
Ich habe das hier bisher noch nicht so kundgetan, aber diese Kolumne hat dazu geführt, dass mich ab und zu das Fernsehen anfragt, ob ich zu dem einen oder anderen aktuellen Thema etwas sagen könnte. Das kann ich natürlich – und ich mache das gerne.
Meiner leitenden Mitarbeiterin allerdings geht das zunehmend auf die Nerven, selbst wenn ich die Interviews in der Mittagspause gebe. Meine zentrale Aufgabe sei schließlich die Versorgung der Patienten und nicht das Auftreten vor der Kamera, schmetterte sie mir diese Woche entgegen, als ich mal wieder einem Interview zugesagt hatte. Okay, da hat sie einen Punkt, aber es gibt Themen, zu denen ich nicht schweigen kann. Das war auch diesmal der Fall: Das Fernsehteam befragte mich nämlich zum Thema „Primärarztsystem“.
Hinter dem Begriff steckt, dass Patienten zunächst immer zum Hausarzt gehen müssen, ganz egal woran sie leiden. Erst wenn dieser es für richtig hält, überweist er sie zum Facharzt. Einfach zum Beispiel zu verschiedenen Orthopäden zu gehen, ist dann nicht mehr möglich. Frauenärzte und Augenärzte sind von der Regelung ausgenommen.
Die Behandlung liegt in einer Hand
Nachdem der Patient beim Facharzt war, bekommt der Hausarzt die Befunde. So bleibt die Behandlung in einer Hand. Der Hausarzt soll den Überblick behalten, Doppelbehandlungen sollen vermieden werden. Facharzttermine werden nicht durch unnötige Konsultationen blockiert.
Die Diskussion über dieses System ist in den letzten Wochen immer weiter hochgekocht. Dazu muss man sagen, dass Deutschland eines der wenigen Länder in Europa ist, in dem Patienten überhaupt direkt zum Facharzt gehen können. In der Schweiz wird Patienten ein Rabatt von bis zu 20 Prozent bei den Versicherungskosten gewährt, wenn sie immer erst zum Hausarzt gehen.
Außerdem muss man wissen, dass auch der niedergelassene Facharzt nicht die Regelversorgung in Europa ist. In vielen Ländern ist der Facharzt ausschließlich in Kliniken tätig. Die ambulante Versorgung wird von den Hausärzten geleistet. Hierzulande hingegen hat der Patient im Schnitt nicht einen, sondern 1,3 Hausärzte.
Nicht nur deswegen sind viele Patienten von der Primärarztidee nicht angetan: Sie fühlen sich in ihrer freien Arztwahl eingeschränkt und haben das Gefühl, vom Hausarzt abhängig zu sein. Dass dieses System für sie viele Vorteile haben kann, sehen sie hingegen kaum. Dabei gibt es immer wieder schwere Nebenwirkungen und sogar Todesfälle, weil Medikamente kombiniert werden, die gefährlich sind.
Einen Lotse braucht jeder
Eine Diagnose beim Facharzt ist häufig nicht die Antwort auf all die Beschwerden, die ein Patient hat. Im Primärarztsystem sammelt der Hausarzt die Arztbriefe, Verordnungen und Befunde aller Fachärzte. Er kann sie zusammenführen und mit dem Patienten, den er oft schon lange kennt, alles besprechen und das weitere Vorgehen veranlassen. Der Hausarzt als Lotse im Gesundheitssystem ist eine gute Idee – und kann Leben retten. Ich glaube, die Vorteile müssen viel deutlicher kommuniziert werden.
Außerdem kann das System Abhilfe beim Ärztemangel schaffen. In den kommenden fünf Jahren gehen nämlich rund 20 Prozent der Hausärzte in den Ruhestand. Würde das Primärarztsystem konsequent durchgesetzt, hätte jeder Hausarzt mehr Kapazitäten, weil Patienten jetzt eben auch doppelt und dreifach zu unterschiedlichen Hausärzten gehen – nicht nur zu den Fachärzten. Also seien Sie dem System gegenüber erst einmal positiv gestimmt.
Ich wünsche Ihnen eine schöne sommerliche Woche. Und falls meine Mitarbeiterin mir erfolgreich den Zugang zum nächsten Fernsehauftritt versperrt, bleibt mir ja noch das Radio – das verrate ich ihr aber nicht. Herzlich, Ihr Landarzt