Washington: Keine Überlebenden nach Flugunglück

Die Sonne war gerade über dem Potomac aufgegangen, als der Leiter der Feuerwehr und des Rettungsdienstes von Washington ein zweites Mal vor die Kameras trat, um über den Zusammenstoß eines Passagierflugzeugs mit einem Militärhubschrauber am Mittwochabend zu informieren. „Zu diesem Zeitpunkt gehen wir nicht davon aus, dass es Überlebende gibt“, sagte John Donnelly in der Pressekonferenz am Stadtflughafen von Washington. Die Rettungsmission sei nun eine Bergungsmission. Bislang seien 28 Todesopfer geborgen worden; weitere 39 Personen werden demnach noch vermisst. Die Kollision des Flugzeugs des Typs Bombardier CRJ700 von PSA Airlines mit einem Black-Hawk-Militärhubschrauber über dem Wasser des Flusses Potomac war da knapp elf Stunden her.

Der Einsatzleiter Donnelly hatte schon am späten Mittwochabend hervorgehoben, bei der Suchoperation handele es sich wegen schwieriger Bedingungen um ein „extrem komplexes“ Unterfangen. Es sei kalt, sehr windig, und der Fluss stellenweise noch von Eisschollen bedeckt. Am Donnerstag hieß es, Trümmerteile des Flugzeugs seien an mindestens drei Stellen im Fluss gefunden worden; einige sollen wegen des starken Windes und der Strömung bis zu acht Kilometer abgetrieben worden sein. Seit dem späten Mittwochabend waren laut Behördenangaben etwa 300 Einsatzkräfte aus mehr als ei­nem Dutzend Dienststellen im Einsatz.

Videos in sozialen Netzwerken zeigen den Zusammenstoß

Über die Ursache des Zusammenstoßes war am Donnerstag zunächst nichts bekannt. Videos, die in den sozialen Medien verbreitet wurden, zeigen einen Zusammenstoß zweier Flugobjekte und einen großen Feuerball auf der Uferseite des Potomac im Bundesstaat Virginia. Laut Einsatzleiter Donnelly ging um 20.48 Uhr ein Notruf vom Tower des Ronald Reagan National Airport ein, der zu einem großen regionalen Einsatz führte. Zehn Minuten später seien die ersten Einsatzkräfte am Unglücksort eingetroffen und hätten ein Flugzeug „im Wasser vorgefunden“. Es seien Polizei- und Feuerwehrboote, Hubschrauber und Taucher im Einsatz gewesen. Der Flugbetrieb wurde unmittelbar nach dem Unglück eingestellt und sollte am Donnerstagvormittag wieder aufgenommen werden.

Ein Videostandbild von Aufnahmen einer Sicherheitskamera auf dem Ronald Reagan Washington National Airport zeigt die Kollision.
Ein Videostandbild von Aufnahmen einer Sicherheitskamera auf dem Ronald Reagan Washington National Airport zeigt die Kollision.dpa

Der neue amerikanische Transport­minister Sean Duffy hob am Donnerstag hervor, der Flugverkehr von Passagierflugzeugen und Militärhubschraubern zum selben Zeitpunkt sei im Luftraum über Washington Normalität. Noch könne man keine Angaben zu den Gründen für das Unglück machen, doch beide Flug­körper seien vor dem Zusammenstoß auf einer „standardmäßigen Flugroute“ unterwegs gewesen. Die Amerikaner erwarteten „Sicherheit“ im Luftverkehr, und diese Erwartung habe man in der vergangenen Nacht enttäuscht, sagte Duffy weiter. „Wir werden nicht ruhen, bis wir Antworten ha­ben.“ Der Zusammenstoß wäre „definitiv zu verhindern“ gewesen, äußerte er.

Der Militärhubschrauber soll sich nach Medienberichten auf einem Trainingsflug befunden haben. Das Pentagon teilte mit, darin hätten drei Militärangehörige gesessen. Da die Hubschrauber häufig zum Transport von politischem Personal eingesetzt werden, wurde außerdem mitgeteilt, dass ausschließlich Militärangehörige an Bord gewesen seien.

