
Wenn er in der Öffentlichkeit auftritt, trägt er Bomberjacke oder Hoodie. Als ihm im Januar von der französischen Kulturministerin der Orden Chevalier de L’Ordre des Arts et des Lettres verliehen wurde, hing die Auszeichnung einfach an einem schlaffen T-Shirt herunter. Aber als er am Sonntagabend nach der Balenciaga-Schau im Backstage-Gewühl steht, trägt Demna – einen Anzug.
Wie bitte? Der Hohepriester des phantastisch schlechten Geschmacks, der Häretiker der Formlosigkeit, der Erfinder der Handtaschen in Chipstüten-Optik – im Anzug? Ja, Demna (der als Designer ohne Nachnamen auskommt) hat ihn sich im Herbst maßschneidern lassen. Er kann es selbst kaum glauben: „Endlich trage auch ich einen Anzug – nach 43 Jahren!“ In seiner modischen Coming-of-Age-Geschichte hat er viel gelernt: „Es ist einfach, einen Stuhl auf den Kopf zu setzen und zu sagen: Das ist tragbare Kunst“, erzählt er lachend. „Aber einen guten Anzug zu schneidern, das ist wahrscheinlich das Schwierigste überhaupt in der Mode.“
Demna wechselt zu Gucci
Wie witzig! Denn am Donnerstagabend kündigte der Kering-Konzern überraschend an, dass Demna von Balenciaga zu Gucci wechselt. In Mailand wird er nun viele, viele Anzüge entwerfen dürfen.

Auch auf seinem letzten Balenciaga-Laufsteg sieht man neben Urban-, Street- und Sportswear ganz normale Herrenanzüge und schöne Abendkleider. Kein Kanye West mehr, der tapfer durch den Schlamm stapft, keine Schauergestalten mehr, die in übergroßen Jacken mit Mülltüten in der Hand gegen einen Schneesturm ankämpfen. Demna, der aus Georgien stammt und mit seiner Familie nach Deutschland flüchtete, hat womöglich schon genug Kriege und Krisen erlebt, schon genug gegen Verfolgung und Missachtung gekämpft. Jetzt muss er all seine Kraft zusammennehmen, um sich gegen einen fast unsichtbaren Feind abzumühen: gegen schwache Umsätze. Das war zuletzt schon bei Balenciaga schwierig. Bei Gucci wird es für ihn noch schwieriger.
Letzte Ideen für Balenciaga
Wie kann man den flauen Konsum wiederbeleben? Das fragen sich die meisten Modemarken beim Prêt-à-Porter in Paris. Für Balenciaga hat Demna noch ein paar letzte Ideen. Er hat einen langen Laufsteg gebaut, der sich in engen Bahnen wie in einem Irrgarten durch eine große Halle zieht. So hat jeder Zuschauer einen Platz in der ersten Reihe, fühlt sich also geschmeichelt; nichts ist ärgerlicher, als aus der vierten Reihe nur die Köpfe der Models vorbeiziehen zu sehen. Und weil die meisten Gäste auch filmen (und schöner filmen), wenn sie ganz vorne sitzen, ist der Social-Media-Impact, also die Marketing-Reichweite, viel größer als sonst.

Durchs Jammertal der schlechten Einnahmen soll der Weg schnell zur Kundin führen. Daher laden einige Modemarken nun auch „Very Important Clients“ zu den Schauen ein. Früher war das vor allem in der Haute Couture so: Die Kundinnen sitzen in der ersten Reihe, notieren sich die Nummer ihres Traumkleids, gehen am nächsten Tag ins Atelier und lassen es sich anpassen. Zum Prêt-à-Porter kommen eigentlich vor allem Einkäufer, denn die Konfektionsmode wird über Boutiquen und Kaufhäuser vertrieben. Jetzt aber sitzen immer mehr Kundinnen in der ersten Reihe, weil sie immer mehr Geld für Luxusgüter ausgeben, oft mehr als 100.000 Euro pro Jahr bei einer einzigen Marke, und weil daher ihr Anteil am Markenumsatz wächst. Für Moderedakteure ist das keine gute Nachricht: Erst haben die Influencer sie teils aus der ersten Reihe verdrängt, und nun sitzen da auch noch Kundinnen. Als ein gewichtiger Kritiker bei der Valentino-Schau in der zweiten Reihe sitzen muss, hört man sein verächtliches Schnauben auch in der ersten.
Es geht plötzlich um die Frau!
Aber der krasseste Trend in den Kollektionen für Herbst und Winter 2025 ist kaum zu glauben: Es geht plötzlich um die Frau! Das sehen nun auch die Männer. Alessandro Michele, der seine zweite Prêt-à-Porter-Kollektion für Valentino zeigt, hat die mit historischen Referenzen gespickte dramatische Mustervielfalt der ersten Kollektion verkaufsfreundlich gedimmt. Es gehe um „die intime Beziehung zu einem Kleid“, sagt er nach der Schau, für die er ein clubähnliches Set aus einer Wand von Toilettentüren in rotem Licht erdacht hat. Seine Mode solle es den Frauen „ermöglichen, sie selbst zu sein, so nah wie möglich an ihrer Wahrheit“, sagt der Modemacher, der mit seinem lockeren Stil und seinem Jesus-Bart in der italienischen Mode wie ein Guru verehrt wird. Nächste Woche erscheint bei Hanser sein Buch „Das Leben der Formen. Eine Philosophie der Wiederverzauberung“, das er mit dem Philosophen Emanuele Coccia geschrieben hat. Darin wird er seinen Ansatz erläutern, zeitliche und atmosphärische Gegensätze zu verbinden und gerade dadurch in der Mode Gegenwart zu erleben. Allerdings ist im Fall der aktuellen Kollektion die Brücke von zarten Kleidern mit viel Spitze, Seide und Tüll zum rauen „Berghain“-Ambiente recht lang.

