Warum ein Social-Media-verbot für Kinder sinnvoll ist

Geht nicht. Also gibt’s das auch nicht. Sagt Markus Söder. „Totaler Quatsch“ und realitätsfremd sei es, Social Media für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren untersagen zu wollen. Ein Verbot von Instagram oder Tiktok mache die Netzwerke noch interessanter für die Jungen.

Die Idee, sie von diesen fernzuhalten, halte er für „ein bisschen altbacken, altmodisch und aus der Zeit“. „Die Meinung von Bayern und mir ist da sehr klar“, sagte er zu dem Vorstoß von Bundesfamilienministerin Karin Prien, eine Altersgrenze einzuführen: „Wir würden dem auch nicht zustimmen.“

Wer ist hier „aus der Zeit“ gefallen?

Altbacken, altmodisch und aus der Zeit ist allerdings nicht die Idee von Karin Prien, die der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, und die Bundesjustizministerin Stefanie Hubig schon ausgeführt haben und die als Allgemeinklausel im Koalitionsvertrag steht. Sie sind auf der Höhe der Zeit. Der bayerische Ministerpräsident ist hintendran, um nicht zu sagen: ignorant.

Wenn man wissen will, wie es gehen könnte, muss man über den Tellerrand und nach Australien schauen. Dort soll Ende des Jahres ein Gesetz in Kraft treten, das Jugendlichen unter 16 Jahren den Zutritt zu Social Media verwehrt. Treffen die Netzwerke dafür nicht ausreichend Vorkehrungen, drohen ihnen Strafen von bis zu 50 Millionen australischen Dollar (rund 28 Millionen Euro).

Australien findet technische Lösungen

Geht nicht, sagten die Social-Media-Konzerne, doch damit hatte die australische Regierung gerechnet. Sie setzte eine Untersuchungsgruppe ein, um herauszufinden, welche technischen Möglichkeiten es gibt, das Alter von Nutzern, die auf eine Plattform wollen, zu verifizieren. Und siehe da: „Altersbestimmung ist in Australien möglich und kann privat, robust und effektiv sein“, teilte, wie die Agentur Bloomberg berichtet, das Team des „Age Assurance Technology Trial“ am Freitag mit. Es gebe „keine bedeutenden technologischen Hindernisse“, um zu verhindern, dass unter Sechzehnjährige Konten in den sozialen Medien erhalten, sagte der Leiter der Untersuchung, Tony Allen.

Man habe die Expertise von mehr als fünfzig Unternehmen eingebunden, darunter Apple und Google, um Lösungen zu finden. Diese seien „technisch machbar“, könnten „flexibel in bestehende Dienste integriert werden“ und „die Sicherheit und die Rechte von Kindern im Internet schützen“. Man habe eine „Fülle von Ansätzen“ gefunden, dabei gehe es um die klassische Altersüberprüfung bei der Registrierung, elterliche Kontrolle, Rückschlüsse auf das Alter eines Nutzers, die man aus dessen Verhalten im Netz ziehen könne und Gesichtsscans.

Social Media ohne Grenzen für Kinder und Jugendliche ist keine gute Idee.
Social Media ohne Grenzen für Kinder und Jugendliche ist keine gute Idee.dpa

Wenn man will, geht es also. Und man sollte wollen, schaut man auf den Preis, den Kinder und Jugendliche und die gesamte Gesellschaft für die unbeschränkte Nutzung von Social Media zahlen. Auf Tiktok, Instagram, Facebook, Snapchat, Youtube und X finden sich bekanntlich nicht nur lustige Filmchen und Tanzeinlagen.

Sondern: Mord und Totschlag, Aufstachelung zu Gewalt, Frauenhass, Hass auf Schwule und Lesben, Mobbing, Antisemitismus, Rassismus, Islamismus, Nationalismus, Faschismus, Geschichtsklitterung, modern und cool verpackt. Kontrollieren und eindämmen lässt sich das kaum noch, in Deutschland und in der Europäischen Union ist das Bemühen, der Destruktion der Menschenrechte und der Demokratie Einhalt zu gebieten, unverkennbar. Doch ist die Politik auf die Mitwirkung der Social-Media-Konzerne angewiesen, und diese versagen in der Verantwortungsübernahme seit Jahr und Tag.

Wer seinem Kind heute ein Smartphone in die Hand drückt und denkt, es passiere schon nichts, entlässt es ungeschützt in eine von Erwachsenen geschaffene Gefahrensphäre ohne Grenzen. Damit ist die Kindheit beendet. Die Beispiele für negative Folgen, die Eltern kaum ausschließen können, sind Legion. Mit einem besonders grausamen befasst sich gerade die Polizei in Hamburg. Sie hat einen Zwanzigjährigen festgenommen, der zu dem weltweit verstreuten Netzwerk „764“ gehören und einen Dreizehnjährigen in den Suizid getrieben haben soll. Mehr als 120 Straftaten soll der Verdächtige begangen haben.

Gegründet hat den Sadistenring ein neunzehnjähriger Amerikaner, ihre Opfer fanden die Täter auf Telegram, Dis­cord, der Spieleplattform Roblox oder im Chat des Videospiels „Minecraft“. Wer glaubt, solchen Phänomenen mit dem Stichwort „mehr Medienkompetenz, mehr Medienbildung“ begegnen zu können, ist realitätsfremd und wählt die billigste aller Ausreden. Markus Söder sollte noch einmal darüber nachdenken, wer hier „altbacken, altmodisch und aus der Zeit“ ist.