„Wer sieht schon, ob ich arbeite?“: Warum Unternehmen dem Homeoffice misstrauen

„Wer sieht schon, ob ich arbeite?“Warum Unternehmen dem Homeoffice misstrauen

29.12.2025, 11:45 Uhr

imageVon Diana Dittmer
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Auch im Büro sind Arbeitsplätze nicht permanent besetzt. (Foto: picture alliance/dpa)

Demnächst können Unternehmen mithilfe von Microsoft Teams die Anwesenheit ihrer Mitarbeiter im Büro überprüfen. Beschäftigte fürchten den Generalverdacht, sie würden zu Hause nicht arbeiten. Wie groß ist das Problem Arbeitszeitbetrug im Homeoffice tatsächlich? Experten zeichnen ein differenziertes Bild und stellen eine unbequeme Frage.

Ab Januar sollen Unternehmen mit Microsoft Teams noch genauer sehen können, wann und wo ihre Beschäftigten online sind – auch mithilfe von WLAN-Daten, die verraten, ob jemand wirklich im Büro ist. Offiziell geht es um IT-Sicherheit und Effizienz. Unausgesprochen schwingt jedoch etwas anderes mit: der Verdacht, Beschäftigte könnten ihre Anwesenheit nur vortäuschen. Die Sorge vor bezahlter Abwesenheit im Homeoffice, vor sogenannten Ghost Hours, treibt viele Arbeitgeber um. Doch rechtfertigt das die Überwachung?

Hinter der Debatte steht eine stille Unterstellung: Wer zu Hause arbeitet, trickst eher bei der Arbeitszeit. Repräsentative Studien darüber zeichnen für Deutschland ein deutlich differenzierteres Bild.

Was Studien tatsächlich zeigen

Die bislang umfassendste empirische Untersuchung liefert die „Arbeitszeiterfassungs-Studie 2024“ des Softwareanbieters Timo, durchgeführt vom Marktforschungsinstitut Consumerfieldwork. Befragt wurden 1000 Beschäftigte sowie 373 Arbeitgebervertreter.

Das Ergebnis der repräsentativen Umfrage widerspricht dem pauschalen Verdacht: 87 Prozent der Beschäftigten geben an, ihre Arbeitszeit sehr genau oder überwiegend korrekt zu erfassen. Nur 13 Prozent räumen ein, dies zumindest gelegentlich zu vernachlässigen. Rund 70 Prozent der Arbeitgeber berichten zwar, in ihren Unternehmen schon falsche Zeitangaben entdeckt zu haben – meist jedoch als Einzelfälle, nicht als Massenphänomen.

Ein anderes Ergebnis trifft allerdings den Nerv der Homeoffice-Debatte: Rund sieben von zehn Beschäftigten geben an, während der Arbeitszeit zumindest gelegentlich private Dinge zu erledigen. Arbeitsrechtlich kann das bereits als Arbeitszeitbetrug gelten. In der Praxis vieler Bürojobs verschwimmen jedoch Arbeits- und Leerzeiten meistens – unabhängig davon, ob im Büro oder zu Hause gearbeitet wird.

Dass Täuschung technisch immer leichter wird, verstärkt die Sorge der Arbeitgeber. Schon für wenige Euro sind sogenannte Maus-Jiggler erhältlich, die verhindern, dass der Rechner in den Ruhemodus wechselt. Doch die Existenz solcher Hilfsmittel sagt wenig darüber aus, wie verbreitet systematischer Betrug tatsächlich ist.

Der wirtschaftliche Schaden

Arbeitszeitbetrug kann Unternehmen teuer zu stehen kommen. Die Arbeitspsychologin Laura Venz von der Leuphana Universität Lüneburg betont im „Handelsblatt“, jede nicht geleistete Arbeitsminute verursache Kosten. Zudem wirke Betrug wie ein Virus: Wenn Beschäftigte den Eindruck gewinnen, andere zögen sich zurück, sinke auch bei ihnen die Leistungsbereitschaft. Diese Logik erklärt, warum Unternehmen sensibel reagieren – und warum der Ruf nach Kontrolle lauter wird.

Rechtlich ist die Lage klar. Wer vorsätzlich Arbeitszeiten falsch erfasst, Pausen unterschlägt oder nicht geleistete Stunden abrechnet, riskiert Abmahnung oder Kündigung. Der Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott erklärt im „Spiegel“, dass Gerichte zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz unterscheiden. Eine versehentliche Falscherfassung werde meist abgemahnt, eine bewusste Täuschung hingegen könne eine sofortige Kündigung rechtfertigen.

