Das zeige doch nur wieder, was für eine Insel Europa sein könne, sagen die beiden bei einem Treffen fünf Jahre später, wieder in Mailand. Dieses Mal gelten die Designer aus Kanada, die meist einfach in die Schublade „Amerika“ gesteckt werden, als Stars in der Szene.
Wann sich die beiden getroffen haben? „Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Glenn Pushelberg und lacht. Ganz so lange sind sie noch nicht einmal auf der Welt, aber im Design, ganz weit gefasst, sind sie tatsächlich schon ein paar Jahrzehnte feste Größen. Getroffen haben sie sich 1972, beim Studium an der Ryerson-Universität in Toronto. Das schlossen sie 1976 ab, seit 1980 gibt es das Designer-Duo Yabu Pushelberg.
„Geplant war das nicht.“
Was heute gang und gäbe ist, dass zwei beim Gestalten zusammenarbeiten, war vor 40 Jahren noch die große Ausnahme. Nur Charles und Ray Eames kommen einem spontan in den Sinn, wenn auch nur als eine frühe Form der kreativen Zweiheit. „Geplant“, sagt George Yabu, „war das auch nicht.“
Die beiden trafen sich nach dem Studium auf der Straße eher zufällig wieder, und weil zwei Studios teurer waren als ein gemeinsames Büro, ergab sich ihr Zusammengehen wie von selbst. Es war aus finanzieller Not geboren, könnte man sagen.
Beide gingen dennoch zunächst getrennte Wege, die sich dann aber immer öfter kreuzten. Denn Kunden wollen nun einmal fristgerecht beliefert werden. „Wir halfen uns gegenseitig bei verschiedenen Aufträgen, vor allem wenn ein Abgabetermin anstand und selbst Nachtschichten nicht mehr ausreichten.“
Vier-Augen-Prinzip
So wurde nach kurzer Zeit aus George Yabu und Glenn Pushelberg einfach Yabu Pushelberg – oder noch kürzer: YP. Man sei organisch zusammengewachsen, sagt George Yabu. Glenn Pushelberg ergänzt: „Wir sind so einfach auch schneller. Man braucht ja nicht zwei Gehirne, um eine Sache zu erledigen.“ Außerdem sei es spannend, wenn zwei verschiedene Personen und vor allem Charaktere auf ein und dasselbe Ding auf unterschiedliche Weise schauen. So entwickle sich eine fruchtbare Dynamik.
Doch auch ihr Anfang war schwer. Das erste gemeinsame Projekt: ein Waschsalon. Dann ein koreanisches Restaurant. Danach ging es stetig nach oben, auch was die Höhe der Gebäude anging, an denen sie arbeiteten. Inzwischen planen, bauen und statten sie schon einmal 25 Hotels in 14 Ländern gleichzeitig aus. „Ein Hotelprojekt dauert mindestens sechs Jahre, manchmal auch zehn“, sagt Glenn Pushelberg. „In der Zeit ändern sich oft die Ansprüche und Vorstellungen der Auftraggeber, so dass immer wieder neu gedacht und angepasst werden muss.“
Bis heute sind die beiden auch Architekten und Innenausstatter. In New York, ihrer zweiten Heimat, trifft man alle paar Meter auf YP: Die Kundenliste allein im Big Apple ist lang und reicht von Bergdorf Goodman, The Fulton und Neiman Marcus über Carolina Herrera und Kate Spade bis zu Tiffany & Co. und Waldorf Astoria.
