Wie der FIA-Präsident seine Macht zementiert

Es ist fast Halbzeit in der Formel 1. Der Kampf um den Fahrertitel auch nach dem Großen Preis von Österreich am Sonntag in Spielberg, den McLaren-Pilot Lando Norris vor Teamkollege Oscar Piastri gewann, tobt weiter. Nichts ist entschieden. Aber einer hat das große Rennen mit der bedeutendsten Rennserie des Motorsports schon gewonnen.

Mohamed Ben Sula­yem lächelte am Sonntag, während er über die Start- und Zielgerade des Kurses von Spielberg spazierte, ein Schaulauf für Potentaten, Honoratioren und Adabeis während der Startaufstellung in der Steiermark. Der Präsident des Internationalen Automobil-Verbandes (FIA) wird seiner Neigung, sich zu zeigen und gesehen zu werden kurz vor den Grand Prix und vor allem kurz danach, beim obligatorischen Wiegen des Siegers etwa, weiter frönen können. Denn seit ein paar Tagen ist sicher, dass ihn bis zur Wiederwahl im Dezember niemand mehr überholen wird. Attacke abgeschmettert.

Als Überraschung wurde diese Nachricht kurz vor dem Auftritt der Formel 1 zum elften Rennen dieser Saison verkauft. Weil Carlos Sainz sr., einst Rallye-Weltmeister, Vater des Williams-Piloten Carlos Sainz jr., seinen Rückzug erklärt hatte. Nicht etwa von einer Kandidatur, wie hier und da behauptet.

Teils erratischer Führungsstil

Der Spanier hatte im Frühjahr nur laut darüber nachgedacht, vielleicht gegen Ben Sulayem antreten zu wollen. Sofort positionierten sich Formel-1-Piloten und Teamchefs zu seiner Unterstützung. Selten wurde so offen aus dem Fahrerlager gegen einen Präsidenten im Amt Stellung bezogen. Warum?

Ben Sulayem fiel mit einem teils erratischen Führungsstil auf. Ihm wurde mehr oder weniger konkret der persönliche Einfluss auf Entscheidungen von Streckenkommissaren vorgeworfen oder Angriffe auf Teamchefs wie Toto Wolff (Mercedes) wegen eines Interessenkonflikts. Einem Untersuchungsauftrag ließ die FIA fast im Handumdrehen die Einstellung des Verfahrens folgen.

Gleichzeitig schien die Personal-Fluktuation in seinem Verband, „hire and fire“, so schnell abzulaufen wie ein Boxenstopp im Rennbetrieb. Fahrer, unter anderem George Russell, einer der Direktoren der Fahrervertretung GPDA, kritisierte eine mangelhafte Transparenz bei Entscheidungen der Streckenkommissare im Falle von Verkehrsverstößen. Unterschiedliche Strafen für dieselben Regelübertretungen brachten Piloten regelmäßig auf die Palme.

Signale an Sainz

Der Wunsch nach Transparenz zählt nicht gerade zu den Kerntugenden im gesamten Betrieb. Doch der britische Sender BBC, stets gut unterrichtet von der englischen Formel-1-Macht, schilderte Mitte Mai, wie Ben Sulayem seine Präsidentschaft aus dem Amt heraus zu sichern gedenke. Unter anderem sollte die Frist für die Anmeldung einer Kandidatur vor der Wahl verlängert werden. Um sodann mehr Zeit zu haben, die Qualität der Kandidaten von der Ethikkommission prüfen lassen zu können. Vor allem die Integrität.

Ein interessanter Punkt für eine Privatgesellschaft, die sich nonchalant leistet, einen Rennbetrüger wie Flavio Briatore, mitverantwortlich für die Manipulation des Großen Preises von Singapur 2008 (Crashgate), zu hofieren. In jedem Fall werten Sulayem-Gegner diesen Statutenwechsel und andere Veränderungen zugunsten eines größeren Einflusses des aus Dubai stammenden Ben Sulayem auf die Wahl von Mitgliedern in einflussreichen Gremien als Zementierung seiner Macht.

Die BBC veröffentlichte dazu einen Brief des Österreichischen Automobil-Verbandes ÖMTC, in dem die Delegierten der FIA-Generalversammlung aufgefordert werden, den Änderungen nicht zuzustimmen. Vergeblich. Eine große Mehrheit, 88,83 Prozent, stimmte im Sinne des FIA-Bosses. Ein weiteres Signal an Sainz, es gar nicht erst zu versuchen. Der Spanier gilt als Siegertyp. Als jemand, der erst antritt, wenn er eine Chance hat, zu triumphieren.

Wahrscheinlich aber wusste er schon längst, wie weit ihm Ben Sulayem vorausfuhr. Just nachdem Sainz senior laut über sein Interesse nachgedacht hatte, tauchte ein Schreiben von 36 Mitgliedsverbänden der FIA auf, indem die Unterzeichner die Großartigkeit ihres Präsidenten lobten. Nach F.A.Z.-Informationen wurde Sainz schon vor Wochen in einem Gespräch nahegelegt, seine Idee nicht weiter zu verfolgen. Weil er für eine Stimmmehrheit durch die Welt reisen müsse.

Nicht die Formel 1 wählt den Präsidenten, sondern die Mitgliedsverbände der FIA, die zu einem großen Teil nicht den Motorsport, sondern das Mobilitätsprogramm der FIA im Sinn haben. Sainz wäre naiv, sollte er das nicht gewusst haben. Auch der ernsthaft im Fahrerlager ausgesprochene Gedanke, es entstünde kein Interessenkonflikt, falls der Vater eines Formel-1-Rennfahrers FIA-Präsident werde, zeugt eher von einer anderen Strategie: vorerst nur zu drohen, damit sich was ändert. Am Donnerstag veröffentlicht die FIA erstmals den Strafenkatalog für Verkehrsvergehen.