Sollte sich irgendjemand fragen, was 2025 in Mode war, können die berühmtesten Teile das eigentlich selbst beantworten. 2025 ist das Jahr, in dem die Mode zu uns sprach – erklärte, belehrte, manchmal auch brüllte. Es ist das Jahr, in dem die Aktivistin Luisa Neubauer im Januar zum Berliner Presseball in einem Kleid mit der Aufschrift „Hot, Hotter, Dead“ erschien und im Februar, zur Berlinale, in Anspielung auf die Brandmauer-Debatte im Bundestag mit einem anderen, auf dem vier Namen standen: „Donald & Elon & Alice & Friedrich?“. Im Mai trug die damalige Chefin der Grünen-Jugend, Jette Nietzard, auf einem Instagram-Selfie einen Pullover mit der Aufschrift „ACAB“; das Kürzel steht für „All Cops Are Bastards“. Im Juli musste dann die Linken-Abgeordnete Cansın Köktürk wegen „Palestine“ auf dem Shirt den Plenarsaal des Bundestags verlassen. Viele Promis liefen im Sommer in T-Shirts rum, auf denen „Protect The Dolls“ stand, um auf die Rechte von Trans-Menschen aufmerksam zu machen.
Viele Teenager und junge Erwachsene derweil trugen T-Shirts mit der unpolitischen und trotzdem plakativen Aufschrift „Slow Sunday Coffee Club“, wahlweise „Slow Sunday Driving Society“ oder „Sunday Running Club“. Auch auf Caps standen Bekenntnisse: „Work/Wine Balance“, „Out of Office“, „Vacances“. Auch diese Teile erklären die Welt – ein bisschen.

Und gerade das ist erstaunlich. Denn was bitte hat in Zeiten, da sich jeder über Social Media äußern kann, die Botschaft noch auf dem Medium Stoff zu suchen? Slogan-T-Shirts sollten ursprünglich mal jenen eine Stimme geben, die sich nicht so einfach zu Wort melden konnten. Vor Tiktok, X, Instagram und lange vor Facebook und Myspace war da gewissermaßen das T-Shirt.
„Slogan-T-Shirts gaben uns eine Stimme“
Die Designerin Katharine Hamnett nutzte es, als sie 1984 die britische Premierministerin Margaret Thatcher traf. Die USA hatten im Jahr zuvor Pershing-II-Raketen in Deutschland und Mitteleuropa stationiert, mehr als eine Million Menschen waren zu den Demonstrationen gegen den NATO-Doppelbeschluss zusammengekommen. In einer europaweiten Umfrage hatten sich 58 Prozent dagegen ausgesprochen. Und so stand es dann auf dem T-Shirt von Hamnett beim Treffen mit Thatcher: „58% Don’t Want Pershing“. „Es fühlte sich an, als hätten wir keine Stimme“, sagte Hamnett später in einem Interview über die Stimmung der Zeit. „Slogan-T-Shirts gaben uns eine. Auch auf Hunderte Meter Entfernung kann man sie sehen.“