„Wir sind keine Stylisten“
Natürlich meldeten sich im Lauf der Jahre dann auch andere Konzerne aus aller Welt wie Louis Vuitton oder Moët & Chandon („Bar Berlin“ im KaDeWe). Nicht zuletzt deswegen werden YP oft als Luxus-Designer bezeichnet. „Ein furchtbares Wort“, sagt George Yabu. Anderen wiederum gelten sie als Stylisten, denen Dekor wichtiger ist als gutes Design. „Wir sind keine Stylisten“, sagt Glenn Pushelberg. „Niemand nennt uns so!“
Style aber, im Sinne von Stil, lässt er gerade noch gelten. „Allerdings“, wendet George Yabu ein, „werden ja vor allem Amerikaner als Stylisten abgestempelt, und dann ist das Wort ganz sicher negativ besetzt.“ Amerikaner seien überhaupt meist eher aufdringlich, findet er. „Gut, dass wir Kanadier sind.“
Nach seinem Empfinden ist Yabu auch kein Kanadier. Er bezeichnet sich als Japaner, der auf fremdem Boden geboren wurde. Damit will er sagen, dass er ein anderes Wertesystem hat, ein anderes ästhetisches Empfinden. Sein Vater baute einst Boote in seiner Heimat, später dann in Kanada. Auch seine Mutter ging früh von Japan nach Kanada, wo sich die beiden in Vancouver trafen. Im Krieg landeten sie in einem Internierungslager. Dann zog die Familie nach Toronto, wo George Yabu schließlich als jüngstes von sechs Kindern zur Welt kam.
Wurzeln in Deutschland
Glenn Pushelberg wuchs in Kitchener in Ontario mit drei Geschwistern auf, etwa 100 Kilometer südwestlich von Toronto. Die Stadt, die bis 1916 Berlin hieß, war lange die heimliche Hauptstadt der Deutschen in Kanada. Auch Pushelbergs Vorfahren kamen aus deutschen Landen. Mit 17 zog er nach Toronto und begann wie Yabu Interior Design zu studieren.
Aus den Studienkollegen wurden Bürogenossen, dann Freunde und schließlich Partner fürs Leben – auch privat. Heute pendeln sie zwischen Toronto und New York hin und her. In beiden Städten haben sie ein großes Studio mit jeweils rund 60 Angestellten.
Sie selbst haben keine eigenen Büros, nicht einmal einen Schreibtisch. Sie spazieren, wie sie erzählen, von Tisch zu Tisch und von Mitarbeiter zu Mitarbeiter, um die Projekte durchzugehen und zu besprechen. „Ich vergleiche das gerne mit einem Dirigenten, der seinem Orchester fast unmerklich Anweisungen gibt“, sagt Glenn Pushelberg.
Interior-Design mit jahrzehntelanger Erfahrung
Lange waren sie fast ausschließlich das, was sie vor einem Vierteljahrhundert auch gelernt hatten: Interior-Designer. Dabei ging oft unter, dass YP auch viele der Objekte und Möbel in den von ihnen ausgestatteten Wohnungen oder auch Hotelanlagen selbst entwarfen. So erklärt es sich, dass das Duo schon eine halbe Ewigkeit ebenfalls als Designer tätig war, ohne aber namentlich wahrgenommen zu werden. Das gelang erst Ende der Zehnerjahre, und dazu können Yabu Pushelberg auch eine hübsche Anekdote erzählen.
Erste Kontakte nach Europa waren schon geknüpft, ein Stuhl für die niederländische Marke Linteloo und ein Beistelltisch für das italienische Unternehmen Henge in Arbeit. Da kam es zu einem folgenreichen Treffen mit Carlo Molteni, einem der Schwergewichte der Branche. Im Gespräch ging es unter anderem um ein Sofa, das kein Geringerer als Jean Nouvel in den Nullerjahren für Molteni & C gestaltet und das etliche Preise gewonnen hatte: Skin. Das Besondere ist tatsächlich die „Haut“, die über ein Stahlrohrgestell gezogen ist.
