Wie die Modemarke Zimmermann zu einem Millionenumsatz gekommen ist

Alles begann in der Garage ihrer Eltern. Nicky Zimmermann hatte schon als Schülerin mehr Lust auf Handarbeiten und Kunst als auf Mathe. Die Australierin, die in Sydney aufwuchs, bastelte, nähte, häkelte, strickte dauernd. Klar, dass sie nach der Schule Modedesign ­studierte. Aber wie anfangen im Geschäft mit dem schönen Schein? Klein natürlich: Als sie mit 21 Jahren ihr Studium abgeschlossen hatte, ­nähte, häkelte, strickte sie in der Garage ihrer Eltern weiter. Und am Wo­chen­ende verkaufte sie ihre Entwürfe in den Paddington Markets, einer Markthalle in Sydney für Kunsthandwerk, ­Mode, Schmuck und Krimskrams. „Die Miete für den Stand kostete 35 Dollar.“

Lang, lang ist’s her. Heute ist das Label Zimmermann, das Nicky mit ihrer Schwester Simone seit Anfang der Neunziger aufbaut, eine Weltmarke. Umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro haben die beiden Australierinnen im letzten Geschäftsjahr umgesetzt. Sie zeigen ihre Mode bei den Prêt-à-porter-Schauen in Paris, stellen immer mehr Mitarbeiter ein, inzwischen sind es mehr als 1000, haben schon Geschäfte in New York, Los Angeles, Mailand, London. Und in diesen Tagen eröffnen sie ihr ­erstes Geschäft in Deutschland. Von einer Garage am Ende der Welt an die Maximilianstraße in München, neben Gucci, Montblanc, Saint Laurent, Versace – was will man mehr?

Es ist wie eine Rückkehr nach Hause. Denn wie ihr Nachname schon sagt, ­haben sie deutsche Vorfahren. Im Jahr 1955 kam ihre Großmutter mit ihren zwei Kindern aus Hamburg nach Sydney. Und wenn die Mode von Zimmermann heute so aussieht, als könnte sie nur am Bondi Beach entworfen werden, dann muss man sagen: Das stimmt, aber nur zum Teil. Die andere Hälfte ist der deutsche Einfluss: Tante Herta lebte ihre Freiheit im Aus­tralien der Siebzigerjahre auch modisch so aus, dass sie für ihre Nichten zu einer Anregung bis heute wurde. Auch ihre deutsche Großmutter und ihre australische Mutter Joan nähten ihre eigene Kleidung und die Kleider der Mädchen. Und wenn die Mutter ihrer Tochter Nicky ein Kleid kaufte, nahm die es auseinander und nähte es wieder neu zusammen.

Nähen mit eigenen Händen

Überspitzt könnte man also sagen: Die bescheidene Nachkriegszeit in Hamburg, die den jungen Karl Lagerfeld 1952 nach Paris trieb und den jungen Erich Zimmermann wenige Jahre später mit Mutter, Stiefvater und Schwester nach Sydney, lebt bis heute in ihren Entwürfen fort. Mit eigenen Händen zu flicken und zu nähen: Dieser kunsthandwerkliche Ansatz mit ­lockerer Trödel-Anmutung geht gerade als „new boho chic“ wieder über die Lauf­stege, von Chloé bis Valentino.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Mit ihren Eltern gingen die Schwestern am Wochenende an den Strand von Cronulla, und die Ferien verbrachten sie in Surfers Paradise an der australischen Ostküste. „Ich bin in Sydney direkt am Wasser aufgewachsen. Wie so viele Australier habe ich einen Großteil meiner Kindheit im Freien verbracht“, sagt Nicky Zimmerman beim Videoanruf aus ihrem Studio in Sydney, und ihre Schwester ­Simone, ebenfalls zugeschaltet, nickt. Als Jugendliche gingen sie abends ins Rathaus, wo Surferfilme gezeigt wurden.

Das Flair befreiender und befreiter Strandmode erkennt man noch heute in den Entwürfen. „Optimistisch zu sein und einen guten Sinn für Humor zu haben – zwei sehr australische Eigenschaften“, meint Nicky. Wer diese so romantische wie leichte Mode ergründen möchte, der muss also erst einmal nach Australien reisen, zumindest in Gedanken. Der Lebensstil habe ihren persönlichen Stil immer beeinflusst, sagt Nicky. Sie kommen auch nicht davon los: Den Strand haben sie bis heute vor Augen. Laut der australischen Presse hat sich Simone ein Haus in Bondi gekauft, und Nicky schaut von ihrem Haus in Vau­cluse auf den Ozean.

