Wie der CO2-Staubsauger in Norwegen funktionieren soll

Der Übergang von der alten in die neue Zement-Welt ist in Brevik deutlich zu sehen. In dem mehr als 100 Jahre alten Werk ist es staubig, heiß und laut. Förderbänder bringen den Kalkstein in das Werk hinein, wo er gemahlen, getrocknet, vermischt und erhitzt wird, um daraus den für die Industrie so wichtigen Baustoff zu produzieren. Der neue Teil des Werkes hingegen besteht aus glänzenden silbernen Rohren und riesigen Tanks. Sie sorgen dafür, dass das bei der Herstellung entstehende CO2 zunächst abgeschieden, gereinigt, komprimiert und verflüssigt wird, bevor es in sechs jeweils 22 Meter hohe Tanks gepumpt und bei minus 25 Grad zwischengespeichert wird. Hier wartet das CO2 darauf, auf einen 130 Meter langen Tanker geladen und nach Øygården gebracht zu werden, wo es weiter komprimiert und per Pipeline mehr als 100 Kilometer vor die Küste gepumpt wird. Dort soll es schließlich in 2,6 Kilometern Tiefe für immer im Meeresboden verschwinden.

Das Zementwerk im norwegischen Brevik 160 Kilometer südwestlich von Oslo ist also nicht irgendein Werk. Hier will das deutsche Unternehmen Heidelberg Materials zeigen, was vor ihm noch keinem Hersteller weltweit gelungen ist: Dass die sogenannte CCS-Technik in der Zementproduktion funktioniert – und zwar nicht nur zu Forschungszwecken, sondern im kommerziellen Maßstab und in der ganzen Wertschöpfungskette, also inklusive Abtransport und Speicherung. Brevik soll die Blaupause werden für die Dekarbonisierung der gesamten Branche – die in Sachen Klimaschutz als besonders schwieriger Fall gilt, weil sich ein großer Teil der Emissionen technisch nicht vermeiden lässt und weil sie für knapp acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist.

In diesen 22 Meter hohen Tanks wird das flüssige CO2 zwischengespeichert.
In diesen 22 Meter hohen Tanks wird das flüssige CO2 zwischengespeichert.AFP

Umso pompöser fiel die Einweihungsparty aus, die Heidelberg Materials und die norwegische Regierung in dieser Woche mit 300 geladenen Gästen inklusive Kronprinz Haakon in Oslo und der Ort Brevik feierten. Von einem „historischen Meilenstein“ und einer „tektonischen Verschiebung in der Welt des Bauens“ sprach Vorstandsvorsitzender Dominik von Achten sodann. Der sozialdemokratische Energieminister Terje Aasland nannte das Projekt „einen großen Schritt vorwärts für das globale Klima“ und einen Meilenstein „nicht nur für Norwegen, sondern der Durchbruch für CCS in ganz Europa“.

Per LNG-Tanker wird  das im Zementwerk abgeschiedene CO2 aus Brevik abtransportiert.
Per LNG-Tanker wird das im Zementwerk abgeschiedene CO2 aus Brevik abtransportiert.Bloomberg

Das Land, das mit der Förderung von Öl und Gas reich geworden ist, strotzt vor Selbstbewusstsein und will mit der Technik nun den nächsten Schritt in Richtung Klimaschutz machen. Während CCS in Deutschland immer noch verboten ist, wird in Norwegen immer wieder auf „25 Jahre Erfahrung“ im Umgang mit der Technik verwiesen. So wird etwa in Sleipner (seit 1996) oder in Snøhvit (seit 2008) schon lange CO2 im Meeresboden verpresst – so lässt sich das Erdgas, das über einen ungewöhnlich hohen CO2-Anteil verfügt, besser verkaufen. Die Installation einer CCS-Anlage an einem Gaskraftwerk in Mongstad im Rahmen des „Mondlandung“-Projektes war 2013 allerdings gescheitert.

Nun soll das „Longship“-Projekt den Durchbruch bringen, benannt nach den früheren Schiffen der Wikinger. In diesem Rahmen hatte Heidelberg Materials 2013 in Brevik erstmals CCS-Anlagen getestet, bevor vor fünf Jahren das finale „Go“ der norwegischen Regierung für den Bau kam. Nach mehr als 1,2 Millionen Stunden Arbeit ist die von SLB errichtete Anlage nun seit wenigen Wochen in Betrieb. Die Hälfte der hier jährlich anfallenden 800.000 Tonnen CO2 will Heidelberg Materials in dem Werk einsparen. Perspektivisch seien Abscheideraten von bis zu 90 Prozent denkbar, versichert das Unternehmen.

Kaum Proteste gegen die Speicherung

Das Feld, in dem das CO2 schon in wenigen Wochen verbuddelt werden soll, ist gigantisch. Bis zu 1,5 Millionen Tonnen kann es schon jetzt jedes Jahr aufnehmen, verspricht die Betreibergesellschaft Northern Lights , ein gemeinsames Unternehmen von Equinor , Total Energies und Shell . In Phase 2 soll es auf fünf Millionen Tonnen jährliche Kapazität erweitert werden. Als Kunden sind neben dem Zementwerk von Heidelberg Materials auch eine Müllverbrennungsanlage in Oslo, der Düngemittelhersteller Yara und die Energieversorger Ørsted und Stockholm Exergi an Bord.

