrochen werden die vielen Verhandlungen in der Regel nur am frühen Nachmittag, wenn die Kampfjets unter ohrenbetäubendem Lärm ihre Flugvorführungen absolvieren – jede Kommunikation ist dann unmöglich. Davor und danach werden hier die großen Aufträge besprochen, unterschrieben und entsprechend gefeiert, die nächsten Flugzeugprogramme diskutiert, mit Zulieferern verhandelt. Alle zwei Jahre trifft sich die Luftfahrtbranche Mitte Juni für eine Woche zur Paris Air Show – es ist die mit weitem Abstand wichtigste Veranstaltung des Jahres für die Industrie. Ein riesiger Marktplatz, der auf dem Flughafen Le Bourget in der nördlichen Pariser Banlieue stattfindet.

In diesem Jahr ist der Aerosalon von Le Bourget von vornherein anders. „Dinge, von denen wir geglaubt haben, dass sie nicht passieren können, sind passiert“, so beschreibt es Airbus-Chef Guillaume Faury. Und damit meine er nicht einmal den Absturz der Air India Boeing 787, sondern die ohnehin äußerst turbulente Lage der Branche. Die Katastrophe von Ahmedabad, bei der am vergangenen Donnerstag fast 300 Menschen ums Leben gekommen sind, hatte dann noch ihre eigenen Folgen: Boeing-Chef Kelly Ortberg und Stephanie Pope, Chefin von Boeing Commercial, sagten ihre Paris-Besuche ab, der Konzern strich die meisten Veranstaltungen. Auch GE Aerospace, Hersteller der 787-Motoren, zog sich weitgehend zurück und verschob unter anderem eine wichtige Investorenkonferenz. Der Absturz lastet schwer – auch wenn die Ursachen bislang nicht klar sind.

Was Faury eigentlich meinte mit den Dingen, die eigentlich nicht passieren können: primär die Zölle, die derzeit von den USA auf Importe erhoben werden und die ihr zerstörerisches Werk in der Branche bereits begonnen haben. Seit 1979 war die Luftfahrt zollfrei gewesen, und es war gerade dieser Umstand, der zu dem diversifizierten, globalisierten Netz von äußerst spezialisierten Lieferanten und Herstellern geführt hat, von dem alle bislang so profitiert haben. Faury hatte neulich angedeutet, dass der Sektor zur Not mit Zöllen von zehn Prozent irgendwie leben könnte. Doch beim Paris Air Forum, einer Konferenz im Vorfeld der Show, erntete er dafür Widerworte. „Auf keinen Fall“ sei das akzeptabel, sagt etwa Olivier Andriès, der Chef des französischen Technologiekonzerns Safran. Und Arjan Meijer, Chef vom Embraer Commercial Aircraft, bat darum, man solle sich nur einmal anschauen, was die derzeit vorläufig erhobenen Abgaben ausgelöst hätten, nämlich einfach nur Chaos, in dem jeder versucht, auf irgendeine Weise die Last durch Tricks zu minimieren.

Zölle, vor allem die wahrscheinlichen Gegenzölle, würden den USA mehr schaden als dem Rest der Welt

Die so international und über Jahrzehnte extrem arbeitsteilig ausgelegte Produktion umzustellen, ist selbst auf mittlere Sicht ein Ding der Unmöglichkeit. Ein Teil eines Triebwerkes oder eines Fahrwerkes wird während der Produktion oft mehrfach über Grenzen hinweg transportiert. Wie oft werden dann eigentlich die Zölle fällig? Statt Optimierung steht daher im Moment eher auf dem Programm, wie die Branche den Schaden begrenzen kann. Und wie sie irgendwie die US-Regierung doch noch überzeugen kann, die Luftfahrt von künftigen Zöllen auszunehmen. Ein Argument: dank Boeing, GE und anderen ist sie einer der wenigen amerikanischen Industriezweige, der einen sehr hohen Außenhandelsüberschuss erreicht. Zölle, vor allem die wahrscheinlichen Gegenzölle, würden der US-Seite mehr schaden als dem Rest der Welt, argumentiert auch Airbus-Chef Faury.

Dabei sah es gerade erst so aus, als wären die schlimmsten Probleme in der Lieferkette, die Airbus, Boeing und die Triebwerkshersteller massiv im Produktionshochlauf behindern, überwunden. Doch kaum ist der Sektor auf dem Weg der Besserung, beginnt die nächste (Zoll-) Krise. Und selbst ohne diese hakt es auch so noch genug: Airbus etwa fehlen zahlreiche Triebwerke für die A320neo-Familie, bei den Langstreckenmaschinen vom Typ A350 mangelt es aktuell an Toiletten. Die Sitzhersteller lösen bei manchen Airline-Chefs regelmäßige Wutanfälle aus, weil sie einfach nicht so liefern wie vereinbart. Es scheint, als würde immer ein Teil fehlen, und sei es ein Chip aus China für das Bordunterhaltungsprogramm.

Anders ist dieses Jahr auch insofern, als die große Politik nicht nur in Sachen Zölle Einzug gehalten hat. Schon immer war die Luftfahrt zwar nicht frei von ihrem Einfluss – große Aufträge werden gerne mit Staatsbesuchen verknüpft. Aber noch nie hat Geopolitik einen so großen Einfluss gehabt wie im Moment. Bei Airbus ist man sich sehr sicher, dass Qatar Airways neulich vor allem deswegen 160 Langstreckenflugzeuge bei Boeing gekauft hat, weil das eben gerade politisch gut in die Landschaft gepasst hat, und vor allem zum Besuch von US-Präsident Donald Trump in Katar. Die Airline will übrigens noch ein paar Dutzend mehr Jets kaufen, vielleicht ja dann bei Airbus.

Profitiert auch Airbus von sanftem politischem Druck?

Umgekehrt könnte vielleicht bald Airbus vom sanften politischen Druck hinter den Kulissen profitieren, wenn LOT Polish Airlines sich entscheidet, wer 80 neue Kurzstreckenflugzeuge liefern darf, Airbus oder der brasilianische Hersteller Embraer. Eigentlich fliegt LOT bereits jetzt schon viele der Embraer-Flugzeuge und ist offenbar zufrieden mit ihnen. Es könnte aber sein, dass die Sorge, als unsolidarisch mit der europäischen Luftfahrt dazustehen, am Ende dazu führt, dass LOT doch bei Airbus bestellt.

China müsste eigentlich längst große Mengen neuer Flugzeuge bestellen, um nur die aktuellen zu ersetzen. Aber es wird auch in Le Bourget mit ziemlicher Sicherheit keinen großen Auftrag geben. In der Industrie heißt es, die chinesische Regierung will während der Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen den Ball flach halten und die amerikanische Seite nicht mit einem großen Auftrag für Airbus gegen sich aufbringen. Ein Handelsabkommen, sollte es dazu kommen, könnte dann sogar mit einer Großbestellung für Boeing-Jets verknüpft sein, immerhin sind wenige Handelsgüter so spektakulär sichtbar wie neue Flugzeuge. Airbus würde in diesem Szenario zwar nicht leer ausgehen, müsste sich aber noch eine ganze Weile gedulden.

Die Gefahr ist real, dass Airlines sich Flotten zusammenstellen müssen, die für sie gar nicht ideal sind, die aber politische Ziele erfüllen. Es wäre eine Weiterentwicklung der Maxime, in der Verteidigung vor allem heimische Firmen zu stärken, auch wenn die dort und im zivilen Bereich manchmal gar nicht die besten Produkte haben.