Warum schon Kleinkinder zum täglichen Zähneputzen animieren? – Gesundheit

Nach langen Ermahnungen schiebt sich der Dreijährige die Bürste dann endlich in den Mund. Er fuhrwerkt ein bisschen mit ihr im Gebiss herum, ehe er entdeckt, dass sie prima zum Spielzeug taugt – mit vielen Verwendungszwecken, die nur leider alle nichts mit seiner Mundhöhle zu tun haben. Wenn es blöd läuft, fällt das Utensil zwischenzeitlich auf den Boden, ebenso wie der Zahnputzbecher mitsamt seinem Inhalt.

Das ist Alltag in vielen deutschen Badezimmern, der in den Köpfen der Eltern nicht selten die Frage aufkeimen lässt, ob es die ganze Mühe denn wirklich braucht – bei winzigen Zähnen, die ja doch wieder ausfallen? Soll man das Putzen nicht besser erst dann ernsthaft angehen, wenn die bleibenden Zähne kommen?

Fachleute können solchen Ideen nichts abgewinnen. Denn: „Ein Milchzahn kann genauso Karies bekommen wie ein bleibender Zahn“, sagt Christian Splieth, Leiter der Poliklinik für Kinderzahnheilkunde an der Universität Greifswald. Beim Milchzahn wirke sich die Erkrankung aber besonders unangenehm aus, da der Nerv in Relation zum Zahn größer ist als der des bleibenden Zahns. „Damit ist beim Milchzahn die Karies leider auch schneller am Nerv, es schmerzt früher und heftiger.“

Das ist keine Seltenheit: 13 Prozent aller Dreijährigen in Deutschland haben im Schnitt drei bis vier kaputte Zähne, sagt Splieth. Unter Sechsjährigen leidet knapp die Hälfte an Karies.

Die Jüngsten werden oft in Vollnarkose behandelt

Diesen Kindern setzt nicht nur akuter Schmerz zu.  Das Pochen im Mund kann den Schlaf beeinträchtigen und eine ausgewogene Ernährung behindern. „Gesunde Nahrung ist schließlich oft kauintensiv“, sagt Christoph Benz, Präsident der Bundeszahnärztekammer. Auch die Psyche kann leiden, wenn sichtbare Zahnschäden Ablehnung hervorrufen.

„Die Milchzähne sind zudem Platzhalter für die bleibenden Zähne“, ergänzt Benz. Müssen Milchzähne gezogen werden, rutschen die anderen in der Reihe auf. Damit ist später nicht genug Platz für die Folgezähne da. Dies kann schwierige kieferorthopädische Behandlungen nach sich ziehen.

Hinzu kommt, dass nicht nur die Erkrankung, sondern auch die Behandlung der Jüngsten mit besonderen Problemen einhergeht. Von einem kleinen Kind, das nicht einmal das Durchhaltevermögen für drei Minuten Zähneputzen aufbringt, kann man im Zahnarztstuhl erst recht keine Kooperation erwarten.

Viele der kleinen Kinder werden daher in Vollnarkose behandelt. „Eine Narkose ist im Großteil der Fälle sicher, in seltenen Fällen können Komplikationen auftreten“, sagt Benz. Allergische Reaktionen, Störungen des Herzrhythmus oder ein Verschluss der Atemwege seien beispielsweise nicht gänzlich ausgeschlossen.

Mit den Milchzähnen verschwinden nicht automatisch die Probleme

Ebenso wenig halten Experten von der Vorstellung, dass bei Kindern mit sechs Jahren die große Wende in Sachen Zahngesundheit komme. Dass die Mundhöhle dann quasi wieder auf Anfang gestellt werde und funkelnagelneue Zähne eine zweite Chance bieten, die die Kinder dankbar annehmen würden.

Zum einen wird ja nicht das ganze Gebiss schlagartig ausgewechselt. „Viele Menschen vergessen, dass Kinder sechs Jahre lang eine so genannte Wechselgebissphase erleben, während der die Zähne sukzessive ausgetauscht werden“, sagen Splieth. Damit stehen über Jahre alte und neue Zähne nebeneinander, was heißt, dass Kariesbakterien von vernachlässigten Milchzähnen leicht auf die bleibenden Zähne übergreifen können. Gerade geschädigte Zähne beherbergen viele dieser Bakterien. Neue Zähne, die in ein kaputtes Gebiss hineinwachsen, haben damit von Anfang an schlechtere Chancen.

Zum anderen sprechen Beobachtungen dafür, dass sich auch das zahnschädigende Verhalten der Kinder später in vielen Fällen nicht mehr ändert. Forschende aus der Türkei haben gezeigt, dass etwa die Hälfte aller Kinder, deren Milchgebisse aufwendig von sämtlichen Kariesläsionen befreit wurde, im Schulalter erneut Karies entwickeln. Das spricht dafür, dass sie vermutlich auch weiterhin ihrer Vorliebe für süße Speisen und Getränke nachgeben und es mit der Mundhygiene noch immer nicht sonderlich ernst nehmen. Insgesamt, so schätzen die Autoren eines Überblicksartikels, haben Kinder mit Karies in ihren Milchzähnen eine etwa dreimal so hohe Wahrscheinlichkeit, auch im bleibenden Gebiss Karies zu entwickeln, wie nicht betroffene Mädchen und Jungen.

Aus all diesen Gründen halten es Splieth und Benz für wichtig, dass Kinder schon sehr früh das Zähneputzen einüben. Die Dentalmediziner gehen davon aus, dass die Reinigung auf diese Weise leichter zum festen Ritual wird. Zudem werden Kinder offenbar auch besser in der Handhabung der Bürste, je mehr Gelegenheiten sie zum Üben haben. Eine Studie aus Israel zeigte, dass Kinder umso effektiver putzen lernen, je regelmäßiger sie die Zahnbürste verwenden.

Allzu große Erwartungen sollten Eltern von kleinen Kindern allerdings nicht haben. Selbst motivierte Jungen und Mädchen haben noch nicht die nötigen motorischen Fähigkeiten für eine einwandfreie Putzleistung. In der israelischen Studie schafften es bis zum Alter von sechs Jahren maximal 20 Prozent der Kinder, mit der Bürste in alle Bereiche des Mundes vorzudringen und dabei zehnmal über alle Zähne zu streichen – eine Fähigkeit, die als Top-Performance in Sachen Mundhygiene bewertet wurde.

Das bedeutet, dass Eltern bis zum 2. Lebensjahr die Zähne ihrer Sprösslinge selbst putzen und bis zum 6. Lebensjahr nachputzen sollten. „Das tun viele Eltern nicht“, sagt Benz.

Dennoch lohne sich die Mühe. Seit Jahrzehnten geht Karies in Deutschland zurück. Der Grund ist für die Experten in erster Linie eine verbesserte Mundhygiene, deren wichtigster Pfeiler ist, was irgendwann zum selbstverständlichen Ritual wird: morgens und abends mit fluoridhaltiger Zahnpasta etwa drei Minuten lang das Gebiss zu reinigen.