Lichtdurchflutet empfängt das Entree der wiedereröffneten Orangerie der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe die Besucher: Die gläserne Kuppel der Rotunde, die stark sanierungsbedürftig war, ist fast wiederhergestellt. Orangerien, mit denen man sich im bürgerlichen Zeitalter ein Stück südlicher Vegetation ins Haus holte und einen Gesellschaftsraum schuf, sind heute Vergangenheit. In der stark von Hitzewellen betroffenen Stadt ist das Gebäude nicht nur ein Architekturdenkmal, sondern auch, ökologisch betrachtet, ein Sinnbild.
Der weitläufige Raum, der jetzt nicht mehr wie vor der Renovierung die Dauerausstellung der Moderne beherbergt, sondern für Sonderausstellungen vorgesehen ist, wurde mit Verschattungs- und Verdunklungsmöglichkeiten ertüchtigt. Nicht nur Fotografien, Zeichnungen und Aquarelle leiden unter zu vielen Sonnentagen, auch Druckgrafik darf nicht über längere Zeit unkontrolliert dem Licht ausgesetzt sein. Noch steht ein kleines Gerüst vor dem Gebäude, noch dringt ab und an von außen kommender Baulärm in die Räume, die Ausstellung „Archistories“, kundig kuratiert von Kirsten Voigt, widmet sich indes mit Werken von fast 70 Künstlerinnen und Künstlern den Möglichkeiten der Architekturerfahrung.
In slapstickhafter Sisyphusarbeit
Nicht nur während der dröhnenden, staubigen und anstrengenden Bauarbeiten selbst nehmen wir Architektur über unseren Körper wahr, auch als Stadtbewohner oder in einem Haus bewegen wir uns in einem Raum, den wir zwar bespielen können, der aber doch starke Vorgaben setzt. Gleich zu Beginn der Ausstellung werden wir mit diesen Vorgaben konfrontiert: Linkerhand geschieht dies über das klassische Medium von Architekturzeichnungen – die Kunsthalle besitzt Federzeichnungen mit Piranesis Raumphantasien und Ornamentstudien, und nach einer Neuzuschreibung werden zwei Konvolute mit Vorlagen aus seiner Werkstatt erstmals der Öffentlichkeit gezeigt. Sie waren im Besitz von Friedrich Weinbrenner, dem Baumeister, dem Karlsruhe seine klassizistische Anlage und einige verbliebene Gebäude verdankt.

Auf direktem Weg aber gehen wir auf eine groß angelegte Videoinstallation von Julia Oschatz zu. Auf der einen Hälfte einer Wand sehen wir ein Raumraster, mit dickem weißem Strich auf schwarzem Grund aufgetragen, der Blick fällt in einen leeren, geometrisch konstruierten Innenraum, auf der anderen Hälfte läuft ein Video im Loop.
Es zeigt fast den gleichen Raum, hier aber ist das Bodenraster des Innenraums zum sanft vibrierenden Boden einer Bühne geworden, in der die maskierte Künstlerin selbst in slapstickhafter Sisyphusarbeit die Wände bemalt und dabei unentwegt von einem Raumgehäuse ins nächste steigt. An der Wand gegenüber lehnen drei mit schwarzem Eisenpulver bestäubte Magnetplatten von Nicolas Daubanes, sie enthalten ein reliefartiges grafisches Geflecht, man sieht sich in einen gotisch anmutenden Kerker im Stil Piranesis versetzt, in dem ein Brand schwelt.
Wie wird Architektur zum Bild?
Wie vielfältig die Zugänge zur Architektur sind, lässt uns die Ausstellung in einem abwechslungsreichen Parcours erleben. So kommen wir nach den Raumgehäusen in transitorische Welten: Wir begegnen Brücken von Albert Marquet bis Lyonel Feininger, sanft in die Stadtlandschaft eingelassen oder als kühne Eisenkonstruktionen. Sie dienen aber auch wie auf einem Bild von Wilhelm Trübner als verbindendes Element einer bilderbogenhaften Stadtszenerie von London. Im Vordergrund sehen wir winterlich gekleidete Passantinnen, im Hintergrund rauchende Schlote, die gusseiserne Brücke wurde später abgerissen. Überdauert hat der Eiffelturm, ein im Gegenlicht gefilmtes Video „Piranèse“ von Laurent Goldring zeigt emsige Menschen, die wie Schatten die eisernen Treppen des Turms scheinbar endlos hinauf- und hinunterhasten.

Wie wird Architektur zum Bild? Ein in erdigen Tönen gehaltenes Bild von Sean Scully wurde durch die Pyramiden von Chichén Itzá angeregt, während Fritz Klemms gespachteltes Relief auf seine Atelierwände aus Sichtbeton zurückgreift. Und was macht ein Haus aus? Der Bildhauer Werner Pokorny platziert ein Häuschen mit Satteldach auf drei übereinandergetürmten wuchtigen Gefäßformen. Es wirkt in seiner Unscheinbarkeit ebenso verwundbar wie eigenwillig. Schön dazu sind zwei Zeichnungen aus seiner Hand, die beide ein rasch hingeworfenes, von einem Ring umschlossenes Haus zeigen.
Isa Melsheimer aquarelliert brutalistische Bauwerke vor bestirntem Firmament, sie wirken, so betrachtet, durchaus liebenswert. Ein kleiner, zauberhaft gezeichneter Film von Jochen Kuhn reflektiert Körper, Architektur und Bild: Ein Mann lässt sich in einer Arztpraxis mit einem neuen, bildgebenden Verfahren untersuchen. Der Blick in sein Innerstes zeigt ein Haus, Frauen, ein Tier. So unbehaglich ihn derlei Fundstücke anmuten, es sind doch nur Bilder, und draußen ist alles beim Alten geblieben – wir sehen einen von Bürgerhäusern umgebenen Platz, als er die Praxis verlässt.
Wer vom Haus spricht, denkt auch an zerstörte Häuser. Bilder mit Ruinen von Tempeln oder Palästen bezeugen den Verfall einstiger Größe und wurden im 17. und 18. Jahrhundert gerne als stimmungsvolles Bildsujet gewählt, wir sehen unter anderem Werke von Claude Lorrain und Jean-Jacques de Boissieu. Anders sieht es aus, wenn Ruinen nicht das Werk der Zeit, sondern das Resultat kriegerischer Zerstörung sind. Dies zeigt 1945 erschütternd ein großformatiges Ölbild einer von oben betrachteten zerbombten Stadt von Erwin Spuler. Oder das Werk der Abrissbirnen: Laurent Goldring dokumentiert in rhythmischen Sequenzen die Niederwalzung eines von Sinti und Roma angelegten Hüttendorfs in der Nähe von Paris. Noch die erbärmlichste Hütte dient als bergende Behausung oder als eine – wenn auch poröse – Haut für die Menschen, die in ihr lebten. Architektur bildet die Grundlage für das menschliche Zusammenleben, die Ausstellung belegt dies eindrucksvoll.
Archistories. Architektur in der Kunst. Orangerie der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, bis 12 April 2026. Der Katalog kostet 48 Euro.
