

Es war in der Woche, bevor meine Oma starb. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren noch einmal bei ihr zu Besuch. Wir spürten, dass es auf das Ende zuging. Weil sie zu wenig trank, fragte meine Schwester gegen Abend: „Oma, soll ich dir vielleicht noch einen Tee machen?“ Etwas irritiert schaute meine Oma uns an. „Tee? Ein Baileys wär mir lieber“, rief sie und lachte fröhlich.
Zur Hydrierung meiner Oma wird der Sahnelikör kaum beigetragen haben. Zu ihrem und unserem Wohlbefinden aber schon. Denn meine Oma liebte süßen Sahnelikör. Auch Eierlikör stand bei ihr hoch im Kurs. Aber nichts ging über ein leckeres Gläschen Baileys, das sie gern auch ihren Gästen anbot. Und Gäste hatte meine Oma oft im Haus. Sie bekamen je nach Alter und Gusto ein Tütchen Gummibärchen, eine Karlsbader Oblate, eine Tasse Kaffee – oder eben einen Baileys. Und ein offenes Ohr.
Die Gastfreundschaft und Lebensfreude meiner Oma haben mich inspiriert. Und auch mein Interesse für Menschen und ihre Geschichten habe ich mir von ihr abgeschaut. Bei einem leckeren Getränk konnte man sich mit ihr ebenso über die vertrackte weltpolitische Lage unterhalten wie über neue Urlaubspläne, das Thema der aktuellen Seminararbeit oder ihre Kindheit auf einem westfälischen Bauernhof. Sie hat mir wohl auch ihre Vorliebe für Baileys vererbt – oder ich trinke ihn heute so gern, weil er mich an sie erinnert.
Richtig irisch ist der Likör nicht
Die cremige Konsistenz von Sahne gepaart mit herbem Whiskey – einfach lecker! Das Geheimnis? Ich glaube, es ist die simple Zutatenliste, mit der man nichts falsch machen kann. Auch dann nicht, wenn man den Likör selbst zusammenrührt. Zum Beispiel als Mitbringsel zum Adventskaffee, falls es fürs Plätzchenbacken zeitlich nicht gereicht hat.
Benötigt werden 4 EL Espresso, 10 g Kakaopulver, 2 Packungen Vanillezucker, 70 g Puderzucker, 500 ml Sahne und 200 ml Whiskey. Alle nicht alkoholischen Getränke zusammenrühren und einmal aufkochen. Abkühlen lassen und Whiskey hinzugeben. In sterile Flaschen füllen und rasch verbrauchen.
Für das Original aus Irland verarbeitet der Hersteller mehr als 200 Millionen Liter Milch – das sind fast fünf Prozent der irischen Milcherzeugung. So richtig irisch ist das Getränk aber streng genommen nicht. Anfang der Siebzigerjahre erfand eine Gruppe Briten den Likör als Auftragsgetränk. Woher der Name kommt, ist bis heute unklar. Angeblich ließen sich die Erfinder von dem Namen eines Londoner Restaurants inspirieren. Ob der Likör dort später auf der Getränkekarte stand, ist nicht überliefert.
Auch zwei oder drei Gläser bescheren mir keinen Kater
Wobei Baileys vielleicht ohnehin eher auf die Speisekarte gehört. Baileys war für mich schon immer ein Nachtisch im Glas. Bereits zu Schul- und Studienzeiten bestellte ich mir gern einen Kaffeelikör auf Eis. Selbst der letzte Schluck Eiswürfelwasser erinnerte noch an die cremig-süße Sünde. Den angenehmen Kaffeegeschmack auf der Zunge radelte ich abends nach Hause und wusste: Auch zwei oder drei Gläser des Likörs würden mir keinen Kater bescheren. Sie würden mich aber auch nicht auf die Tanzfläche katapultieren. Und ich gebe zu: Im Sommer lag mein Baileys-Konsum oft auf Eis. Aber im Winter überredete ich auch die ein oder andere Freundin zu einem Gläschen – und zu einer Diskussion über Gott und die Welt.
Im Übrigen ist der Baileys gar nicht so ein Oma-Getränk, wie manche meinen. Stattdessen sollen 60 Prozent der Konsumenten jünger als 35 Jahre sein. Und: Es gibt viele Baileys-Fans auf dieser Welt. Jede Minute, so heißt es, werden auf der Welt über 2000 Gläser Baileys getrunken. Dazu tragen auch meine Familienmitglieder bei.
Zur Beerdigung meiner Großmutter brachte mein Onkel einige Flaschen mit. Seither stoßen wir bei Familienfeiern auf Oma Thea an. Wir nippen an einem Gläschen Baileys und erinnern uns an ihre Lebenslust und ihren aufmerksamen Blick für ihre Mitmenschen. Nächstes Jahr wäre meine Oma 100 Jahre alt geworden. Mein Onkel schmeißt in ihrem Haus eine Party für die ganze Familie. Dann heißt es wieder: Prost, Oma. Tee trinken wir wann anders.
