

Moritz Sümmermann ist an diesem Mittwoch Anfang Dezember ziemlich durchgetaktet, für ein Telefonat am Nachmittag ist gerade noch Zeit. Der 34-Jährige ist gerade in Tel Aviv auf Einladung der israelischen Außenhandelskammer. Die Reise könnte sich als ziemlich wichtig erweisen für Sümmermann und sein junges Unternehmen Oberon Systems. Das Münchner Start-up hat mit seinem Produkt „Erlkönig“ ein System zur Tarnung etwa von Panzern entwickelt, das sich an seine Umgebung anpassen kann.
Sümmermann will in Israel Kontakte knüpfen, hofft, sein Produkt an die israelische Armee zu verkaufen. Oberon Systems befindet sich im „Tal des Todes“, wie er selbst sagt. Das heißt nichts anderes als: Es fehlen die Aufträge, um zu wachsen. Israel als Kunden zu gewinnen, das wäre für Oberon Systems eine große Chance. Denn allein auf die deutsche Bundeswehr zu setzen, das hat sich für ihn und seine beiden Mitgründer bisher nicht als guter Plan erwiesen.
Vielen deutschen Start-ups im Verteidigungsbereich geht es ähnlich wie Oberon Systems. Sie bringen Ideen und Produkte hervor, die sie gern ans deutsche Militär verkaufen würden – doch die bürokratischen Hürden sind in der Realität oft zu hoch für die jungen Firmen. Zwar gibt es in der Bundeswehr bereits zahlreiche Abteilungen und Initiativen, die sich auf die eine oder andere Weise dem Thema Innovation verschrieben haben.
Wohin wenden mit guten Ideen?
Da ist der Cyber Innovation Hub (CIH) in Berlin, der 2017 gegründet wurde und Start-ups mit der Bundeswehr zusammenbringen soll. Da sind die bundeseigene Cyberagentur, das Innovationslabor System Soldat und nicht zuletzt die BWI als zentraler IT-Dienstleister der Bundeswehr mit einem Jahresumsatz von fast zwei Milliarden Euro. Da sind die Wehrtechnischen Dienststellen, die Material und Systeme erproben, da sind die Universitäten der Bundeswehr und etliche Innovationsprojekte in den Teilstreitkräften.
Der Umfang dieser Strukturen ist das erste Problem: Wenn der Gründer eines Start-ups glaubt, ein nützliches Produkt oder eine gute Idee für die Truppe zu haben, verteilt er erst mal planlos Visitenkarten bei Veranstaltungen der Bundeswehr, weil er nicht weiß, an wen er sich überhaupt wenden soll. Wenn Soldaten des Heeres an einer neuen Technologie tüfteln, wissen sie nicht, dass die Marine gerade vor einer ganz ähnlichen Herausforderung steht.
Für die Übersichtlichkeit des ganzen Apparats wird nun erst mal eine weitere Organisation geschaffen. Am 1. Dezember ist das „Innovationszentrum“ in Erding bei München eingeweiht worden, das künftig dokumentieren soll, was für die Truppe extern wie intern in der Entwicklung ist. Es soll Start-ups und findige Soldaten unterstützen, ihre Ideen an der richtigen Stelle in der Bundeswehr zu platzieren. Während der Abgleich des Angebots mit den Bedürfnissen der Truppe heute eher auf Zuruf funktioniert, soll das in Zukunft zentral und systematisch erfolgen. Gemeinsam geübt werden soll etwa auf dem Gelände des stillgelegten Fliegerhorsts in Erding. Letztlich soll die Truppe schneller das bekommen, was ihr in Übungen und Einsätzen nützt. 75 Dienstposten sind dafür vorgesehen.
Warum kommt ausgerechnet jetzt mehr Bewegung ins Thema? Der Krieg in der Ukraine zeigt schließlich seit fast vier Jahren, wie wichtig neue Technologien wie Drohnen und Künstliche Intelligenz auf dem modernen Gefechtsfeld sind. Man gebe seit drei Jahren Vollgas, sagt Alexander Schott, der Forschungs- und Innovationsdirektor im Verteidigungsministerium ist. Aber: „Die Bundeswehr ist eine Organisation mit über 260.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir waren geprägt von 30 Jahren des Sparens und der Mangelwirtschaft.“ Nun versuche man, Hochtechnologie in Hochgeschwindigkeit hinzubekommen. Das sei ein Kulturwandel, der in großen Organisationen lange dauern könne.
