

Herr Papsdorf, es gibt allerhand Widerstände gegen den digitalen Euro. Meinen Sie, dass der überhaupt noch kommt?
Tatsächlich sehen wir, dass es eine starke politische Unterstützung in den EU-Institutionen gibt: Staats- und Regierungschefs, die Europäische Kommission und der Rat befürworten das Projekt und viele Mitglieder des Europäischen Parlaments ebenfalls. Händler und Verbraucherorganisationen erkennen im Allgemeinen die Vorteile eines digitalen Euros als Ergänzung zu Bargeld und bestehenden Zahlungslösungen. Einige Banken haben spezifische Fragen aufgeworfen, was bei einem Projekt dieser Größenordnung selbstverständlich ist, und diese adressieren wir im kontinuierlichen Dialog. In der Projektphase, die im November begonnen hat, planen wir nun, die technischen Voraussetzungen für eine mögliche Einführung des digitalen Euros im Jahr 2029 zu schaffen. 2027 wollen wir ein Pilotprojekt mit ausgewählten Zahlungsdienstleistern und Händlern beginnen. Voraussetzung dafür ist, dass die entsprechende Regulierung im kommenden Jahr in Brüssel beschlossen wird.
Wie kann man sich den digitalen Euro dann vorstellen? Da habe ich eine App auf meinem Smartphone?
In der Regel würden die Menschen den digitalen Euro über eine Smartphone-App nutzen – entweder über die gewohnte Banking-App ihres Zahlungsdienstleisters, in die der digitale Euro integriert wäre, oder über eine Digitale-Euro-App, die vom Eurosystem zur Verfügung gestellt würde. Damit lässt sich online bezahlen, im Geschäft, im Internet oder zwischen Privatpersonen; Zahlungen wären auch offline möglich, direkt von Handy zu Handy auch ohne Internetverbindung oder während eines Stromausfalls. Wer kein Smartphone hat oder diese Option nicht nutzen möchte, könnte den digitalen Euro über eine Karte verwenden.
Zentralbanken stellen seit Jahrzehnten Zahlungsmittel zur Verfügung. Tatsächlich war im Retailbereich Bargeld – ein von der Zentralbank ausgegebenes Zahlungsmittel – bis vor Kurzem die dominierende Form. Parallel zum Bargeld stützten sich Zahlungen auf Geschäftsbankengeld, und noch heute gibt es ein gesundes Nebeneinander von Zentralbankgeld in Form von Bargeld und privatem Bankengeld. Dieses Gleichgewicht sollten wir bewahren – für die Freiheit der Menschen, selbst zu entscheiden, wie sie bezahlen, für das Vertrauen in die Währung und für die Stabilität des Finanzsystems. Damit dies gelingt, ist es entscheidend, dass die Zentralbank auch Geld in digitaler Form anbietet. Andernfalls wäre sie nicht in der Lage, Zahlungslösungen im E‑Commerce bereitzustellen, der heute etwa ein Drittel unserer Einkäufe ausmacht. Deshalb müssen wir als Zentralbank sicherstellen, dass Zentralbankgeld auch dann für alle im Retailbereich verfügbar und nutzbar bleibt, wenn die Bargeldnutzung zurückgeht. Dafür brauchen wir den digitalen Euro – digitales Zentralbankgeld.
Bislang ist es im elektronischen Zahlungsverkehr so, dass die Notenbank Zentralbankgeld für Banken zur Verfügung stellt, nicht aber für Unternehmen und Haushalte. Warum muss sich das ändern?
Was wir im Moment sehen, ist eine Digitalisierung im Markt. Die Präferenzen der Menschen verändern sich, und Bargeldzahlungen gehen im Vergleich zu digitalen Zahlungen zurück. Deshalb wollen wir den Markt mit einem digitalen Euro ergänzen. Er soll Bargeld nicht ersetzen, sondern Lücken schließen, die durch veränderte Präferenzen entstehen. So behalten Unternehmen und Haushalte den Zugang zu öffentlichem Geld. Sie sollen die freie Wahl haben und unabhängig sein von nichteuropäischen Anbietern.
Bisweilen ist die Rede davon, der digitale Euro werde eine Art Bargeld. Das ist aber doch Unsinn: Bargeld kann man anfassen, physisch irgendwo aufbewahren, seine Spuren sind nicht zu verfolgen. Der digitale Euro wird doch eher ein Musterbeispiel eines unbaren Zahlungsmittels, oder?
Für mich ist der digitale Euro der „digitale Zwilling“ des Bargelds. Wie Bargeld wäre der digitale Euro eine Verbindlichkeit der Zentralbank, die dem Bürger direkt zur Verfügung steht. Bei Offline-Zahlungen käme er der Privatsphäre von Bargeld sehr nahe: Die Zahlung funktioniert auch ohne Internet, und nur Zahler und Empfänger wissen davon. Zudem werden wir sicherstellen, dass der digitale Euro für jeden verfügbar ist und überall verwendet werden kann, wie Bargeld. Für Verbraucher soll das Bezahlen außerdem kostenfrei sein, ebenfalls wie beim Bargeld. Daher rührt die ökonomische Analogie, der digitale Euro sei „wie Bargeld“.
Wenn die Strafverfolgungsbehörden kontrollieren wollen, wohin digitale Euros geflossen sind, wird das möglich sein, oder?