Die britische Designerin Vivienne Westwood hatte zwar schon viele Jahre vorher mit Slogans gearbeitet, und in Amerika hatte man sich mit dem T-Shirt gegen den Vietnamkrieg ausgesprochen, aber in den Achtzigern, dem Jahrzehnt, in dem auch Markenlogos wichtiger wurden, war es von da aus nicht mehr weit bis zum Genre des Slogan-T-Shirts. Maßgeblich durch Katharine Hamnett, die auf diese Weise noch eine ganze Reihe weiterer Botschaften transportierte, war es etabliert. Auch die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer arbeitete mit ihnen. In den Nullerjahren nutzten Stars wie Britney Spears und Madonna das T-Shirt, um sich zu äußern, anstatt die Geschichten dem Boulevard zu überlassen – Erstere zur angeblichen Beziehung zwischen ihrem Ex-Freund Justin Timberlake und der Schauspielerin Alyssa Milano („Dump Him“), letztere zu ihrem Glauben an die Kabbala-Lehre („Cult Member“).
Vielleicht sind uns die Beispiele der vergangenen Jahre präsenter, aber es sind einige mehr: 2018 nahm Natalie Portman mit „Time’s Up“ auf dem T-Shirt Bezug auf die MeToo-Bewegung. 2020 äußerte sich Melania Trump mit „I Really Don’t Care Do U?“ auf der Jacke zur Kritik an ihrer Rolle als First Lady. 2021 kam Alexandria Ocasio-Cortez, die als Abgeordnete im amerikanischen Repräsentantenhaus einen New Yorker Wahlkreis vertritt, mit dem Slogan „Tax The Rich“ auf dem Kleid zur Met-Gala.
Heute gehört es offenbar dazu, seinen Standpunkt über Mode klarzumachen. Warum?
„Durch Kleidung wurde schon immer kenntlich gemacht, wo man steht“, sagt die Kunsthistorikerin Christina Threuter, die an der Hochschule Trier als Professorin Kunst-, Design- und Kulturwissenschaft lehrt. „Welcher sozialen Schicht man angehört, ob man Emanzipationsbestrebungen hat oder subkulturellen Bewegungen angehört. Schon in der Antike durften nur die freien Bürger – Männer wohlgemerkt – die Toga tragen, andere nicht. Und in der Zeit der Französischen Revolution machten die Sansculottes mit langen Hosen statt Kniebundmodellen kenntlich, wo sie standen.“
Im vergangenen Jahr hat Threuter mit ihrer Ko-Autorin Antonella Giannone, Professorin für Modetheorie an der Kunsthochschule Weißensee, ein Buch mit dem Titel „Protestkleider“ herausgegeben. Denn auch sie beobachtet, dass Slogan-Shirts immer beliebter werden. Heute gehört es offenbar dazu, seinen Standpunkt in dieser Form über Mode klarzumachen. Warum?
Warum müssen sich Läufer auf dem T-Shirt als Läufer outen, Kaffeetrinker als Kaffeetrinker, warum die Polizei verunglimpfen oder sich zu Palästina bekennen? „Weil man sich über Kleidung allein nur noch schwer abgrenzen kann“, sagt die Kunsthistorikerin. Wenn beinahe alles geht, wenn alle mehr oder weniger gleich aussehen, Rucksack und Sneaker immer und überall erlaubt sind, bleibt nur der Slogan als Bekenntnis zu einer Sache: „als Mittel, um sichtbar zu werden, sichtbar mit seiner Meinung“, sagt Threuter.

Es ist lange her, dass Frauen in Hosen oder Männer in Sneakers im Bundestag für Aufsehen gesorgt haben. Dass diskutiert wurde, ob die Krawatte Pflicht sein müsse oder nicht. Aufmerksamkeit erreicht man heute nur noch mit wenigen anderen Requisiten. Der Baskenmütze zum Beispiel, mit der Marcel Bauer (Die Linke) in diesem Jahr – im Mai – der laufenden Plenarsitzung verwiesen wurde. Auch der markige Spruch auf dem Shirt garantiert die Aufmerksamkeit mit großer Sicherheit, ohne sie geht es offenbar für einige nicht. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) monierte in einem Interview mit der F.A.Z. im November, dass der Bundestag für manche von der „Bühne der Demokratie“ zur „Bühne für Tiktok“ werde. Dabei handele sich hier doch um das „Parlament des Wortes“.
Bilder sind schneller transportiert und häufig eingängiger. „Wenn jemand schreibt, dann muss ich mich mit einer komplexen Struktur auseinandersetzen“, sagt Kunsthistorikerin Threuter. Bildgesteuerte Medien wie Instagram lenkten den Blick hingegen sofort auf die eine Sache. „So kann Kleidung eine große Aufmerksamkeit erzeugen.“
Nur: Ein Slogan-T-Shirt erlaubt keine Abwägung, keinen Raum für Ambivalenzen. Ein Slogan ist schwarz oder weiß, für eine Sache und damit gegen eine andere. Und ob es der Sache überhaupt hilft oder einfach nur den T-Shirt-Träger im Gespräch hält, ist fraglich. Wer meint, den Diskurs mit einem T-Shirt führen zu müssen, beendet ihn meist, bevor es losgeht. Auch damit könnte das wohl der Stoff von 2025 sein.