Mittelfristig könne Norwegen jedes Jahr 40 Millionen Tonnen des Klimagases unterirdisch einspeichern, sagt Energieminister Aasland. Zum Vergleich: In der deutschen Kalk- und Zementindustrie sowie in der Müllverbrennung werden jedes Jahr etwa 50 Millionen Tonnen ausgestoßen. Die Speicherung im Meeresboden sei absolut sicher und dauerhaft, beteuern alle Beteiligten. Proteste gibt es, anders als in Deutschland, kaum. Vielleicht liegt es daran, dass das Land nur sehr dünn besiedelt ist und die Norweger zudem seit Jahrzehnten mit der Öl- und Gasförderung leben.

CCS-Zement ist genauso fest wie normaler Zement

Ein Knackpunkt beim Thema CCS bleiben die Kosten, vor allem bei der Abscheidung. 80 Prozent der Investitionskosten von 400 Millionen Euro trägt der norwegische Staat. Hinzu kommt eine Förderung der Betriebskosten in ähnlicher Höhe über eine Laufzeit von zehn Jahren. Obwohl der klimafreundlichere Zement deutlich teurer ist als herkömmliche Sorten – wie viel genau, möchte das Unternehmen nicht verraten –, mangelt es angeblich nicht an Kunden, sagt Heidelberg-Materials-Chef von Achten: „Für dieses Jahr sind wir schon komplett ausverkauft. Die Nachfrage ist nicht das Problem. Denn wir sind die Einzigen auf dem Markt, die solch ein Produkt anbieten können.“

Heidelberg-Materials-Chef Dominik von Achten und der norwegische Energieminister Terje Aasland in Brevik
Heidelberg-Materials-Chef Dominik von Achten und der norwegische Energieminister Terje Aasland in BrevikAFP

Den neuen CCS-Zement kann man entweder physisch kaufen – dann wird er per Lastwagen oder per Schiff transportiert – oder als virtuelles Produkt. Dabei werde die in Brevik erzielte CO2-Reduktion „transparent und lückenlos nachverfolgbar auf Produktvolumen aus anderen europäischen Werken von Heidelberg Materials angerechnet“. Der virtuelle Handel mit solchen Herkunftsnachweisen hat den Vorteil, dass der Transport deutlich günstiger ist.

Wichtig ist dem Unternehmen zu betonen, dass der CCS-Zement – anders als etwa Zement mit reduziertem Klinkeranteil – über dieselben Eigenschaften verfüge wie „normaler“ Beton, zum Beispiel genauso fest sei. Unter den Kunden sind das geplante Nobel-Zentrum in Stockholm und das schwedische Bauunternehmen Skanska . Aber auch Architekten und Projektentwickler würden zunehmend auf ihre Klimabilanz achten und die Nachfrage treiben, sagt von Achten.

Wie teuer wird es?

Dauerhaft von staatlichen Subventionen abhängen möchte sein Unternehmen aber auf keinen Fall. Irgendwann sollen sich CCS-Anlagen von selbst tragen, verspricht er. Helfen sollen dabei neben den richtigen Kunden auch Skalen- und Lerneffekte beim Bau der Anlagen sowie der europäische Emissionshandel. Je höher der Preis – aktuell bei 75 Euro je Tonne CO2 –, desto wirtschaftlicher wird der klimafreundliche Beton, auch in Norwegen. Das Land nimmt an dem System Teil, obwohl es nicht Mitglied der Europäischen Union ist.

Forscher schätzen die Kosten für Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 mittelfristig auf 150 bis 250 Euro je Tonne. Diese werden sich allerdings je nach vorhandener Infrastruktur voraussichtlich stark unterscheiden. Brevik etwa liegt direkt am Meer – ideal für den Abtransport per Schiff. Noch günstiger wird es, wenn schon eine Pipeline-Anbindung vorhanden ist. Auch ist noch unklar, welche CCS-Technik genau sich langfristig durchsetzen wird.

Deutsches Gesetz soll im Herbst kommen

Brevik soll für Heidelberg Materials und die CCS-Technik allerdings erst der Anfang sein. Das Gelernte möchte er möglichst schnell auch in anderen Ländern umsetzen – etwa in Wales oder dem nordrhein-westfälischen Geseke. Um in Deutschland loslegen zu können, fehlt aber nach wie vor die gesetzliche Grundlage. Zwar hatte der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sich trotz Protests an der Basis dazu durchringen können, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Verabschiedet wurde er unter der Ampelregierung aber nicht mehr.

Aus Berlin ist zu hören, dass die neue Wirtschaftsministerin Kathe­rina Reiche das Gesetz noch in diesem Herbst durchbringen möchte. Darin soll etwa ein überragendes öffentliches Interesse definiert werden, um Planung und Bau der Infrastruktur zu beschleunigen. Gestritten wird noch um erlaubte Anwendungsfälle sowie die Frage, wo genau die Speicherung in Deutschland möglich sein soll. Neben der Entsorgung in der Nordsee werden die Bundesländer wohl auch eine Speicherung an Land zumindest prüfen dürfen.

Der norwegische Energieminister Aasland hat jedenfalls in dieser Woche in Brevik schon deutlich gemacht, wo das abgeschiedene Klimagas auch untergebracht werden könnte: „Deutsches CO2 ist in Norwegen sehr willkommen.“