Warum wir einen Staatsvertrag für digitale Medien brauchen

Die Rundfunkkommission erarbeitet zurzeit in drei Arbeitsgruppen einen Digitale-Medien-Staatsvertrag. NRW ist als einziges Bundesland in allen drei Arbeitsgruppen vertreten. Mit welchen Themen befasst sich der Staatsvertrag?

Die Rundfunkkommission hat einen Zweistufenplan vereinbart. Themen, die zeitlich drängen und für deren Umsetzung Fristen bestehen, wollen wir zügig auf den Weg bringen. In einem zweiten Schritt widmen wir uns grundsätzlicheren Fragen unserer Medienordnung. Zum ersten Paket gehören die Umsetzung des European Media Freedom Act (EMFA), die Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung sowie die KI-Verordnung der EU. Wir werden den Vorrang europäischer Regulierung gegenüber dem Medienstaatsvertrag sicherstellen und die Zuständigkeiten der Landesmedienanstalten festlegen. Zugleich wollen wir den Einsatz von KI bei der Medienaufsicht regeln. In NRW wurde mit KIVI ein KI-Tool entwickelt, mit dem Verstöße gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag im Netz ausfindig gemacht werden können. Den KI-Einsatz wollen wir rechtlich klarstellen und konturieren.

Zwei Pakete, aus Sorge vor US-Reaktionen auf die geplante Verschärfung der Regulierung von Plattformen?

Diese Themen benötigen für eine gründliche Diskussion mehr Zeit als die Fragen, die im ersten Paket angegangen werden. Mit dem zweiten Paket sollen vor allem die kommunikativen Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft abgesichert werden. Dazu zählen die Rahmenbedingungen der Medien jenseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auch im Verhältnis zu den globalen Plattformen. Zu diesen gehören die Finanzierungsbedingungen für die privaten Medien, die Reform des Medienkonzentrationsrechts, die mögliche Durchbrechung der Dominanz globaler Plattformen durch Outlinks sowie die Weiterentwicklung der Regeln zur Auffindbarkeit von Inhalten. Im zweiten Paket werden wir aufzeigen, wie gegen Fakeaccounts und Bots vorgegangen werden kann, die die Wirklichkeit verzerren, welche medienrechtlichen Anforderungen beim redaktionellen Einsatz von KI erfüllt werden müssen und wie die Aufsichtsstrukturen und Verfahren bei den Landesmedienanstalten effektiver werden.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Für das erste Paket soll in diesem Sommer die Anhörung stattfinden, sodass die Ministerpräsidentenkonferenz im Herbst darüber entscheiden kann. Das zweite Paket könnte im ersten Halbjahr 2026 von den Regierungschefchefs beschlossen werden. Das ist für Medienstaatsverträge mit 16 Ländern Lichtgeschwindigkeit.

Die US-Regierung sieht die Regulierung sozialer Medien und von Plattformen als „Zensur“ an. Ist ein Kompromiss bei der Frage der Meinungsfreiheit mit den USA möglich?

Ich bin überzeugter Transatlantiker und noch immer davon überzeugt, dass uns mit den USA mehr verbindet als nur wirtschaftliche Interessen. Doch während ich bei ökonomischen oder finanziellen Streitthemen mit dieser Regierung allein schon wegen der zahlenmäßigen Zugänglichkeit Möglichkeiten für Kompromisse sehe, wird das bei der grundsätzlichen Frage der „freien Rede“ und der Meinungsfreiheit sehr schwer. Das berührt das Fundament der europäischen Identität und Rechtstradition, die Freiheit immer in Verbindung mit Verantwortung setzt. Dafür haben wir als demokratische Gesellschaften erfolgreich Regeln entwickelt, die in die digitale Zeit übertragen werden müssen. Hier einen Kompromiss zu finden, ohne diese europäischen Prinzipien infrage zu stellen, halte ich für schwierig. Deshalb ist es wichtig, dass wir das den Bürgern erklären und sie sensibilisieren, damit wir mehrheitlich ihre Unterstützung haben, wenn wir für diese Überzeugung gegebenenfalls auch einen Preis gegenüber den USA zahlen müssen.

Das bedeutet, weiterhin für die Regulierung von Plattformen und Social Media die europäischen Maßstäbe und Rechtsnormen anzuwenden?

