Warum es nicht immer eine gute Idee ist, sparsam zu sein

Spätestens als ich den Hotelmitarbeiter bitte, mir die Nachttischlampe zu zeigen, wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das grelle Deckenlicht finde ich so ungemütlich wie den Rest: Boden und Wände meines Zimmers sind mit einem Kunststoff ausgekleidet, der Wertigkeit und Dekoration suggeriert. Alles Attrappe, aber hey: Ich werde an diesem Abend in Ruhe lesen und über geschmackliche Zumutungen hinwegsehen. Ich Sparfuchs habe schließlich mit Absicht ein besonders günstiges Hotel gebucht. Dass Ästhetik und Komfort leiden würden, war bei 54 Euro eigentlich klar.

Dann aber drückt der Hotelmitarbeiter einen Schalter, und über dem Kopfteil des Bettes leuchtet eine Art großformatiger Bilderrahmen auf – in Blau. Gaming-Atmosphäre, zu dunkel zum Lesen. Okay, muntere ich mich auf. Ich kann auch mal einen Abend fernsehen. Als mein Blick aus dem Fenster fällt, wo auf der anderen Seite der Straße das Gebäude einer Hotelkette warmes Licht verströmt, spüre ich einen leisen Stich. Ich ärgere mich über mich selbst.

Sparsamkeit ist eine Art Superkraft – dachte ich jedenfalls immer

Ich bin ein grundsätzlich sparsamer Mensch und darauf fast ein bisschen stolz. Im Supermarkt bevorzuge ich Produkte der Eigenmarke, und wenn Auberginen zu teuer sind, koche ich halt etwas anders. Klamotten kaufe ich besonders gern im Sale. Nicht dass wir als Familie gezwungen wären, auf jeden Cent zu achten. Mir war es trotzdem immer wichtig, den Kindern einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geld vorzuleben. Sparsamkeit an der richtigen Stelle ist die Voraussetzung für Großzügigkeit und eine Art Superkraft. Wer vor langen Autofahrten Stullen schmiert und deshalb nicht im Rasthof überteuerte Pommes kaufen muss, kann es anderswo krachen lassen. Die schwäbische Hausfrau, das bin ich. Von mir könnten Haushaltspolitiker was lernen.

Aber man kann es auch übertreiben, denke ich, als ich auf die Fernbedienung drücke: „No signal.“ Warum halte ich mich eigentlich für eine besonders gute Mitarbeiterin, wenn ich auf Dienstreisen Kosten minimiere? No signal. Ich rede mir gut zu: Kettenhotels, die in jeder Stadt gleich aussehen, finde ich langweilig. Inhabergeführte Gasthöfe versprechen Lokalkolorit. No signal. Mein Kleinstadthotel heißt aber nicht „Zum goldenen Hirsch“, der Name klingt vielmehr nach einer Mischung aus Hautcreme und Fremdsprache. No signal. Ich hole den Hotelmitarbeiter, der in einem schäbigen, ansonsten leeren Gastraum vor seinem Lieferessen sitzt. Der Mann nimmt den Flachbildschirm von meiner Wand und hängt ihn schief wieder auf. No signal.

Nicht alles, was nach Hotel aussieht, verspricht eine ordentliche Übernachtung.
Nicht alles, was nach Hotel aussieht, verspricht eine ordentliche Übernachtung.Picture Alliance

Wofür gibt es WLAN, denke ich. Der Hotelmitarbeiter führt mich zu einem Zettel in dem muffigen, dunklen Flur, auf dem drei WLAN-Netze und ein Passwort stehen. Eines der Netze funktioniert, allerdings nicht in meinem Zimmer. Ich eile zurück in den schäbigen Gastraum. Gibt es vielleicht ein anderes Zimmer? Und bin ich hier eigentlich der einzige Gast? Der Hotelmitarbeiter reagiert nicht. Ich beschließe, im Gegenzug für meine Sparanstrengungen soll mein Arbeitgeber eine Runde mobile Daten spendieren. Auf dem Handy schaue ich die nächsten zwei Stunden fern.

