Was Alfred Hitchcock zu makaber fand

Die Musik eines Films bestimmt seine klangliche Identität. Vielfach ist sie das Erste, was einem beim Hören des Titels in den Sinn kommt, denken wir etwa an „Man with The Harmonica“ von Ennio Morricone aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder John Williams’ „Hedwig’s Theme“ aus Harry Potter.

Große Klassiker kennt jeder, die Motive und die Komposition haben sich genauso ins Hirn gebrannt wie Schlüsselszenen, tragische Wendungen oder Situationskomik. Die Gruppe der Film­musikbegeisterten ist aber freilich kleiner als die der Filmbegeisterten insgesamt. Auf 300 bis 400 Leute in Deutschland schätzt Sebastian Schwittay den harten Kern dieser eingeschworenen Gemeinschaft. Das will er ändern.

Schwittay gehört zum Filmkollektiv Frankfurt, einer kleinen Vereinigung, die drei- bis viermal im Jahr zu Veranstaltungsreihen ins Deutsche Filminstitut und Filmmuseum (DFF) am Frankfurter Schaumainkai einlädt. Die Filmmusik sei eine Kunstform, die oft nicht angemessen gewürdigt werde, sagt er.

Filme decken ein breites musikalisches Spektrum ab

Auch deshalb organisiert und kuratiert Schwittay immer wieder Veranstaltungsreihen zum Thema und konzentriert sich dabei auch auf Facetten aus den Nischen der Filmmusik. So wie aktuell. Mit seiner noch bis zum 29. März laufenden Reihe „The Replacement Business – Alternative und abgelehnte Filmmusik aus Hollywood“ will er nicht nur der Filmmusik an sich Aufmerksamkeit verschaffen, sondern auch nachzeichnen, welche Konflikte zwischen Produktionsgesellschaft, Regisseur und Komponist im Laufe einer Produktion mitunter auftreten können. „Die meisten Menschen kennen Filme nur mit der letztendlich verwendeten Musik. Dabei ist es häufig nur die zweite, und ursprünglich war die Musik eines ganz anderen Komponisten geplant“, sagt er.

Zwölf Filme von den Fünfzigerjahren bis in die Gegenwart hat Schwittay für seine Reihe herausgesucht, bei denen die Geschichte um die abgelehnte Filmmusik bekannt, also recherchierbar war und gleichzeitig auch veröffentlicht wurde. Ein halbes Jahr hat er daran gearbeitet. Die Filme decken musikalisch ein breites Spektrum ab: Sie reichen von Klassikern wie „2001: A Space Odyssey“ von Stanley Kubrick oder „Alien“ von Ridley Scott bis zu unbekannteren Produktionen. Gleichzeitig stehen sie exemplarisch für unterschiedliche Filmmusikepochen.

Sebastian Schwittay vom Filmkollektiv
Sebastian Schwittay vom FilmkollektivPrivat

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren hätten sich die Filmkomponisten etwa vielfach an Spätromantikern wie Richard Wagner oder Richard Strauss orientiert, sagt Schwittay. Später, in den Siebzigerjahren, sei die Filmmusik experimenteller geworden, mit Bezügen zu Schönberg etwa. „In den Achtzigerjahren kam dann der Pop stärker zur Geltung und wurde dominant.“

Spannend seien hier auch regionale Unterschiede. Ridley Scotts „Legend“ (1985), der letzte Film der Reihe, sei etwa mit zwei unterschiedlichen Filmmusiken erschienen, eine für den europäischen, eine für den amerikanischen Markt. Bei ersterer habe sich Komponist Jerry Goldsmith sehr klassisch am Impressionisten Claude Debussy orientiert, während die Musik in der amerikanischen Version von der Popgruppe Tangerine Dream geschrieben worden sei. „Das ist einfach was ganz anderes, zwei ganz unterschiedliche Filme“, sagt Schwittay.

Für jeden Film der Reihe hat er einen Referenten eingeladen, der die Geschichte der Musik zum Film berichten und die Konflikte und Gründe, die zur Ablehnung geführt haben, nachzeichnen kann. Die Abende erfreuen sich großer Beliebtheit. Für den Hitchcock-Film „Frenzy“, den dritten Termin der Reihe, war der Kinosaal des Museums Ende Januar gut gefüllt.

Referat ist detailreich, aber strukturlos

Fachmann Matthias Büdinger referierte über das Missverständnis zwischen dem Komponisten Henry Mancini und Hitchcock, das dazu führte, dass später doch Ron Goodwin, der auch für „Miss Marple“ komponiert hatte, engagiert wurde. Mancinis Musik war Hitchcock nach Einschätzung des Musikjournalisten Büdinger zu makaber.

Der Mann kennt sich aus, er liefert sehr detailreiche Fakten, trägt dabei aber leider ohne erkennbare Struktur vor. So geht der Bezug zu „Frenzy“ des Öfteren verloren, die vielen Fakten zu Kameramännern, Schauspielern, zur Biographie Hitchcocks, Goodwins und Mancinis, machen die Sache lang – vielen zu lang. Vor allem, weil alle darauf warten, endlich filmische Belege zu sehen.

Schließlich, nach einer guten Stunde, zeigt die Leinwand zweimal unmittelbar hintereinander die Anfangsszene von Frenzy, zunächst mit Mancinis Musik, dann mit der tatsächlich ausgewählten Musik Goodwins. Diese Gegenüberstellung ist hilfreich, kann man nun einmal wirklich nachvollziehen, was Büdinger versucht hatte nahezubringen: die Unterschiede in den eingereichten Kompositionen.

Nächster Film: The China Syndrome

So scheiterte zwar, zumindest an diesem Abend, die unzweifelhaft gute Idee und Kuratierung am Vortrag. Der nach der Anfangsszene mit Mancinis Musik gezeigte Originalfilm mit Goodwins Komposition aber bot schließlich die erwartet gute Unterhaltung. Besonders, wenn man schon seit Längerem nicht mehr im Kino war, um einen Klassiker anzusehen.

Nächster Termin ist ein Vortrag zur Musik des Katastrophenfilms „The China Syndrome“ (Regie: James Bridges) von und mit Michael Douglas (1979) am 19. Februar im DFF. Hier entschied sich Douglas erst in der Postproduktion gegen das von Michael Small komponierte Musikkonzept und für einen in Hollywood bis dahin sehr unkonventionellen Schritt: Der Score wurde ersatzlos gestrichen, auf Musik verzichtet der Film über weite Strecken komplett. „Das Resultat ist eine phänomenologisch besonders wirkungsvolle Atmosphäre der Anspannung, deren Ästhetik sich der Vortrag nähern möchte“, verspricht die Referentin des Abends, Bilquis Castaño Manias.