Die geplante Schließung des Audi-Werkes in Brüssel hat, als die Nachricht im Juli dieses Jahres bekannt wurde, noch hohe Wellen geschlagen. Mittlerweile aber ist das Ringen um Audi Brussels nur noch ein Tropfen in einem Meer schlechter Nachrichten aus der Automobilindustrie. Deshalb haben sich die Pläne der belgischen Gewerkschaften zerschlagen, den Kampf um die 3000 Arbeitsplätze in der EU-Hauptstadt zu einem Kampf um die Zukunft der Autobranche in ganz Europa zu überhöhen.
Groß angekündigte Kundgebungen fielen aus, Solidarität aus Deutschland gab es kaum, denn die Kolleginnen und Kollegen im Mutterkonzern VW haben ihre eigenen Sorgen. Nun müssen die Arbeitnehmervertreter sogar eine demütigende Niederlage im Ringen mit Audi einstecken.
Das Werk werde definitiv am 28. Februar 2025 geschlossen, erklärte das Unternehmen am Donnerstag, es habe sich kein ernsthafter Übernahmekandidat gefunden. Die eigentliche Überraschung aber ist: Es gibt erst einmal auch keinen Sozialplan für die Beschäftigten. Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern hätten trotz immer wieder neuer Angebote zu keinem Ergebnis geführt, hieß es. Deshalb werde Audi nun jedem und jeder einzelnen Beschäftigten ein Abfindungsangebot unterbreiten, das weit über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehe.
Der SUV Q8 e-tron findet zu wenig Käufer
„Die Entscheidung, das Werk in Brüssel zu schließen, ist schmerzhaft“, ließ Vorstandsmitglied Gerd Walker verbreiten. „Für mich persönlich war es die schwerste in meinem bisherigen Berufsleben.“
Die Gewerkschaften sehen das ganz anders. Das Unternehmen habe seit Juli genau dieses Ende angesteuert, Werkschließung ohne Sozialplan, sagt Dominique Bray von der christlichen Gewerkschaft CNE. „Es ist ein Szenario von großer Brutalität.“
Audi begründet die Schließung des Werkes im Brüsseler Stadtteil Forest damit, dass der hier gebaute SUV Q8 e-tron in Europa viel zu wenig Käufer findet. Die Logistikkosten sind hoch, das Werk liegt in einem Wohngebiet, was einen Ausbau erschwert. Die belgische Gesetzgebung versucht in solchen Fällen drohender Schließung zu retten, was zu retten ist für die Arbeitnehmer.
Die sogenannte „Procedure Renault“, benannt nach einer Werkschließung des französischen Autobauers in Belgien, schreibt den Unternehmen eine umfassende Informations- und Konsultationsphase vor. Diese ist nun abgeschlossen, und keines der Ziele wurde erreicht. Es gibt keinen neuen Investor. Es werden keine Arbeitsplätze gerettet. Und die Verhandlungen über den Sozialplan wurden abgebrochen.
Der belgische Wirtschafts- und Arbeitsminister Pierre-Yves Dermagne nannte den Schritt der Audi-Führung, die Gespräche mit den Gewerkschaften abzubrechen, „völlig außergewöhnlich und in der Geschichte unseres sozialen Dialogs beispiellos“. Er forderte die beiden Seiten auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Audi bietet Mitarbeitern mit langer Betriebszugehörigkeit Abfindungen zwischen 125 000 und 190 000 Euro
Audi weist die Schuld den Arbeitnehmervertretern zu. Das Unternehmen ist nach eigenen Angeboten bereit, für die Abfindungen mehr als doppelt so viel auszugeben als gesetzlich gefordert. Ein Beschäftigter mit 17 Jahren Betriebszugehörigkeit zum Beispiel kann nach Audi-Darstellung je nach Funktion und Gehalt durchschnittlich mit einer Summe zwischen 125 000 Euro und 190 000 Euro brutto rechnen. Die Summen setzen sich zusammen aus gesetzlichem Kündigungsgeld und freiwilliger Prämie. Außerdem bietet den Beschäftigten Audi an, ihnen ein Coaching zu finanzieren. Die Angebote sollen demnächst den Beschäftigten zugehen.
Audi torpediere mutwillig die Sozialpartnerschaft, klagen die Gewerkschaften und bezweifeln, ob sich die Strategie, direkt mit den einzelnen Beschäftigten zu verhandeln, wirklich auszahlen wird. Am Ende sei es für das Unternehmen vielleicht doch günstiger, wenn eine Arbeitnehmervertretung ein Gesamtpaket für alle Beschäftigten unterzeichnet. Audi wiederum dürfte darauf hoffen, dass die Beschäftigten nun Druck auf ihre Vertreter aufbauen. Einerseits erscheint das Angebot großzügig, andererseits können ohne einen offiziellen Sozialplan bestimmte staatliche Leistungen nicht ausgezahlt werden. Den Nachteil hätten etwa Beschäftigte, die älter als 60 Jahre sind.
Das Verhältnis zwischen Unternehmen sowie den Arbeitnehmern und ihren Vertretern ist jedenfalls vergiftet. Mitte November rückten während der Verhandlungen sogar behelmte Polizisten mit Schild und Schlagstöcken an, weil sich die Audi-Vertreter von Arbeitern bedroht fühlten, die in den Verhandlungsraum eingedrungen waren. Die Gewerkschafter behaupten, alles sei friedlich verlaufen und die Reaktion von Audi überzogen gewesen.
Die Frage wird nun sein, ob die Gewerkschaften genügend Überzeugungskraft haben, die eigenen Leute und die öffentliche Meinung in Belgien für den Kampf gegen Audi zu mobilisieren. Najar Lahouari, Chef der sozialistischen Gewerkschaft FGTB, sagt, man verhandle nicht mit einem Konzern, der keinen Euro mehr in der Kasse haben. Audi habe sich bewusst dafür entschieden, die Produktion des Q8 e-tron nach Mexiko zu verlagern und dafür „3000 Arbeitnehmer auf der Strecke zu lassen“. Die Brüsseler Zeitung Le Soir wiederum ließ am Freitag einen Arbeitsrechtler zu Wort kommen, der die Gewerkschaften zur Vernunft mahnte. Die Abfindungsangebote seien angesichts der Auto-Krise und speziell der Krise bei VW beachtlich.