Experimentieren mit der Truppe
Wahr ist auch: Es war eine bewusste Entscheidung, mit dem Sondervermögen der „Zeitenwende“ die runtergewirtschafteten Streitkräfte zunächst mit jenen Dingen zu versorgen, die bereits am Markt verfügbar waren. Inzwischen wird mehr Geld für die Ausrüstung der Truppe in neue Technologien gesteckt. So hat der Drohnenhersteller Quantum Systems kürzlich einen Auftrag über die Auslieferung von bis zu rund 750 Aufklärungsdrohnen erhalten. Auch der KI-Spezialist Helsing zählt die Bundeswehr zu seinen Kunden. Diese Firmen allerdings konnten überhaupt erst wachsen, weil sie ihre Produkte zunächst an die Ukraine verkauften oder finanzstarke Investoren im Rücken haben.
Unternehmer Moritz Sümmermann würde sich wünschen, dass der Prozess von der Idee bis zur Einführung in der Truppe wie ein Fließband wäre. Aber derzeit sei es so, dass dieses Fließband immer wieder unterbrochen werde. Los ging es für Oberon Systems am Cyber Innovation Hub, der das junge Unternehmen mit der Demonstration eines Prototypen beauftragte. Zweimal bekam das Unternehmen über den CIH Geld. Das sei noch unkompliziert gewesen, weil die Summe unter der Grenze von 10.000 Euro gelegen habe, sagt Sümmermann.
Das frühzeitige und regelmäßige Experimentieren mit den Anwendern, also den Soldaten, gilt insbesondere mit Blick auf neue Technologien als entscheidend, weil sie sich so schnell weiterentwickeln. Der CIH hat vor Kurzem die Spectra-Challenge mitinitiiert. Dafür stellten internationale Teams ihre Technologien zum Schutz von Drohnen vor feindlichen Störsignalen der Bundeswehr vor. Vor wenigen Wochen testeten auf dem Bundeswehrgelände in Erding 13 Finalisten ihre Technik.
Mit dem Innovationszentrum soll die Zusammenarbeit von Industrie und Truppe weiter gefördert werden. Eine gute Sache, findet Florian Andresen, der an der Universität der Bundeswehr in Hamburg zum Thema Innovationsmanagement forscht. „Momentan geben wir die Systeme meistens erst in einem sehr fortgeschrittenen Zustand zum Testen in die Truppe.“ Das birgt große Risiken, weil man eben erst spät Korrekturen vollziehen kann, wenn schon ein großer Teil der Kosten angefallen ist.
Staat wäre ein wichtiger Ankerkunde
Auch Sümmermann sagt, er konnte sein Tarnsystem durch die Tests mit der Truppe verbessern. Doch als die Firma mit dem Beschaffungsamt in Koblenz einen Vertrag über die weitere Entwicklung schließen wollte, wurde es kompliziert. Ihre Kosten mussten die Gründer „bis auf die letzte Schraube“ im Voraus nachweisen – schwierig in einem Innovationsprozess, findet Sümmermann. Sie hätten sich durch „Hunderte Seiten Papierkram“ gewühlt. Einer der Mitgründer ist Jurist. Der habe sich am Anfang noch gefragt, ob für ihn genug zu tun sein würde, erinnert sich Sümmermann. „Das fragt er sich definitiv nicht mehr.“ Bisher ist Oberon über die Prototypen-Phase nicht hinausgekommen. Sümmermanns Fazit: Es werde um den heißen Brei herumgeredet. „Den Start-ups fehlt es einfach an regulären Aufträgen aus der Bundeswehr.“
Den Staat als Ankerkunden zu haben, würde den Start-ups auch dabei helfen, Investoren zu gewinnen. Doch dafür müsste sich nicht nur die Bereitschaft vergrößern, auch bei gewissen technologischen Risiken zu kaufen. Es müsste auch der langwierige Beschaffungsprozess vereinfacht werden. So sind die Verfahren sehr bürokratisch, die Ausschreibungen nicht selten so ausgestaltet, dass von vornherein nur ein einziger Anbieter infrage kommt. Die Ausschreibungen beschreiben – vereinfacht gesagt – nicht das Fähigkeitsziel, sondern den technischen Weg dorthin. Das schließt vor allem Firmen aus, die alte Probleme mit neuen, innovativen Ansätzen lösen wollen.
