

Schwungvoll steht sie aus ihrem Bürosessel auf und begrüßt den Gast strahlend per Handschlag. In den folgenden zwei Minuten lacht Carina Lerch dreimal herzlich auf. Ob sie eine Frohnatur sei? So weit will die neue Leiterin der Abteilung Einsatz der Polizei in Mittelhessen nicht gehen. Doch sagt sie: „Ich bin tatsächlich ein optimistischer Mensch. Das berühmte Glas ist bei mir halb voll und nicht halb leer.“ Hinter Lerch liegt eine kurze Nacht, doch das ist ihr nicht anzusehen. „Ich bin seit vier Uhr hier“ – ein Einsatz habe die frühe Anfahrt aus ihrem Wohnort Frankfurt ins Präsidium notwendig gemacht.
Leiterin Einsatz – dieser Polizeiausdruck klingt bürokratisch. Carina Lerch, weiße Bluse und dezenter Perlenschmuck, erklärt ihren Rang und ihre Aufgabe aber ganz einfach. Sie ist demnach Chefin von 2000 der 2300 Beschäftigten der Polizei in Mittelhessen und der Wetterau. Die Verkehrspolizei gehört ebenso dazu wie die Kollegen von der Kriminalpolizei und jene, die sich um Prävention kümmern. Die Schutzpolizisten und die Beamten nicht zu vergessen, die Raser auf den Autobahnen verfolgen und dort auch sonst für Recht und Ordnung sorgen. Lerch ist kurz gesagt verantwortlich für alles, was die Menschen in den Kreisen Lahn-Dill, Marburg-Biedenkopf, Gießen und der Region zwischen Butzbach, Rosbach und Büdingen von der Polizei sehen „und was sie hoffentlich manchmal auch nicht sehen“. Denn: „Wir arbeiten ja auch verdeckt“, sagt sie und lächelt.
„Wir schützen Grundrechte“
Die Kernaufgabe sei, für Sicherheit zu sorgen. „Wir schützen Grundrechte“, hebt Lerch hervor. Ganz praktisch obliegt dies im Alltag ihren Kolleginnen und Kollegen am jeweiligen Ort. Ihre Chefin bewegt sich auf einer anderen Flughöhe. Wobei sie nicht abgehoben agiert. Vielmehr fährt sie gern hin und wieder auf Streife mit. „Das bringt den Vorteil mit sich, einen realen Einblick zu haben“, sagt sie.
Dessen ungeachtet gehe es etwa um die Frage, wie eine neue Arbeitsgruppe ausgestattet werde, die sich besonders eingehend um bestimmte Straftaten kümmert. Oder wie sich die mittelhessische Polizei auf neue Phänomene in der Kriminalität einstellt. Auch logistische Themen bearbeitet sie – zum Beispiel die Vorbereitung auf den Einsatz rund um das Treffen der neuen AfD-Jugendorganisation, die am letzten November-Wochenende in der Uni-Stadt an der Lahn gegründet werden soll.
Längst haben überregional tätige Gruppen wie das Aktionsbündnis Widersetzen und lokale Gegner der AfD ihre Proteste angekündigt. Im Internet ist von bis zu 40.000 Gegendemonstranten die Rede. Selbst wenn 15.000 Leute weniger kämen, wäre dies der größte Aufzug in der Stadtgeschichte. Darauf bereitet sich die Polizei schon seit Wochen vor.
Einsatz wird größer als beim Eritrea-Festival
Ohne ins Detail zu gehen, verhehlt Lerch nicht: Dieser Einsatz dürfte eine ganz andere Hausnummer als der Einsatz während des Eritrea-Festivals vor gut zwei Jahren werden. Seinerzeit kam es vor dem Gelände der privat betriebenen Messe zu Übergriffen von randalierenden Gegnern der auf dem Messegelände feiernden Anhänger des Regimes in Eritrea auf die Polizei. Zwei Jahre zuvor hatte es aus dem gleichen Anlass schon einmal Ausschreitungen gegeben. Auch dieses Mal steht das Messegelände als Tagungsort im Blickpunkt. Das Aktionsbündnis Widersetzen hat schon Blockaden an beiden Tagen angekündigt, um das Treffen zu verhindern. Wie es heißt, wird die Gießener Polizei aus Wiesbaden unterstützt werden.
