Gucci
Alessandro Michele, dessen Gucci-Look an ein natürliches Ende gekommen war, hat trotzdem eine Lücke hinterlassen. Und Sabato de Sarno kann sie nicht ohne weiteres mit seinem Gucci-Look füllen, der zugleich sexy und minimalistisch ist. So recht will die Stimmung nicht aufkommen, die der Achtzigerjahre-Hit „Non Voglio Mica La Luna“ der Italo-Popsängerin Fiordaliso aus den Lautsprechern eigentlich garantiert. Dabei sind sich im Anschluss an die Schau alle einig, dass das tolle bodenstreifende Mäntel waren. Der Bambus-Henkel, ein Gucci-typisches Element, ist als Halsreif an zeitlosen Abendkleidern goldrichtig plaziert. Aber reicht das? Ein bisschen mehr Italopop bitte!
Chanel
Wie man das vermisst hat in den dunklen Höhlen, in denen die Mode oft gezeigt wird! Zum ersten Mal seit fast vier Jahren war Chanel wieder hier, im Grand Palais, dem größten – und hellsten – Spielplatz der Mode. Rechtzeitig zu den Olympischen Spielen war der Glaspalast fertig renoviert, für die Fecht- und Taekwondo-Kämpfe. Fast so spannend war diese Schau. Denn nach dem Abschied von Virginie Viard im Juni steht Chanel ohne kreative Leitung da. Und siehe da: Die Kollektion ist auch ohne Chefin sommerlich leicht. Vielleicht zu klassisch? Aber wer bemerkt das schon unter dieser Kuppel?
Dries van Noten
Wenn der Designer geht, ist das ein Wendepunkt für jede Marke. Wenn ihr Gründer geht, kann es zum Desaster werden. Wie ist Dries ohne Dries? Das war die große Frage in Paris bei der ersten Schau ohne den belgischen Designer, der im Frühjahr nach 38 Jahren seinen Abschied verkündet hatte. Immerhin, es war ein Abgang mit Netz und doppeltem Boden: Das Designteam aus Antwerpen, das ihn vorläufig ersetzt, kannte die Koordinatoren, mit denen er seine Kollektionen plant: extravagante Stoffe, außergewöhliche Drucke und das lässige Zusammenspiel von femininen und maskulinen Looks.
Zarte Satinkleider, mit Spitze versehen, werden zu Anzugsjacken getragen, ein federleichter Rock mit Tierprint zur Bomberjacke. Dazu Umhängetaschen aus Pythonleder, die sich gut verkaufen werden, das dürfte den Mehrheitseigner Puig freuen. Van Noten, der versteckt im Publikum saß, applaudierte. Das ist Paris: Hier leben Marken weiter, auch nachdem Yves, Hubert, Coco und jetzt auch Dries gegangen sind.
Jil Sander
Die Kollektion von Lucie und Luke Meier für Jil Sander gibt Auftrieb: Nicht alles ändert sich zum Schlechteren. Die Gründerin der Marke reichte ihren Kundinnen vor vier, fünf Jahrzehnten Hosenanzüge, in denen sie eben nicht dem Bild des dekorativen Wesens entsprachen. Jil-Sander-Anzüge wurden zu Klassikern der Designgeschichte des vergangenen Jahrhunderts. Auch auf dem Laufsteg von Lucie und Luke Meier für den Sommer 2025 sind sie zu sehen. Zugleich ist die Emanzipation so weit vorangeschritten, dass auch der Jil-Sander-Mann sich heute wie selbstverständlich dekoriert – und zu Blumendrucken, Häkelmustern und silbernen Broschen greift. So schön ist Männermode.
Balenciaga
Demna tischt auf. Vor 35 Jahren, so erzählt es der georgischstämmige Designer nach seiner Balenciaga-Schau, saß er als Junge am Küchentisch seiner Oma, zeichnete Mädchen in Kleidern – und präsentierte seiner Familie eine gemalte Modekollektion. Daher lässt er seine Phantasiegestalten in Paris über einen riesigen Tisch laufen: teils im zarten Negligé-Kleid („habe ich vorher noch nie gezeigt“), teils in Bomberjacken („Cocooning, aber modernisiert“), mit hohen Kragen („wie bei den Medici“) oder als aufeinandergehängte Hügel von „clip-on garments“ („als Experiment, wie man Kleidung tragen kann“). Auch nach neun Jahren bei Balenciaga hat er die Lust am Ausprobieren noch nicht verloren. „Fashion needs to get fucked up“, sagt er backstage und lacht. Auch das ist ihm gelungen!
Loewe
Ein Hauch Historie ist auf den Laufstegen in Paris zu sehen. Bei Chloé wären da die verkürzten Jacken mit Schulterraffungen, die an die Mode zwischen dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert erinnern. Bei Loewe arbeitet Jonathan Anderson mit so viel Stoff, als wäre er ein Couture-Designer, der nach dem Zweiten Weltkrieg seinem Handwerk nachgeht – als Stoff kostbar war und sehr viel Stoff unbezahlbar.