Ich würde einen Schritt weitergehen. Die Normen, die etablierte Medien beispielsweise bei der Haftung, Verantwortung und Transparenz erfüllen müssen, müssen auch bei den digitalen Medien gelten. Als die Bundesländer mit dem Medienstaatsvertrag 2020 begonnen haben, die Intermediäre zu regulieren, gab es daran viel Kritik. Heute ist das eine der wichtigsten politischen Forderungen europaweit. Wir waren unserer Zeit voraus – was man über die Länder nicht oft sagt. Die Plattformen sind kein neutraler Infrastrukturanbieter, wie sie versuchen glaubhaft zu machen, sondern eine neue Art von Medium, das redaktionell eingreift. Sie organisieren Meinungsmacht und müssen deshalb auch reguliert werden. Wenn es in Europa die Rechtsauffassung ist, dass Aufrufe zu Straftaten ebenso rechtlich sanktioniert werden müssen wie beispielsweise Verleumdung, muss das selbstverständlich auch im Netz gelten. Daran müssen sich auch amerikanische Plattformen halten, ebenso wie europäische Medien die Regeln in den USA befolgen müssen.

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat ein Gesetz angekündigt, dass Plattformen zu einer Abgabe zwingt, die den deutschen Medien zugutekommt. Erübrigt sich damit weitere Regulierung?

Nein, denn ihren Einfluss auf die Meinungsbildung behalten die Plattformen weiterhin. Ich unterstütze den Vorschlag des Kulturstaatsministers ausdrücklich und freue mich, dass er dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag prioritär umsetzen will. Dort haben wir als Arbeitsgruppe auch festgehalten: Die Erlöse der Digitalabgabe sollen dazu genutzt werden, den Medienstandort zu stärken und die Medienvielfalt sichern zu helfen. Wir erleben seit Jahren, dass die Werbeetats durch Plattformen abgesaugt werden. Fast 50 Prozent des deutschen Nettowerbeumsatzes werden 2025 nach Schätzungen an Google, Meta und Amazon gehen. Google erwirtschaftet mit fast acht Milliarden Euro mehr als doppelt so viel wie die gesamte deutsche Fernsehbranche. Das zeigt, wie schwierig es für private Medienunternehmen geworden ist, ihre Inhalte zu refinanzieren. Wenn man die Sicherung der Medienvielfalt ernst nimmt, muss man die Plattformen daran finanziell beteiligen.

Eines der Themen des Staatsvertrags ist KI. Kann man auf diese Entwicklung noch regulatorisch Einfluss nehmen, oder ist die Messe gelesen?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist ein dynamischer Prozess. Auch die politische Diskussion ist deutlich schneller und intensiver geworden. Bei vielen Prozessen, etwa beim Urheberrecht, sind die Messen noch nicht gelesen. Sowohl auf Grundlage des Gesetzes über digitale Dienste (DSA) als auch des Digital Markets Act (DMA) gibt es erste Rechtsverfahren, weil Plattformen gegen die dort festgelegten Vorschriften verstoßen. Die Regulierung muss jetzt erst einmal wirken. Wenn dann dennoch Unternehmen die gesetzlichen Regeln nicht befolgen wollen, müssen wir die Sanktionen verschärfen. Das kann auch niemanden überraschen: Wenn Plattformen Selbstverpflichtungserklärungen widerrufen, provozieren sie, dass der Gesetzgeber zu verbindlichen Festlegungen kommen muss. Das machen wir jetzt. Wer nicht handelt, wird behandelt.

Warum befassen sich die Bundesländer mit diesen Themen?

In Deutschland liegt die verfassungsrechtliche Kompetenz für die Sicherung der Medienvielfalt und auch der Medienregulierung bei den Bundesländern. Damit sind die Länder auch für die Wirkung der digitalen Medien verantwortlich. Zudem besteht hier eine größere Nähe zu den Unternehmen und zu den Nutzerinnen und Nutzern. Die Zuständigkeit für Bildung im Allgemeinen korrespondiert natürlich mit der Notwendigkeit einer besseren Medienbildung. Landespolitiker können nach meiner Meinung besser als Bundespolitiker einschätzen, wie sich die Mediennutzung verändert – weil sie es durch alle Bereiche hindurch erleben. Wichtig ist, dass alle 16 Länder die Wirkung digitaler Medien einheitlich regeln und wir da, wo die Interessen des Bundes tangiert werden, zusammenarbeiten. So sind im Koalitionsvertrag die Positionen klar benannt, die die Länder und der Bund in Brüssel gemeinsam vertreten werden. Der Digitale-Medien-Staatsvertrag muss der nächste große medienpolitische Wurf werden. Wir wollen als Länder zeigen, wie die Sicherung der Medienvielfalt auch im Plattformzeitalter garantiert werden kann.