Wenn Fitness-Apps Stress machen – Gesundheit

Die ehrwürdige Branche der Uhrmacher ist in der Krise. Zwar gibt es immer noch Menschen, die edle Chronometer tragen, deren Zifferblatt außer der Uhrzeit und dem Datum nichts weiter anzeigt. Doch zum Prestigeobjekt am Handgelenk sind längst auch die mit Hightech vollgestopften Wearables aufgestiegen, die über Schrittzahl, Kalorienverbrauch, Fahrradkilometer, Herzfrequenzvariabilität, Schlaftiefe und etliche andere Parameter Auskunft geben. Pulsmesser und Fitnessarmbänder liefern den medizinischen Leistungsnachweis permanent mit. Und genau das kann zum Problem werden.

Zwar sind Smartwatches und damit gekoppelte Apps dazu geeignet, Menschen zu mehr Bewegung zu animieren. Doch Psychologen und Sportwissenschaftler aus England haben gleich mehrere Aspekte identifiziert, die sich negativ auf die Psyche und das Verhalten auswirken können. Das Team um Florence Sheen von der Universität Loughborough zeigt im British Journal of Health Psychology, wie Gesundheit und Wohlbefinden durch die Apps beeinträchtigt werden.

„Fitness-Apps gehören weltweit zu den profitabelsten und populärsten Hilfsmitteln für die Gesundheit“, sagt Paulina Bondaronek vom University College London, die ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Auf mögliche Nachteile wurde bisher wenig geachtet, doch wenn die Gesundheit auf Kalorien und Schrittezählen reduziert wird, kann das Nutzer demotivieren und beschämen, was nicht zum besseren Befinden beiträgt.“

Die Forscher hatten fast 60 000 Posts auf der Social-Media-Plattform X ausgewertet und die Reaktionen auf einige der weltweit am häufigsten genutzten Fitness-Apps analysiert, darunter MyFitnessPal, Strava und FitCoach. Auch wenn Aussagen in sozialen Medien oft übertrieben sind, lässt sich daraus schließen, mit welchen Schwierigkeiten manche Nutzer von Tracking-Apps zu kämpfen haben. Lag der Schwerpunkt der Apps darauf, die Kalorien zu zählen, gab es beispielsweise genervte Kommentare, wenn das vorgegebene Ziel mal wieder nicht erreicht wurde. „So, wie erkläre ich jetzt MyFitnessPal, dass ich mir gerade zwei Tacos anbrate und sie dick mit süßer Sauce bestreiche, weil ich Heißhunger auf Kohlenhydrate habe“, schreibt ein Nutzer unter #dietsad.

Andere User von Fitness-Apps beklagen sich darüber, dass der Algorithmus zu simpel dafür ist, um ihren Alltag, den Kalorienverbrauch und die körperliche Aktivität zu erfassen. „Kann mir eine andere stillende Mutter bitte sagen, wie ich das Stillen in MyFitnessPal unterbringe?“, schreibt eine Frau. „Die Kalorien werden nicht abgezogen.“ In anderen Fällen waren Nutzer irritiert, weil sie beispielsweise Joghurt als Kalorienaufnahme in der App eingetragen hatten und dann verwirrende Angaben zu gesättigten und ungesättigten Fettsäuren erhielten oder Vorgaben zur Kalorienrestriktion, die schlicht ungesund und nicht zu erreichen waren.

Auch der Vergleich mit anderen hat seine Tücken

Andere Nutzer haderten damit, dass mühsam errungene Daten nicht aufgezeichnet wurden oder verloren gingen. „Habe gerade eine persönliche Bestzeit im Training für den Halbmarathon erzielt, aber am Ende war mein Handy leer“, schreibt ein Hobbyläufer. „Jetzt kann es niemand auf Strava sehen – das sollte mich zwar nicht ärgern (tut es aber doch).“ Freizeitsportler reagieren irritiert („Was mache ich bloß falsch?“), wenn ihnen eine App 165 Kilometer mit 1100 Höhenmetern attestiert, die andere für die identische Rennradrunde aber nur 143 Kilometer und 400 Höhenmeter aufführt.