Das würde über die Zentralbank direkt nicht möglich sein, da sie weder die Identität des Zahlenden noch des Zahlungsempfängers kennen wird. Zu jeder Zahlung läge der Zentralbank lediglich ein Code vor – eine Kennung, aus der sich nicht ableiten lässt, wer die Transaktion ausgeführt hat.
Aber die jeweilige Bank weiß es?
Die Banken und anderen Zahlungsdienstleister bleiben weiterhin an die Geldwäsche- und sonstigen Compliance-Vorgaben gebunden. Die entsprechenden Kontrollen fänden dort statt. Um die Vorgaben einzuhalten, müssen Zahlungsdienstleister die Identität ihrer Kunden kennen.
Wenn jemand seinen Handwerker schwarz mit digitalen Euros bezahlen will, wird er das nach Ihrer Meinung risikolos machen können?
Das Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und Datenschutz einerseits und Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung andererseits zu bestimmen, ist Sache des Gesetzgebers. Er wird die Obergrenze für Offline-Zahlungen festlegen und muss die Vor- und Nachteile abwägen. Dies liegt nicht in der Hand der EZB.
Was habe ich als Privatperson überhaupt davon, wenn es in Zukunft den digitalen Euro gibt? Ich habe doch eigentlich alle Zahlungsmöglichkeiten, die ich brauche, bar, Karte, Paypal, Klarna …
Sie nennen viele der heute gebräuchlichen Zahlungsmethoden. Unser Ziel ist hingegen die Vereinfachung: eine einheitliche, kostenlose Echtzeit-Zahlungsoption, die in allen Euroländern für alle Anwendungsfälle akzeptiert wird, einfach, zuverlässig und inklusiv ist und eine Offline-Lösung bietet. Eine solche digitale Lösung existiert bislang nicht. Wir brauchen sie, um den Zahlungsverkehrsmarkt im Euroraum zu vereinheitlichen. Dann können die Menschen weiterhin frei wählen, welche Lösung sie bevorzugen, aber wir müssen eine paneuropäische Lösung schaffen.
Die Banken entwickeln zusätzlich das Zahlungssystem Wero. Das ist schneller einsatzbereit als der digitale Euro. Wird man das irgendwie zusammenführen, oder werden das Konkurrenzsysteme?
Wir wollen nicht mit privaten Zahlungsanbietern konkurrieren, sondern den Markt ergänzen und so den gesamten europäischen Zahlungsverkehr stärken. Initiativen wie Wero und andere begrüßen wir. Doch auch wenn solche Angebote einzelne Länder abdecken, gibt es bislang keine Lösung für die gesamte Eurozone. Diese Lücke schließt der digitale Euro. Wir sind dazu im Gespräch mit den Banken und entwickeln gemeinsame, offene Standards für den digitalen Euro, die auch andere – einschließlich Wero – nutzen können.
Die Einführung des digitalen Euros wird viel Geld kosten. Als Verbraucher und Steuerzahler hat man immer die Befürchtung, dass das am Ende auf einen überwälzt wird. Wer wird nach Ihrer Einschätzung den Großteil der Kosten tragen?
Die Kosten sollte man einordnen. Für Verbraucher wäre der digitale Euro kostenlos. Für Händler fiele für Zahlungen eine Gebühr an, die jedoch niedriger sein soll als bei vielen herkömmlichen Zahlungsmethoden. Für Zahlungsdienstleister fielen Kosten an, aber auch Einnahmen und Innovationsmöglichkeiten, daneben soll es ein finanzielles Ausgleichsmodell unter Zahlungsdienstleistern geben. Ein Teil der Gebühr, die Händler tragen, geht an den Zahlungsdienstleister des Händlers; der andere Teil geht an den Zahlungsdienstleister des Konsumenten, wie es auch heute für Kartenzahlungen üblich ist. Die Entwicklungskosten würde das Eurosystem tragen, die voraussichtlich durch die Seigniorage des digitalen Euros ausgeglichen werden. Die geschätzten Entwicklungskosten bis 2029 entsprächen umgerechnet weniger als vier Euro je Einwohner des Euroraums.
In der Zeit der Negativzinsen wurde mal diskutiert, dass bei einer Umstellung von Bargeld auf digitales Zentralbankgeld auch die Cash-Bestände mit Negativzinsen versehen werden könnten. Halten Sie das für ausgeschlossen?
Der Gesetzesvorschlag für den digitalen Euro sieht vor, dass es keine Zinsen geben darf – weder positive noch negative.
Halten Sie es für realistisch, dass es Bargeld in aller Zukunft weiter geben wird – oder wird der digitale Euro doch irgendwann der Ersatz für das Bargeld werden?
Der digitale Euro wäre eindeutig eine Ergänzung zum Bargeld. Wir als Notenbanken werden weiter Bargeld bereitstellen und bereiten derzeit eine neue Serie von Euro-Banknoten vor – ein klares Signal unserer Bereitschaft. Außerdem begrüßen wir den Gesetzesvorschlag zur Stärkung des Bargelds, der mit dem Gesetzesvorschlag zum digitalen Euro vorgelegt wurde. Ob die Menschen Bargeld nutzen, können wir nur begrenzt beeinflussen; wir wollen die Wahlmöglichkeit schaffen.