Ein Novum ist vor diesem Hintergrund der Vertrag, den das Beschaffungsamt mit den Herstellern Rheinmetall, Stark und Helsing über bewaffnete Einwegdrohnen, sogenannte Loitering-Munition, geschlossen hat. Die Bundeswehr will demnach durch die Aufteilung des Programms den Wettbewerb beleben, die Innovationskraft stärken und zugleich vermeiden, sich von einem einzigen Anbieter abhängig zu machen. Die Drohnen werden dabei unter einsatznahen Bedingungen getestet. Doch solche Projekte sind bisher eine Ausnahme.
Mehr Einfluss für die Teilstreitkräfte
„Die Frage, wie man die reguläre Beschaffung in den Innovationsprozess reinholt, ist noch immer ungeklärt“, kritisiert Andresen. Es werde alles durch dasselbe System gepresst, obwohl es angesichts der technologischen Sprünge viel mehr Differenzierung bräuchte. So seien die Anforderungen in den Ausschreibungen für neue Anbieter nur schwer zu erfüllen, wenn etwa ein bestimmter Mindestumsatz in den letzten Jahren oder die garantierte Versorgung mit Ersatzteilen für mehrere Jahrzehnte vorgeschrieben ist. „Ein etablierter Hersteller kann das leisten, ein Start-up vielleicht nicht. Aber wie wichtig sind die Ersatzteile in 20 Jahren, wenn der Lebenszyklus vieler Produkte heute viel kürzer ist?“ Das Beschaffungssystem der Bundeswehr beschreibt er so: „Es gibt eine Autobahn, über die alle Lieferanten fahren müssen – und die ist lang und verstopft. Wir müssen uns fragen, ob wir links und rechts Schnellstraßen für bestimmte Produkte bauen.“
Und wenn gar nicht erst jede Straße an Koblenz vorbeiführen muss? Bis zur Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahr 2012 war die Beschaffung dezentraler organisiert. „Es ist an der Zeit, den Teilstreitkräften im Bereich Beschaffung und Nutzung wieder eine größere Mitgestaltungsmöglichkeit zu geben.“, sagt Christian Freuding, der als Inspekteur des Heeres seit Oktober der ranghöchste Soldat der Landstreitkräfte ist. Innovation entstehe nicht durch Zentralisierung. Er begrüßt, dass Heer, Marine und Luftwaffe im Haushalt des kommenden Jahres jeweils eine Million Euro erhalten sollen, die sie in Innovation und Beschaffung stecken können. Das sei zwar nicht allzu viel, biete aber „eine gute Chance, auszuprobieren, wie wir Technologien fördern können und auch in die Breite kriegen.“
Andresen erkennt Konfliktpotential in dem Wunsch nach mehr Autonomie in den Streitkräften und dem Prinzip des Innovationszentrums, Projekte und Ideen zu bündeln. Das Verteidigungsministerium will die neue Organisation in Erding zwar als „Enabler“ verstanden wissen, der querschnittliche Technologien, etwa bestimmte Software, bündelt und einzelne Projekte und Anlaufstellen gezielt unterstützt. Doch als Teil des Beschaffungsamts ist das Innovationszentrum in hierarchische, komplexe und zentralistische Strukturen eingebunden. Die Nähe zu Koblenz könne bedeuten, dass man schnell handlungsfähig ist, sagt Andresen. Genauso könne es die Prozesse aber auch lähmen.
Alexander Schott verweist auf juristische Hürden im Vergaberecht. So könne der Austausch mit den Soldaten im Entwicklungsprozess unter bestimmten Umständen als Wettbewerbsvorteil ausgelegt werden kann, was die Firmen von einem späteren Vergabeverfahren ausschließen würde. Zugleich biete das bestehende Recht aber Möglichkeiten, innovativen Anbieterinnen und Anbietern mit mehr Risikobereitschaft den Zugang zur regulären Beschaffung zu erleichtern. Doch Schott warnt: „Wir als Verteidigungsministerium nutzen öffentliche Haushaltsmittel mit dem Ziel, unsere Streitkräfte verteidigungsfähig aufzustellen und für ihren Auftrag modern auszustatten.“ Das Ziel sei nicht, die deutsche Start-up-Community zu finanzieren.
Die sucht sich derweil andere Wege, um ihr Geschäft voranzubringen. Der Austausch mit dem israelischen Verteidigungsministerium sei vielversprechend gewesen, erzählt Sümmermann von Oberon Systems wenige Wochen später. Und von den israelischen Gründern, die er auf seiner Reise kennengelernt hat, habe sich keiner über die Bürokratie beschwert.
