
Die Notfallversorgung in Deutschland stößt an ihre Belastungsgrenze. Nicht nur in Hessen werden seit Jahrzehnten Reformen gefordert, nun sind auch auf Bundesebene die Weichen auf Veränderung gestellt. „Diesen Prozess wollen wir unterstützen“, sagt Claudia Ackermann, Leiterin des Landesverbands der Ersatzkassen (VDEK) in Hessen: „Denn Abwarten ist keine Option mehr.“
Um genauer zu beschreiben, wo sie Defizite sehen, haben die Verbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen Daten aus allen 25 hessischen Rettungsleitstellen ausgewertet und einen Prüfbericht vorgelegt. Ihr Fazit: Es sind insgesamt zu viele Leitstellen, sie sind teils technisch veraltet, und ihr Unterhalt ist zu teuer. In vielen Regionen passt der Zuschnitt der Rettungsdienstbereiche nicht mehr zu den tatsächlichen Anforderungen an eine moderne Notfallrettung. Was Notfallsanitäter in den Kreisen tun dürfen, kann sich je nach Leitstelle unterscheiden. All das gefährde die Patientensicherheit.
Wer prüft die Zweckmäßigkeit?
Einen solchen Prüfbericht hätten laut Gesetz eigentlich die Rettungsdienstträger, also Kreise und Kommunen, schon seit zwanzig Jahren vorlegen müssen, um mindestens die fachliche und wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der Rettungsdienstbereiche zu überprüfen, sagt Ackermann. Geschehen sei nichts. Da die gesetzlichen Krankenversicherungen und damit die Beitragszahler jedoch die Hauptlast der Kosten für den Rettungsdienst trügen, hätten sie nun die Zahlen erhoben.
Die Krankenkassen fordern vom Land und den Trägern des Rettungsdienstes Reformbereitschaft. „Es geht nicht um die Menschen, die im Rettungsdienst arbeiten, diese sind hoch motiviert und hoch engagiert“, betont Ackermann. Das größte Problem in der Notfallversorgung seien die fehlgeleiteten Patienten. Wer die 112 im ländlichen Raum wählt, gelangt zu einer Rettungsleitstelle, die kaum andere Möglichkeiten hat, als einen Rettungswagen loszuschicken. Eine Weiterleitung an einen ärztlichen Bereitschaftsdienst, der auch telemedizinisch helfen könnte, gibt es kaum. Denn in Deutschland müssen Betroffene selbst entscheiden, ob sie den Hausarzt, die ärztliche Bereitschaft unter 116 117, oder eben den Notruf wählen. In Ländern wie den Niederlanden oder Dänemark gebe es jedoch zentrale Leitstellen, sagt Axel Kortevoß vom VDEK, einer der Autoren des Berichts. Dort würden Notfallrettung und Gesundheitsberatung in einem System organisiert.
Lange gefordert: eine zentrale Gesundheitsleitstelle
Die Vision der Kassen: eine zentrale, virtuelle Gesundheitsleitstelle einzurichten, die Standorte miteinander vernetzt und Patienten besser in die richtige Versorgung lenkt. Dazu gehöre auch eine einheitliche Notrufabfrage mit telefonischer und telemedizinischer Betreuung. Die Leitstelle solle verbindliche Qualitätsstandards garantieren, etwa bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen, und helfen, echte Notfälle schneller zu erkennen.
Wenn nur noch wenige Leitstellen unterhalten werden müssten und die Zahl unnötiger Notarzteinsätze gesenkt werden könne, könnten Millionen Euro gespart werden, so der Bericht. Bei der Vorstellung des Prüfberichts zieht Kortevoß einen Vergleich mit Großbritannien: Dort würden 57 Millionen Einwohner von nur zehn Leitstellen landesweit versorgt, bei einer Hilfsfrist von sieben Minuten. Das heißt: Zwischen einem Notruf und dem Eintreffen der Helfer sollen nur wenige Minuten vergehen. In Hessen liegt diese gesetzlich vorgegebene Frist bei zehn Minuten. Für 6,4 Millionen Bürger stehen 25 Rettungsleitstellen bereit.
Ein weiterer Kostenfaktor sind die Gebühren der Notfallrettung, die sich landesweit deutlich unterscheiden, wie jüngst eine Auswertung der AOK Hessen ergeben hat. „Die Gebühren sind innerhalb von zehn Jahren – von 2015 bis 2025 – um 73,41 Prozent gestiegen“, sagt Isabella Erb-Herrmann, Vorständin der AOK Hessen, „die des Krankentransports sogar um 97 Prozent.“ Ein Durchschnittswert. Daneben gibt es auch noch Ausreißer wie den Kreis Groß-Gerau: Dort sei die Leitstellengebühr für einen Rettungs- und Notarztwagen je Einsatz von 45,50 auf 146,75 Euro gestiegen. Die Kassen müssten zahlen, ohne Verhandlungsoption, sagt Erb-Hermann.
Im Bund ist nach der Krankenhaus- und Pflegereform auch eine Reform der Notfallversorgung angestoßen worden. Die Pläne stammen noch vom ehemaligen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Darin enthalten: die Idee einer Akutleitstelle, also genau jener Zusammenlegung der Notrufnummern für den Rettungsdienst und die Ärztliche Bereitschaft, wie sie auch von den Ersatzkassen in Hessen vehement gefordert wird. Die Neuordnung der Leitstellen in Hessen sehen die Kassen als zwingende Voraussetzung für eine Reform der Notfallversorgung. Sie sehen das Land in der Pflicht, zu handeln – und die Investitionen in die geforderten technischen Neuerungen zu tragen.