Eine Tonbandaufnahme soll den Funkverkehr wiedergeben

Der amerikanische Präsident Donald Trump äußerte sich kurz nach Mitternacht – noch vor der ersten Pressekonferenz – mit einer eigenen Einschätzung des Vorfalls. Das Flugzeug habe sich in einem „perfekten“ Anflug auf den Flughafen befunden. Es sei eine klare Nacht gewesen, die Lichter des Flugzeugs seien eingeschaltet gewesen. „Warum ist der Hubschrauber nicht nach oben oder unten geflogen oder hat eine Kurve geflogen?“, schrieb Trump auf seiner Plattform „Truth Social“. Warum habe der Kontrollturm „dem Hubschrauber nicht gesagt, was er tun soll, anstatt zu fragen, ob er das Flugzeug gesehen hat?“ Es sei eine schlimme Situation, die hätte verhindert werden müssen, „nicht gut“.

In einer Pressekonferenz im Weißen Haus am Donnerstagmittag sprach Trump von einer „Tragödie schrecklichen Ausmaßes“. Es seien „unser aller Herzen gebrochen“. Dann äußerte er Kritik an der Vorgängerregierung. Man wisse noch nicht, was zu der Kollision geführt habe, aber man habe „starke Meinungen“. Er habe in seiner ersten Amtszeit die Anforderungen für den Beruf des Fluglotsen angehoben; Joe Biden aber habe dies mit seiner „furchtbaren Politik“  rückgängig gemacht. „Normale Leute“ könnten den Job nicht machen, sie müssten „Genies“ sein. Unter Biden seien im Diversitätsprogramm jedoch ungeeignete Personen mit „psychischen und physischen Behinderungen“ in der Luftfahrtbehörde angestellt worden. Nun hätten mehrere „schlechte Entscheidungen“ zu dieser Tragödie geführt.

Nach den voreiligen Schlussfolgerungen von Trump zum Flugzeugunglück hat die Unfallermittlungsbehörde NTSB um Geduld bei der Aufklärung der Ursache gebeten. „Sie müssen uns Zeit geben“, sagte die Behördenleiterin Jennifer Homendy bei einer Pressekonferenz. Die Ermittler hätten Daten und große Mengen an Informationen. Diese auszuwerten und zu verifizieren, dauere jedoch. Die Untersuchungen hätten erst begonnen. Auch die Flugschreiber seien noch nicht geborgen. „Sie sind unter Wasser“, sagte Homendy. Rund 50 Ermittler seien an der Unglücksstelle im Einsatz. Hinzu kämen Spezialisten in der Behördenzentrale, die mit dem Fall betraut seien. „Wir werden bei dieser Untersuchung jeden Stein umdrehen“, versprach sie.

Ein anderer Vertreter der Behörde, Todd Inman, betonte ebenfalls: „Wir werden weder die wahrscheinliche Ursache des Unfalls bestimmen, während wir hier vor Ort sind, noch werden wir über die mögliche Ursache spekulieren.“ Ziel sei es, innerhalb von 30 Tagen einen vorläufigen Bericht vorzulegen. 

In den sozialen Medien wurde am Mittwochabend eine Tonaufnahme verbreitet, die angeblich aus dem Tower stammt und den Funkverkehr mit dem Hubschrauber wiedergibt. Darin ist zu hören, wie eine Person den Hubschrauberpiloten fragt, ob er das Passagierflugzeug CRJ „im Blick“ habe, und ihn dann anweist, „hinter“ dem Flugzeug vorbeizufliegen. Im Folgenden – offenbar nach dem Zusammenstoß – sind mehrere entsetzte Ausrufe zu hören. Das Passagierflugzeug, das aus der Stadt ­Wichita im Bundesstaat Kansas kam, soll im letzten Moment auf eine andere Landebahn umgeleitet worden sein. Kurz vor der Landung kam es dort dann zu der ­Kollision.

Eiskunstläufer aus den USA und Russland waren an Bord

Ein Washingtoner Lokalsender sprach am Flughafen mit einem Mann, dessen Frau an Bord des Flugzeugs aus Kansas gewesen war. Er sagte, sie habe ihm noch geschrieben, dass sie in 20 Minuten lande. Seine Antwort sei schon nicht mehr zugestellt worden. Auf Fotos vom späten Abend waren Trümmerteile des Flugzeugs zu sehen, unter anderem Teile einer Tragfläche und des Rumpfs, die aus dem Wasser ragten. An Bord waren offenbar auch mehrere Mitglieder des amerikanischen Eiskunstlaufverbands, unter ihnen Sportler, Trainer und Familienmitglieder, die auf dem Rückweg von einem ­Trai­ningslager waren.