Belastend für die Psyche kann es auch sein, wenn die App dazu auffordert, täglich Kalorienverbrauch und Sportprogramm einzutragen, aber die Ziele nicht erreicht werden. „Das kann zu aversiven Reaktionen führen und Scham, Verärgerung und Schuldgefühle auslösen“, schreiben die Autoren. Manche Nutzer begegnen diesem Phänomen zwar mit Humor, andere verlieren hingegen die Motivation. „Warum ich mein Mittagessen nicht eingetragen habe?“, schreibt ein User. „Also Kumpel, ich hab’s nicht eingetragen, weil ich erst Fastfood hatte, dann ein dickes Eis … lass mich in Ruhe!“

Nicht immer gelingt ein komödiantischer Ton, manche Nutzer hadern mit ihrer mangelnden Disziplin, reagieren frustriert und mit schlechtem Gewissen und stellen daraufhin weitere Bemühungen für ihre Gesundheit ein. „Das Tracking kann positive wie negative Auswirkungen haben“, sagt der Sozialpsychologe Malte Friese von der Universität des Saarlandes. „Letztlich ist es eine App, von der man weiß, dass sie zum Sport animiert. Anders kann es sein, wenn konkrete Referenzwerte im Spiel sind. Wird das Ziel nicht erreicht, kann das Defizite deutlich machen, die emotional unangenehm sein können.“ Andererseits können konkrete Ziele motivieren, wenn sie gut gewählt sind und herausfordernd, aber nicht überfordernd wirken, so Friese. Das könne das Gefühl der Selbstwirksamkeit stärken und zu Fortschritt beitragen, der sich gut anfühlt.

Negative Reaktionen treten womöglich auch ein, weil eine Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Aktivitäten und den von der App vorgeschlagenen vorliegt. Gründe dafür können aktuell andere Prioritäten sein wie eine hohe Arbeitsbelastung oder kranke Kinder. „Je ,besser‘ diese Gründe sind, desto eher kann man die Diskrepanz zum gewünschten Zustand erklären und desto geringer die emotionalen Konsequenzen“, so Friese. „Hält man die Vorgaben der Tracker nicht ein, kommt es also sehr darauf an, für wie sinnvoll und verbindlich man sie hält und welche subjektiven Erklärungen es für die Diskrepanz gibt.“ Typischerweise seien Menschen ja ganz gut darin, Gründe zu finden, die ihren Selbstwert schützen und die Diskrepanz rechtfertigen.

Viele Apps ermöglichen es, die eigenen Aktivitäten mit anderen zu teilen. Hier ergeben sich Friese zufolge klarere Vorhersagen. „Sind einem andere ähnlich, liefern ihre Aktivitäten ein informatives Bild darüber, wo man selbst steht“, sagt der Sozialpsychologe. „Vergleicht man sich mit einer Person, die einem etwas voraus ist, kann dies zu negativen emotionalen Konsequenzen führen. Es fühlt sich nicht gut an, wenn andere besser sind als man selbst, insbesondere dann, wenn man die anderen eigentlich ,in der gleichen Liga‘ sieht.“ Gleichzeitig könne ein moderater Vorsprung anderer dazu motivieren, sich zu verbessern. Das ist eine positive Konsequenz. „Dies ändert sich, wenn der Vorsprung von Personen, die man in der gleichen Liga wähnte, sehr groß ist“, so Friese. „Eine solche Erfahrung kann emotional schwierig sein, demotivieren und dazu beitragen, dass man selbst vom Ziel ablässt.“ Die Menschen sagen sich dann: Das kann ich eh nicht erreichen.

Umgekehrt sind allerdings auch positive Konsequenzen denkbar. Stellt man fest, dass man einen Vorsprung gegenüber anderen hat, fühlt sich das meistens gut an und festigt im Zweifel den eigenen Selbstwert. „Möglicherweise führt es aber auch dazu, dass man ein wenig darin nachlässt, seine Ziele zu verfolgen, schließlich scheint es ja bereits gut zu laufen“, sagt Sozialpsychologe Friese. Es bleibt also vertrackt mit der App.