Lerch gehört der hessischen Polizei seit 1998 an. Polizistin zu werden, sei aber keineswegs ihr erster Berufswunsch gewesen. Vielmehr habe sie mit dem Studium für das Lehramt an Gymnasien und mit Jura geliebäugelt. Bis sie eine Polizistin in einem Berufsinformationszentrum erlebt habe. Zuerst habe sie zwar deren Stand nur eher beiläufig beachtet – dann sei sie aber hingegangen und rasch fasziniert gewesen von dem, was die Polizistin zu berichten hatte. „Das wäre was für mich“, habe sie sich danach gedacht. Auf den Einstellungstest folgten drei Jahre Studium in Kassel und ein Jahr bei der Bereitschaftspolizei in der ehemaligen Bundeswehrkaserne in Lich.
Ihre ersten Schritte als angehende Beamtin ging die heute 47 Jahre alte Polizistin in Marburg. „In der allerersten Nacht hatten wir einen tödlichen Unfall auf der Stadtautobahn.“ Das habe sie nie vergessen. Neulich sei sie nach vielen Jahren wieder einmal in Marburg auf der Wache gewesen. Und sei unter anderem begrüßt worden mit den Worten: „Da ist ja unsere Praktikantin von damals.“ Sagt’s und lacht wieder herzlich. Im Verlauf ihrer Karriere fuhr Lerch Streife im Taunus, sie war bei der Schutzpolizei und der Kriminalpolizei, wo sie sich um Sexualstraftaten, um Rechtsbrüche im Rotlichtmilieu und Tötungsdelikte kümmerte.
Die Karriereleiter hinauf
Die nächsten Stufen auf der Karriereleiter bedingten ein weiteres Studium, nach zwei Jahren hatte sie einen Master-Abschluss in der Tasche, und zwei weitere Jahre folgten, um sie für höhere Aufgaben zu schulen. Dies mündete in den Posten der Chefin eines Mobilen Einsatzkommandos in Darmstadt. Das sei eine ganz tolle Verantwortung für ein Team von Kollegen gewesen, die allesamt freiwillig hart gearbeitet hätten, um die hohen Hürden vor dem Eintritt in diese Mannschaft zu nehmen. Im Laufe der Zeit habe sie viele Lagen geführt, wie es im Polizeideutsch heißt – Erpressungen und Entführungen inklusive, berichtet die Mutter einer Tochter.
Lerch führt gern „von vorne“ – das heißt, sie hält sich gern am Ort des Geschehens auf statt in einem Lagezentrum kilometerweit entfernt davon. Das hat sie etwa mit Thorsten Fleischer gemeinsam, dem Chef der Wetterauer Polizei, der in seiner Frankfurter Zeit jahrelang für die Einsätze rund um Spiele der Frankfurter Eintracht zuständig war. Begründung: So bekomme sie ein besseres Gespür für die Lage und die Stimmung während des jeweiligen Ereignisses – und für die Frage, wie die Polizei am besten handeln sollte.
Seit drei Monaten ist sie nun dienstlich in Gießen und lobt die Kollegenschar um sie herum. Lerch: „Ich habe ein gutes Gefühl, mit diesem Team in die Zukunft zu gehen.“ Ihren Führungsstil bezeichnet Lerch als mitarbeiterorientiert. Dass es in Sitzungen aber nicht nur harmonisch zugeht, verhehlt sie nicht. So habe neulich während einer Besprechung „Gewitterstimmung“ geherrscht, weil sie nicht zufrieden gewesen sei. „Das muss manchmal sein, das gehört zur Vorgesetztenaufgabe dazu“, hebt sie hervor. Und zwar mit ernster Miene.