Reaktionen gab es am Donnerstag deshalb auch aus Russland. Einige der Passagiere mit Bezug zum Eiskunstlauf sollen russische Emigranten oder deren Kinder gewesen sein. Eiskunstlauf ist, wie schon zu sowjetischer Zeit, ein russischer Nationalsport. In Wichita hatten jüngst die amerikanische Meisterschaften im Eiskunstlauf sowie ein Trainingslager stattgefunden. Laut Medienberichten waren im Flugzeug der American Airlines die 52 Jahre alte Jewgenija Schischkowa und der 55 Jahre alte Wadim Naumow an Bord. Beide wurden in Leningrad, dem heutigen Sankt Petersburg, geboren, sie besuchten dieselbe Eiskunstlaufschule der Stadt und wurden 1994 Weltmeister im Paarlauf. Im Jahr darauf heirateten sie und zogen 1998 in die Vereinigten Staaten, wo 2001 ihr Sohn zur Welt kam.

Beide arbeiteten als Trainer, ihr Sohn wurde ebenfalls Eiskunstläufer; widersprüchliche Berichte gab es darüber, ob auch er an Bord war. Auch die 1966 geborene frühere sowjetische Eiskunstläuferin Inna Woljanskaja soll an Bord gewesen sein; sie arbeitete ebenfalls als Trainerin in den Vereinigten Staaten. Präsident Wladimir Putins Sprecher Dmitrij Peskow, der selbst mit einer Eiskunstläuferin verheiratet ist, sprach von „schlechten Nachrichten aus Washington“ und kondolierte den Hinterbliebenen „unserer Mitbürger“. Der russische Eiskunstlaufverband ließ wissen, es seien keine noch aktiven Athleten mit russischer Staatsangehörigkeit an Bord gewesen.

Piloten müssen beim Anflug höchst achtsam sein

PSA Airlines ist eine regionale Flug­gesellschaft, deren Hauptquartier in Dayton im Bundesstaat Ohio ist. Sie betreibt Flüge für American Airlines, die – gemessen an den Passagierzahlen – weltgrößte Fluggesellschaft, und hat eine Flotte, die aus Bombardier-Flugzeugen besteht, die etwa 60 Personen fassen können. Der Geschäftsführer von American Airlines hatte sich in der Nacht zum Donnerstag auf den Weg nach Washington gemacht und gab am Donnerstagmorgen an, die Betreuung der Angehörigen habe nun oberste Prio­rität. Auch er sagte, es gebe noch keine ­Erkenntnisse darüber, „warum der Militärhubschrauber in die Flugbahn des PSA-Flugzeugs geriet“.

Das Unglück entfacht eine neue Debatte über die Auslastung des Stadtflughafens von Washington. Es ist üblich, dass Hubschrauber des Militärs und der Küsten­wache häufig tief über dem Fluss und damit auch nahe der stark frequentierten Start- und Landerouten des Flughafens fliegen. Als er im Jahr 1941 eröffnet wurde, war der Flughafen für die Abfertigung von 15 Millionen Passagieren gedacht; heute sind es im Jahr 25 Millionen Per­sonen.

Ein Sprecher der amerikanischen ­Pi­lotengewerkschaft „Allied Pilots Association“ äußerte gegenüber der „Washington Post“, es handele sich bei dem Anflug um einen „Bienenstock“. Die Piloten müssten höchst achtsam sein. Der Senator Roger Marshall aus Kansas äußerte sich am Mittwochabend bestürzt über das Unglück. Er selbst habe diesen Flug schon viele Male genommen. „Ich habe mich bei American Airlines dafür eingesetzt, dass sie einen Direktflug nach Washington einsetzen“, sagte Marshall.

Die letzte tödliche US-Flugkatastrophe liegt 16 Jahre zurück

Die Ufer des Potomac um den Hauptstadtflughafen herum waren am späten Mittwochabend von Rettungsfahrzeugen gesäumt. In der Luft kreisten Suchhubschrauber; die Brücken über den Fluss waren für den Verkehr zeitweise gesperrt. Auch der gegenüberliegende Hains Point, von dem aus die Unglücksstelle einsehbar war, wurde im Laufe des Abends abgesperrt. Der Potomac war wegen der außergewöhnlichen Minusgrade in der Hauptstadt in der vergangenen Woche noch stellenweise zugefroren und von Eisschollen bedeckt.

Die bisher letzte tödliche Flugkatastrophe mit einer kommerziellen Fluggesellschaft in den Vereinigten Staaten hatte sich vor 16 Jahren ereignet. Am 12. Fe­bruar 2009 war Colgan Air Flug 3407 in der Nähe der Stadt Buffalo im Bundesstaat New York abgestürzt. Dabei kamen 50 Menschen ums Leben.