Als ich ins Badezimmer will, flackert die Deckenlampe wie Stroboskoplicht. Und beim Händewaschen bekomme ich nasse Füße. Unterhalb des Abflusses rinnt das Wasser aus dem Rohr auf die Fliesen. Ich laufe in den Gastraum. Der Hotelmitarbeiter ist jetzt selbst einigermaßen fassungslos. Abhilfe weiß er nicht. Entschuldigung, sagt er: Der Manager schlafe schon, nachdem er in einem 24-Stunden-Marathon aus der Türkei zurückgekehrt sei. Auch er selbst komme gerade aus dem Urlaub und wisse nicht, was in seiner Abwesenheit passiert sei.

Als ich in den Gastraum stürme, halte ich plötzlich die Türklinke in der Hand

Mein sehnsüchtiger Blick aus dem Fenster trifft das Kettenhotel gegenüber. Was muss man eigentlich alles ertragen, wenn man auf Billo setzt? Ich kenne das schon: geschmacksneutrale Tomaten oder saurer Hummus und dieses schale Gefühl, an der falschen Stelle gespart zu haben. Meine Laufschuhe sind zu groß, weil dieses eine Restpaar runtergesetzt war. Gibt es eine Qualitätsuntergrenze für Schnäppchenjäger? Wo liegt die, wenn man auf einer etablierten Plattform ein Zimmer bucht? Wann wird Sparsamkeit zu Dummheit oder sogar Geiz, wofür man zu Recht bestraft gehört? Als ich in den Gastraum stürme, um mein Geld zurückzufordern, halte ich plötzlich die Türklinke in der Hand.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Um es kurz zu machen: Ich blieb hart. Der Hotelmitarbeiter stand um 22 Uhr mit ein paar anderen Schlüsseln vor mir. Er hatte seinen Manager geweckt, dem er daraufhin per Übersetzungs-App erklären musste, dass ich kein anderes Zimmer mehr wollte, sondern Kohle. Schließlich hatte ich inzwischen in der Dusche Zähne geputzt und wollte schnell ins Bett. Eine sanfte Erinnerung an die Macht von Internetbewertungen, und der Hotelmitarbeiter knickte ein. Ich durfte das nicht stornierbare Zimmer nachträglich stornieren. Noch vor dem Einschlafen schrieb ich die entsprechende Mail.

Für diesen absurden Abend war jeder Preis zu hoch

Fünf Tage später kommt eine schriftliche Antwort. Auf Türkisch. Keine Anrede, keine Unterschrift. Die KI übersetzt: „Ich habe nicht verstanden, was du geschrieben hast. Ja, es gab Probleme in dem Raum. Ich entschuldige mich . . . “. Ich drohe unverhohlen mit einer vernichtenden Bewertung. Die nächste türkische Antwort kommt schnell, darin die Zusage einer Rückerstattung. Aber auch die Anmerkung, ich hätte jederzeit ein anderes Zimmer haben können. Die KI übersetzt etwas von einer „Machtdemonstration“.

Am liebsten würde ich mich verteidigen. Offenbar hat der namenlose Absender einen wunden Punkt getroffen. Dabei geht es mir keineswegs darum, einen windigen Hotelbesitzer auffliegen zu lassen oder niederzuringen. Der gedemütigte Sparfuchs in mir erträgt es nicht, einen Fehler gemacht zu haben. Denn ich finde längst: Für diesen absurden Abend war jeder Preis zu hoch. Das heimelige Hotelkettenzimmer gegenüber hätte gerade mal 20 Euro mehr gekostet, und, ehrlich gesagt, schon anhand der Fotos hätte ich mein Hotel niemals buchen dürfen. Ich schäme mich, mir das einzugestehen: Aber manchmal machen mich Dumpingpreise blind. Also beharre ich auf der Erstattung dieser 54 Euro, für die ohnehin mein Arbeitgeber aufkäme. Aber ich will Genugtuung. Eine nachträgliche Rehabilitation der Schnäppchenjägerin: alles richtig gemacht. Wirklich Geld gespart.