Die Designer nehmen also Maß an den Bedürfnissen der Frau. „Das ist wahrscheinlich eine der tragbarsten Kollektionen, die ich je gemacht habe“, sagt Demna backstage, und er war nun immerhin zehn Jahre lang bei Balenciaga. „Mit Kostümierung habe ich inzwischen Probleme. Ich bin jetzt die Demna-Version 2.0.“ Für die Kollektion ist das gefährlich: Es kann banal aussehen. Die Kooperation mit Puma sieht beim Sneaker Balenciaga x Puma Speedcat Ultrasoft gut aus. Aber die mit Puma herausgebrachte Bekleidungskollektion erinnert auf dem Laufsteg schnell an, na ja: Trainingsanzüge.
Große Schultern bei Saint Laurent
Die Bedürfnisse der Frauen zu beachten, das heißt auch, ihren Körper zu akzeptieren – und zu akzentuieren. Lange ging es um „skinny“ oder „bulky“, also um ganz schmale oder überweite Silhouetten. Typisch die Polster von Comme des Garçons an den unmöglichsten Stellen oder die riesigen überschnittenen Schultern, die noch in der aktuellen Kollektion von Saint Laurent zu sehen sind. Aber der dortige Designer Anthony Vaccarello gürtet die Mäntel und Jacken (anders als früher Vetements und Balenciaga) so, dass sie die weiblichen Formen betonen, statt sie einfach nur zu verstecken.

Und so geht es Schau um Schau um den weiblichen Körper: Albert Kriemler wertet seine Akris-Entwürfe mit schillernden Cyanotypie-Drucken der Künstlerin Alyson Shotz auf; bei Chanel gibt es in der designerlosen Zeit Klassiker vom Tweed-Kostüm bis zu weiten Spitzenröcken, garniert mit schwarzen Seidenschleifen, der Kamelie als typischem Accessoire und übergroßen Perlenketten, mit denen Coco Chanel bestätigt und zugleich ad absurdum geführt wird; Hermès zeigt sogar Miniröcke aus strukturiertem Leder und eng anliegende Oberteile; Ottolinger besticht wieder mit knallenger Avantgarde; und zu einem einzigen Körperspaß wird die Kollektion des aufstrebenden niederländischen Designers Duran Lantink, der alle Formen genüsslich ausbreitet.
Zugespitzt in jedem Wortsinn wird der weibliche Körper bei Miu Miu. Designerin Miuccia Prada gibt den Frauen Tradwife-Anmutung mit Fünfzigerjahre-Bouffant-Frisuren. Ihre typischen Anklänge an Militär- und Schuluniformen nimmt sie zurück zugunsten ausgestellter Weiblichkeit mit herunterfallenden Schultern und sichtbaren BH-Trägern. Die kleinen Höhepunkte: spitze BHs, im Englischen martialisch „bullet bras“ genannt. Das ist natürlich eine kleine Anspielung auf Jean-Paul Gaultiers Kegel-BH für Madonna, aber in diesen Zeiten auch als Hinweis darauf zu verstehen, dass sich Frauen „in schwierigen Momenten, gefährlichen Zeiten“, die Miuccia Prada nach der Schau erwähnt, zu verteidigen wissen müssen. „Alle Models sind davon begeistert“, sagt Prada über ihre „bullet bras“, als ob sie es selbst kaum glauben könnte. Solche kleinen Tricks, das phänomenale Lotta-Volkova-Styling und die Gesamtlooks – Miu Miu ist wohl wieder einmal die spektakulärste Kollektion der Saison, die am Mittwoch nach Hunderten Schauen in New York, London, Mailand und Paris zu Ende gegangen ist.
Gefahren abwehren – das wollen auch die vielen schwarzen Lederjacken und die furchteinflößenden Ledermäntel, die über die Laufstege gehen. Die erste Gefahr, die Herbst und Winter für die Frauen mit sich bringen, ist aber die Erkältung. In einem luftigen Kleidchen der australischen Marke Zimmermann, die nach dem Geschäft in München bald einen Laden in Hamburg eröffnet, sollte man nicht im November zur Elbphilharmonie schlendern. Daher gibt es dort nun auch Mäntel und dicke Jacken: „Je größer unser Markt, desto variabler unser Angebot“, sagt die Designerin Nicky Zimmermann, die ihr Label mit ihrer Schwester Simone 1991 in Sydney gegründet hat. Das Wetter im Norden kennen sie schon: Ihr Vater Erich zog 1954 als Jugendlicher mit seiner Mutter aus Hamburg an die australische Küste. Vielleicht kommt er mit zur Geschäftseröffnung.