Es muss ein paar Jahrzehnte her sein, dass ein Designer so dominant Reifröcke auf den Laufsteg gebracht hat, wie er das jetzt bei Loewe macht. Die floralen Drucke und Stoffe sind umso zarter. Anderson lädt Mode mit unglaublicher Spannung auf. Was genau sehen wir zum Beispiel hier? Ist das ein ausladender Rock oder die Hälfte einer Männerhose? Und dazu: Blazer, Hemd oder Lederjacke? Das Beste: Jonathan Anderson belässt es nicht beim schönen Konzept, sondern bringt das alles auch auf die Straße.
Chloé
Sie arbeitet anders als die meisten Anderen, das verrät Chemena Kamali mit einem Satz nach ihrer Schau für Chloé: „Ich überlege in Fittings, ob ich dieser Frau traue.“ Während sich andere Designer leicht in schönen Welten für Phantasiegestalten verirren, prüft Kamali ihre Stücke auf Alltagstauglichkeit. Das bedeutet auch, dass sie den Mut hat, Sommerkleider wie Sommerkleider aussehen zu lassen: Vorne sind sie kurz, hinten streifen sie den Boden. Darüber wirft sie leichte Jacken. Auch so kann der Sommer aussehen.
Prada
Es gehört zu Miuccia Pradas Spezialitäten, mit eigenen Regeln zu brechen. Die Segelschuhe, die sie vergangenes Jahr für Miu Miu gezeigt hat und die jetzt allerorten über den Laufsteg federn, vermeidet sie, natürlich. Dabei haben Miuccia Prada und ihr Ko-Designer Raf Simons die Trend-Schmieden Tiktok und Instagram im Blick. Der Gleichmacherei, die der Algorithmus serviert, bieten sie mit ihrer Kollektion über Mode im Informationszeitalter die Stirn. Rippstrick-Leggings mit Gürtelschlaufen zu Poloshirts folgen auf Haken-und-Ösen-Kleider, kaum ein Look gleicht dem anderen. Weil Menschen das entworfen haben – die sich selbst widersprechen. Uniform kann Prada übrigens auch.
Dior
Im Olympia-Jahr geht es um die Definition des Körpers. Da passte es, dass Maria Grazia Chiuri ihre Dior-Kollektion wieder im Musée Rodin zeigte, inmitten der muskulösen Körper aus Marmor und Bronze. Dazu eine Bogenschützin, die ihre Pfeile längs über den Laufsteg schoss. Auf den ersten Blick war es wenig Dior, kein New Look wie in den vergangenen Saisons. Auf den zweiten dann doch: Die modernen Amazonen in One-Shoulder-Bodys, sportlichen Hemdkleidern und Motorradjacken knüpfen auch an die Fünfzigerjahre an. Schon damals entwarf Christian Dior Skianzüge, Reitjacken und Badeanzüge.
Tory Burch
Diese Liste braucht auch eine amerikanische Marke. Zwar sind die Londoner und die New Yorker Modewochen schwach angesichts der Konkurrenz in Mailand und Paris. Aber wir wollen sie auch nicht ganz vergessen. Nur: Wen aus New York soll man nehmen? Tommy Hilfiger ist sehr zugänglich, Ralph Lauren sehr abgehoben – da bietet sich Tory Burch als idealer Kompromiss an. Sie hat nicht die verrückten „price points“ so mancher Designermarke. Und sie entwirft nicht mehr nur einfache Klassiker, sondern entwickelt ihre Looks wirklich weiter. Kein Wunder, dass ihr Unternehmen, das in diesem Jahr Zwanzigjähriges feiert, wächst: Sie kratzt schon an zwei Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr. Diese Frau weiß, wie man in Mode bleibt.
Valentino
Dieses Argument kennen wir: So läuft doch keiner rum! Mag ja sein, dass niemand auf der Straße so aussieht wie diese junge Frau auf dem Valentino-Laufsteg. Aber hier geht es um Imagebildung, nicht um ein konkretes Frühjahr, hier geht’s um Vorschläge, nicht um Vorgaben. Und überhaupt ist das, was wir hier sehen, ein grandioses Abbild dessen, was sich im Kopf des neuen Valentino-Designers Alessandro Michele abspielt. So wird am Ende niemand rumlaufen, aber allein für die Brokatjacke werden viele Frauen gerne ein paar 1000 Euro lockermachen. Und weil man mit einer so speziellen Kollektion in die Presse kommt, werden sich auch alle anderen Produkte des Hauses Valentino gut verkaufen: Taschen, Parfums, Schuhe. Schon deshalb hat sich dieser nerdige Look gelohnt. Und erst recht, weil es so viel zu sehen gibt.
Miu Miu
Das Beste kommt oft zum Schluss, auch beim Prêt-à-Porter. Dass sie einen mehrwöchigen Schauenmarathon durch New York, London, Mailand und Paris hinter sich haben, liest man in den glasigen Augen der Redakteurinnen. Und dann sitzen sie da bei Miu Miu, der zweiten Marke von Miuccia Prada, in einer der letzten Schauen der Saison, und werden plötzlich wach, reißen die Augen auf, zücken die Handys. Wieder war es einer der Höhepunkte einer mittelmäßigen Saison. Miuccia Prada spielte ihr großes Inventar an Ausdrucksmöglichkeiten aus: Miu Miu ist sexy, ohne anzüglich zu sein, sportlich, ohne auf olympisch zu machen, modisch, ohne dem Trend hinterherzulaufen. Lange graue Socken in High-Heels, tolle Farbkombinationen, bestickte weiße Röcke, schmale Bomberjacken: So kann die Saison gerne enden.