In sie hat der Franzose mittels Laser geometrische Formen schneiden lassen, das Leder ist dadurch perforiert. Genau darüber machten sich YP beim Gespräch mit Carlo Molteni lustig. „Da verliert man ja sein Wechselgeld, wenn man sich aufs Sofa setzt‘, habe ich zu ihm gesagt“, erzählt George Yabu. Molteni habe, leicht unterkühlt, erwidert: „Wenn ihr meint, ihr seid so schlau, dann entwerft mir doch ein Sofa.“
Inspiration aus der Natur
Das taten sie, umgehend. Es entstand Surf, ein modulares Sofasystem, das mit seinen geschwungenen Formen an Wellen und an die Küste erinnern soll. Die Idee dazu kam ihnen, als sie in ihrem Strandhaus unweit von Montauk an der Ostspitze von Long Island aufs Meer hinaussahen. „Das Wasser, der Sand, der Strand, alles ist dort in Bewegung und verändert sich“, sagt Yabu. Das habe sie inspiriert.
„Wir leben auch anders als früher, ungezwungener“, ergänzt Pushelberg. „Möbel sind nicht mehr statisch, sie sind mit uns in Bewegung.“ Wichtig war ihnen, dass die Rückenlehne zugleich auch eine zweite Sitzfläche ist, auf der man sich leicht erhöht niederlassen kann.
Das Sofa, vorgestellt auf dem letzten Salone del Mobile vor der Corona-Pandemie, war ihr Durchbruch. Seither sind YP in Europa gefragt. Inzwischen haben sie neben Henge und Linteloo auch für Glas Italia, Lasvit, Salvatori, Stellar Works, Tai Ping, Tribù und Warp & Weft gearbeitet.
Sitzmöbel aus Handarbeit
Die belgische Marke Tribù ist ein reiner Outdoor-Spezialist. Für sie hat das Duo die Kollektion Elio entworfen, vor allem Sessel und Zweisitzer mit hohen Lehnen, die einen umschließen sollen wie ein Kokon. Dieser wird aus Tricord, einem mit Fasern ummantelten Polyester, von Hand geflochten.
Auch für Molteni & C entstand in diesem Jahr ein zweites Sofa, für den Außenbereich. Sway lässt sich dynamisch einsetzen, das modulare Programm besteht aus elf Elementen, die immer wieder neu angeordnet werden können. Auf dem Untergestell aus massivem Teakholz ruhen Sitzkissen aus Polyurethan, die geflochtenen Rückenlehnen sind aus Teakholz oder olivgrünem EVA-Polyurethan, einem biegsamen, aber nicht verformbaren Material, das auch Salzwasser widerstehen kann.
Für die tschechische Marke Lasvit entstand schon 2017 eine erste Kollektion, im vergangenen Jahr haben YP dann Musik und Glas auf wunderschöne Weise miteinander verbunden, zur Leuchte Miles. Das leuchtende Innere erinnert an eine Glaspfeife, mit der Glasmacher arbeiten, aber auch an eine Trompete. Das Werk ist eine Hommage an den Jazz-Trompeter Miles Davis.
Und was ist mit deutschen Marken? „Man of parts“, sagt George Yabu nach kurzem Zögern. Das kann man zur Not gelten lassen, das Unternehmen hat zwar seinen Hauptsitz in Toronto, wurde aber von dem Deutschen Stephan Weishaupt gegründet.
„Eggersmann“, fügt Glenn Pushelberg schnell hinzu. Deutscher geht kaum, schließlich ist Eggersmann, 1908 gegründet, die älteste deutsche Küchenmarke in Familienbesitz. Für das Unternehmen aus Hiddenhausen bei Bielefeld entwarfen Yabu Pushelberg eine Küche, die eher ein Kunstwerk ist, eine Skulptur im Raum. Die steinerne Insel mit der großen Platte, Nami genannt, ist in gewisser Weise auch funktional.
„Zum Kochen ist sie aber eigentlich nicht da“, sagt Yabu. „Sie ist eher ein Treffpunkt, ein Ort, der Menschen zusammenbringt, die sich unterhalten wollen. Was man eben heutzutage in einer Küche so macht.“ Das ist wohl auch ein globales Phänomen. Und so sehen sich YP auch: als globale Designer – mit kanadisch-amerikanisch-japanisch-deutschen Wurzeln.