Designerin Nicky Zimmermann (rechts) und ihre Schwester und Geschäftspartnerin Simone kommen nun nach Deutschland.
Designerin Nicky Zimmermann (rechts) und ihre Schwester und Geschäftspartnerin Simone kommen nun nach Deutschland.Unternehmen

Der entlegene Standort war auch ein Vorteil für die Entwicklung ihrer Marke, meint Nicky Zimmermann. „Weil hier ein großes modisches Öko­system fehlte, mussten wir einfallsreich sein und unsere eigenen Methoden entwickeln.“ Sie konnten sich in ihrem Tempo ent­wickeln, ohne den großen Druck, der auf Designern in Paris oder Mailand lastet, die nach einer Saison schnell mal als „das nächste große Ding“ gehandelt werden.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, irgendwo als Angestellte zu arbeiten“

Ihre Eltern waren auch in anderer Hinsicht die Vorbilder der beiden Mädchen. Erich und Joan Zimmermann hatten eine Lackiererei und Autoreparatur, waren also selbständig. „Ich hätte mir nie vorstellen können, irgendwo als Angestellte zu ar­beiten“, sagt Nicky Zimmermann. Ihre Schwester nickt, ihr ging es genauso. Sie war von Anfang an dabei, seit 1991. „Ich hatte damals halt nichts zu verlieren“, sagt Simone Zimmermann über die bescheidenen Anfänge, und beide lachen in die Kamera. Heute ist Simone Chief Operating Officer, und Nickys Mann Chris Olliver ist CEO des Unternehmens.

Viele Kundinnen sind der Marke über die Jahrzehnten treu geblieben. Nicky erzählt, immer wieder bekämen sie solche Nachrichten über Instagram: „Ich habe schon damals in den Paddington Markets von euch ein Kleid gekauft und jetzt wieder.“ Ein enger Kontakt zu den Kundinnen ist ihnen wichtig. „Natürlich verkaufen wir auch gern über Onlineplattformen wie ­Mytheresa und in Kaufhäusern“, sagt ­Simone. „Aber am liebsten sind uns doch die eigenen Läden, weil wir da den un­mittel­baren Kontakt haben.“

Den Strand vor Augen: Für den Sommer bringt Zimmer­mann sogar in bodenlange Volantkleider Leichtigkeit.
Den Strand vor Augen: Für den Sommer bringt Zimmer­mann sogar in bodenlange Volantkleider Leichtigkeit.AFP

Das wird nicht einfacher, je größer sie werden. Eine Marke, die Margot Robbie, Prinzessin Catherine, Taylor Swift und Rihanna zu ihren Fans zählt, verbreitet sich schnell. Um noch schneller voranzukommen, haben sie nun einen Investor. Vergangenes Jahr erwarb die amerikanische Private-Equity-Firma Advent International eine Mehrheitsbeteiligung, um vor allem in Asien und im Nahen Osten das Wachstum zu beschleunigen. Den Zimmermanns bleibt nur noch eine Minderheitsbeteiligung.

Die Schwestern sind nicht abgeschottet

Oft genug haben sich Modemacher nach solchen Deals verabschiedet – Joop, Helmut Lang und Jil Sander werden längt nicht mehr von ihren Gründern gestaltet. Bei Zimmermann dürfte das nicht so schnell der Fall sein: Zwei Frauen kann man nicht so leicht ersetzen wie eine. Und die beiden gehen nicht mit illusionären Erwartungen in diese neue Phase, sondern mit dem Ehrgeiz, auch geschäftlich weiterzukommen. Bereits mehr als 20 Geschäfte in den USA? „Ja, aber es gibt noch so viele Möglichkeiten zu wachsen“, sagt Simone Zimmermann. Ein Geschäft in Dubai, mehrere Läden in China? „Ja, aber wir sind noch nicht in Singapur, Thailand, Malaysia, Korea oder Japan vertreten.“

Jetzt sei das Momentum da, sagt Nicky. Man sah es in der Pariser Schau für Frühjahr und Sommer. Palais de Tokyo, 30. September, zwölf Uhr: Über den Laufsteg gehen filigrane Entwürfe, sommerliche Seidendrucke mit Palmen- und Delphin-Motiven, leichte Häkeloberteile, Rüschen und Volants ohne Ende, Bast­taschen mit langen Fransen, übergroße Windjacken, Denim-Culottes, kurz ein leichter Hippie-Ethno-Style, dessen „sonnige Ästhetik“ die Kritiker später loben.

Backstage sind die Schwestern nicht abgeschottet, wie so viele Wichtig-wichtig-Designer. Sie sprechen mit Einkäufe­rinnen und geben Interviews in Dauerschleife. Bei all der Internationalisierung – sprechen sie eigentlich noch ein bisschen Deutsch, ihre Vatersprache? „Yes“, sagt Nicky Zimmermann: „Gute Nacht, schlaf gut!“ Und ihre Schwester ergänzt: „Ein bisschen, noch mal, alles klar, tschüs!“