
Tina Roeder, Thilo Reich und Anton Rahlwes sind angetreten, Berlin auf die Landkarte des zeitgenössischen Designs zu setzen – mit der ersten Ausgabe der Conceptual Biennale im Berliner Stadtteil Lichtenberg. Drei Tage lang, von Donnerstag bis Samstag, zeigt Deutschlands erste Designbiennale ausgewählte Arbeiten zeitgenössischer Gestalter, aber auch Beiträge von Künstlern und Architekten. Inhaltliche Unterstützung kommt von einem international besetzten Beirat, der die Gründerinnen und Gründer berät.
Dass Berlin dringend auf die Landkarte des zeitgenössischen Designs gehört, davon sind die drei jedenfalls überzeugt. „Weil hier gerade sehr viel passiert“, sagt Tina Roeder, die Initiatorin der Biennale und ihre künstlerische und kuratorische Leitung. Bislang fehle jedoch ein Format, um die Vielfalt der Designszene zu zeigen. „In Berlin arbeiten ganz viele tolle Leute, die man aber immer nur im Ausland trifft, bei Reisen zu Messen oder anderen Veranstaltungen“, ergänzt Thilo Reich. „Dabei wohnen sie vielleicht nur zwei Straßen weiter.“ In Berlin gäbe es viele verschiedene „Bubbles“, Blasen, die sie mit der Biennale als Plattform vernetzen wollen. Reich ist selbst Architekt und Designer und verantwortet die Gestaltung der Ausstellung.
Es geht um Arbeiten mit konzeptueller Haltung
Der dritte im Team ist Anton Rahlwes, Journalist und Mitgründer der Designpublikation „the thing Magazine“. Die Biennale sei „in einer gewissen Weise eine Bestandsaufnahme“, so Rahlwes. „Aber wir behaupten auf keinen Fall, dass wir wüssten, was alles in Berlin passiert.“ Deswegen initiierten die drei Gründer im Vorfeld einen Aufruf, Beiträge für die Biennale einzureichen. Etwa ein Viertel der 66 gezeigten gestalterischen und künstlerischen Positionen stammt aus dem Aufruf, die anderen haben die drei Kuratorinnen und Kuratoren, Tina Roeder, Anton Rahlwes und Matylda Krzykowski, vorab ausgewählt.
Was es nicht zu sehen geben wird: herkömmliches Industriedesign, also Produkte, die in Serie hergestellt werden, wie Konsumgüter, Möbel, Fahrzeuge oder andere Alltagsdinge. Wie es der Titel der Conceptual Biennale andeutet, geht es den drei Gründern um Arbeiten mit konzeptueller Haltung. „Wenn das in Anführungszeichen klassische Design den Funktionalismus im Kern hat, ist es beim Konzeptuellen eher die Frage nach dem Purpose, die Sinnsuche“, erklärt Anton Rahlwes. „Also nicht das ‚Wie lösen wir etwas?‘, sondern ‚Wofür tun wir es eigentlich?‘“
Politische, gesellschaftliche und designhistorische Themen sollen verhandelt werden. „Das Wichtigste für uns ist, dass alle Besucher, ob Fachpublikum oder Berlinerinnen und Berliner, mitnehmen, wie eine konzeptuelle Gegenwartspraxis aussehen kann“, sagt Roeder, die 2023 die Gruppenausstellung „Conceptual Substance“ kuratiert hatte. Bei der Biennale dabei sind Architekturbüros wie Something Fantastic und Gonzalez Haase AAS, Gestalterinnen und Gestalter wie Soft Baroque, Studio OE und Lukas Wegwerth & Corinna Dehn oder Künstlerinnen wie Andrea Zittel oder Billie Clarken. Was sie verbindet: Sie sind Grenzgänger zwischen den Welten, unterwegs im Dazwischen. Denn der transdisziplinäre Ansatz ist neben dem konzeptuellen Denken ein Leitmotiv für die drei Biennale-Gründer.
Eine lange Treppe mit 199 Stufen
Auch der Spielort der Conceptual Biennale ist Teil der Ausstellung: Roeder, Reich und Rahlwes zeigen die Arbeiten in „San Gimignano Lichtenberg“. Der Komplex aus zwei ruinösen Betontürmen, den ehemaligen Silos des VEB Elektrokohle, dient heute Kreativen als Basis. Das Architekturkollektiv b+ hat einen der beiden Türme als Arbeitsort hergerichtet, das Erdgeschoss und eine Etage ganz oben dienen als Werkstatt und Büro. Dazwischen viel Leerraum und eine lange Treppe mit 199 Stufen. Für die Biennale-Gründer der richtige Ort, weil die Macherinnen und Macher hinter San Gimignano Lichtenberg denselben Ansatz verfolgten. „Exemplarisch und konzeptuell arbeiten, in eine Richtung, aber ohne vom Endpunkt her zu denken“, erklärt Anton Rahlwes. „Es geht um prozessorientiertes Miteinander, disziplinübergreifendes Arbeiten. Deswegen passt der Ort so gut zu dem, was wir mit der Biennale zeigen wollen.“
Die Nutzer des Turms räumen für die Dauer der Ausstellung ihre Flächen. Sowohl hoch oben im Turm als auch im Erdgeschoss werden Exponate zu sehen sein, auch der Außenraum zwischen Lagerhallen, Betonmauern und Gestrüpp wird bespielt. „Es war uns wichtig, einen Ort zu finden, der für Berlin steht. Der Bezug zu San Gimignano in der Toskana, die Ironie, die da drinsteckt“, sagt Thilo Reich. „Ein Ort, der stellenweise nicht schön ist, was Berlin auch nicht ist – aber spannend und aufregend.“
Tina Roeder sieht den Komplex in Lichtenberg als gutes Beispiel für adaptive Umnutzung. „Es ist progressiv und für die Zukunft denkend“, sagt sie. „Es ist ein architekturgeschichtlicher Ort wie das ICC oder das Eternithaus. Ein Ort, an dem Akteure aufzeigen, wie alternative Lebensweisen aussehen können.“