Was ist dran am Hype um Longevity?

Longevity-Workshops, Longevity-Podcasts, Longevity-Retreats: Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendetwas zum Thema Langlebigkeit in meinen sozialen Netzwerken auftaucht. Allein auf Instagram gibt es mehr als 1,5 Millionen Einträge mit dem Hashtag Longevity.

Auch ich arbeite daran, möglichst lange fit und gesund zu sein: Ich esse mehr Proteine als früher, weil mit zunehmendem Alter die Fähigkeit des Körpers abnimmt, mit eigener Kraft Muskeln neu zu bilden. Ein Grund, warum ich auch inzwischen mehr im Fitnessstudio die mir eigentlich verhassten Gewichte stemme, als im Englischen Garten an der frischen Luft meine Runde zu laufen.

Ich versuche, nach der 16:8-Methode zu essen und meinem Stoffwechsel Ruhepausen zu gönnen. Morgens trinke ich ein Glas Essigwasser, damit der Blutzuckerspiegel nicht direkt in die Höhe schießt. Ich frühstücke herzhaft statt süß. Obst gibt es als Nachtisch und nicht zwischendurch, auf Empfehlung der Bestsellerautorin und Biochemikerin Jessica Inchauspé, auch bekannt als „Glucose Goddess“. Ich nehme Nahrungsergänzungsmittel, die mir meine Gynäkologin verschrieben hat.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Im Unterschied zu vor 20 Jahren weiß man heute, dass man für seinen eigenen Zustand präventiv viel tun kann – und damit auch das Älterwerden ein Stück weit hinauszögert. Das ist auch die Essenz von Longevity.

Bis an die Schmerzgrenze

Doch wie so oft wird aus einer Erkenntnis ein Hype, mit Steigerungen, die an die Schmerzgrenze gehen. Mittfünfzigerinnen – Frauen in meinem Alter – laufen auf Tiktok und Instagram durch die Straßen, singen, tanzen und fragen: Könnt ihr glauben, dass ich 55 bin?

Um ein Vielfaches getoppt wird das noch vom amerikanischen Milliardär Bryan Johnson, der das Thema Altern zu seinem Lebenswerk macht. Der Tech-CEO schluckt täglich mehr als 100 Pillen, lässt sich das Blut seines Sohnes injizieren und ist überzeugt, dass er damit sein biologisches Alter auf 18 Jahre zurückdrehen kann. So auch der Genetik-Forscher David Sinclair, der sich biologisch schon um zehn Jahre „verjüngt“ hat.

Wurde 96 Jahre alt:  Betty Halbreich; ihr letztes Buch erscheint im April 2025, ein ­halbes Jahr nach ihrem Tod.
Wurde 96 Jahre alt: Betty Halbreich; ihr letztes Buch erscheint im April 2025, ein ­halbes Jahr nach ihrem Tod.Getty

In den USA boomt das Longevity-Business. Jeff Bezos, Sam Altman und Peter Thiel investieren Millionen in Verjüngungs-Start-ups mit der Idee, das Altern zu beenden. Wissenschaftler forschen in den „Blauen Zonen“, zu denen Sardinien, Okinawa (Japan) und Ikaria (Griechenland) zählen, warum dort überproportional viele Hundertjährige leben.

In anderem Zusammenhang gibt es bereits erste Erkenntnisse, etwa jene, dass Stammzelltherapien das Altern verlangsamen können; sie kommen der menschlichen Sehnsucht nach ewiger Jugend ein Stück näher und versprechen in naheliegender Zukunft bahnbrechende Fortschritte, auch wenn es im Moment mitunter Science-Fiction-Charakter hat, von einer radikalen Lebensverlängerung zu sprechen.

Lieber im Geiste ewig jung bleiben

Dieser wissenschaftliche Ansatz hat jedoch mit der Dauerpräsenz von Prominenten und Influencern, die unentwegt ihre Biohacking-Routinen, Supplements und Sportaktivitäten verkünden, wenig gemein. Hier wird aus dem Ziel eines langen Lebens häufig eine Obsession, bei der Spaß und Genuss die rote Karte gezeigt bekommen. In solchen Momenten fehlen mir – auch in den sozialen Medien – Frauen wie die New Yorker Stilikonen Iris Apfel und Betty Halbreich. Sie sind mit ihrem Witz, sich selbst und der Welt gegenüber, 102 und 96 Jahre alt geworden, bevor sie in diesem Jahr verstarben.

Haben sie nach 20 Uhr nichts mehr gegessen? Industriezucker gemieden? Mindestens sieben Stunden geschlafen? Wir wissen es nicht, weil sie ohne Fixierung auf einen verjüngten Körper im Geiste ewig jung geblieben sind.

Regelmäßiger Sport und eine gesunde, ausgewogene Ernährung sind im Grunde Maßnahmen, die einem jeder Hausarzt seit vielen Jahren empfiehlt. Ab und zu ein Glas Wein oder ein Stück Kuchen zahlen auf das Gute-Laune-Konto ein. Die Menschen in den „Blauen Zonen“ sind zudem bekannt für ein erfülltes Sozialleben.