„Wenn ich eine Wolke wäre“ von Volker Weidermann: Umschwärmt, geliebt, verbittert

Auf
eine sonderbare Reise hat sie sich gemacht, an diesem letzten Tag des Jahres
1955, als sie in New York an Bord der „America“ ging. Das offizielle Ziel der
Reise war für alle Reisenden Bremerhaven. Für Mascha Kaléko war es: die
Vergangenheit. Und: das verloren gegangene Glück. Der Ruhm, der Applaus, das
Publikum. Ihr ganzes herrliches Leben als deutsche Dichterin. Sie hatte das
alles verloren. Kann diese Reise es ihr wiedergeben?

Im
Oktober 1938 war sie zusammen mit ihrem Mann, dem Musiker Chemjo Vinaver, und
ihrem noch nicht einmal zwei Jahre alten Sohn aus Deutschland geflohen,
buchstäblich in letzter Sekunde, bevor sie und ihre Familie der deutschen
Vernichtungsmaschine anheimgefallen wären. Sie wollte Deutschland nicht
verlassen, vor allem nicht ihr Berlin, die Stadt, der sie mit einer kindlichen
Freude und Liebe und Begeisterung anhing, seit sie im Alter von acht Jahren mit
ihrer jüdischen Familie hierhergezogen war.