Im Homeoffice legen Gerichte dabei häufig einen strengeren Maßstab an. Der Grund: Arbeitgeber seien hier besonders auf Vertrauen angewiesen. Wer dieses missbrauche, begehe einen schwereren Verstoß. Formal gilt sogar das Ausräumen der Spülmaschine während der Arbeitszeit als Betrug. In der Praxis werden jedoch Bagatellen und systematische Täuschung klar getrennt.

Mehr Flexibilität, mehr Grauzonen

Wie verbreitet Homeoffice ist und das damit verbundene Potenzial für Arbeitszeitbetrug zeigt die Homeoffice-Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation. Ende 2024 arbeiteten 39 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland zumindest gelegentlich von zu Hause.

Unter den Homeoffice-Beschäftigten geben 30 Prozent an, während der Arbeitszeit regelmäßig private Dinge zu erledigen; am Büroarbeitsplatz sagen das 22 Prozent. Zugleich berichten Homeoffice-Nutzende häufiger, im Büro Zeit „abzusitzen“. Diese Daten sprechen gegen das Bild des faulen Homeoffice-Arbeiters. Vielmehr zeigen sie, dass Arbeit überall Wartezeiten produziert – Zeit, die im Büro kaschiert oder überbrückt wird, gegebenenfalls mit Flurfunk am Kaffeeautomaten, und im Homeoffice mit Haushaltstätigkeiten.

Eher stiller Tausch als systematischer Betrug

Die Motive für falsche Zeiterfassung sind vielfältig. In der Timo-Studie gibt etwa ein Drittel der Beschäftigten an, unkorrekte Angaben als Ausgleich für unbezahlte Überstunden zu nutzen. Andere nennen familiäre Verpflichtungen oder Frust über Arbeitsbedingungen. Viele verstehen ihr Verhalten nicht als Betrug, sondern als informellen Ausgleich.

Arbeitspsychologin Venz spricht von einer „kleinen Rache“ gegenüber dem Arbeitgeber – nicht aus Faulheit, sondern als Reaktion auf Überlastung oder mangelnde Flexibilität. „Dass jemand einfach nur faul ist, ist der Einzelfall“, sagt sie.

Arbeitszeitbetrug im Homeoffice kommt also vor. Doch die vorliegenden Daten geben keinen Hinweis auf ein flächendeckendes Problem, das einen generellen Überwachungsansatz rechtfertigen würde. Im Gegenteil zeigen Studien aus der Arbeitsforschung, dass Homeoffice häufig zu längeren Arbeitszeiten, unbezahlter Mehrarbeit und einer „Always-on-Kultur“ führt.

Eine viel zitierte Untersuchung, veröffentlicht in „Springer Nature“, kommt sogar zu dem Schluss, dass Beschäftigte im Homeoffice oft mehr arbeiten als vorgesehen – allerdings ohne klare Zeiterfassung. Kontrolle könnte hier allen – Arbeitgebern wie Arbeitnehmern – helfen.

Was zählt, das Ergebnis – oder die Minute?

Für Unternehmen stellt sich eine grundsätzliche Frage: Wollen sie Arbeit in Minuten messen – oder in Ergebnissen? Der reine Fokus auf Anwesenheit und Aktivität gilt vielen Arbeitsforschern als überholt. Sinnvoller sei es, geleistete Aufgaben und realistische Ziele stärker zu gewichten, sagt Venz.

Gleichzeitig mahnt Arbeitsrechtler Fuhlrott zur Klarheit: Das deutsche Arbeitsrecht kennt keinen Werkvertrag, sondern ein Dienstverhältnis. Wer früher fertig ist, muss das offen kommunizieren – eigenmächtig früher Schluss zu machen, während man eingestempelt bleibt, ist unzulässig.

Aber wer mit WLAN-Tracking, Aktivitätslogs oder permanenter Kontrolle auf einen Schummelverdacht auf Arbeitszeit und -ort reagiert, greift womöglich zum falschen Mittel. Die Studienlage spricht weniger für ein Kontrollproblem als für ein Organisationsproblem. Vertrauen ersetzt keine Regeln – aber Überwachung auch kein gutes Arbeitsdesign.

Quelle: ntv.de