
Weltklasse-Sprinter Biniam Girmay gilt vielen afrikanischen Nachwuchs-Sportlern als Vorbild. Doch kommt der Radsport in Afrika wirklich voran? Es gibt Zweifel.
Es war der Moment, von dem Milkias Maekele schon lange geträumt hatte: Am Nachmittag des 14. Februar 2025 durfte der 19-jährige Radsportler endlich zum ersten Mal die Arme hochreißen, als er über die Ziellinie eines bedeutenden Radrennens fuhr. Der junge Eritreer holte sich den Sieg auf der 6. Etappe der Algerien-Rundfahrt, nachdem er an den Tagen zuvor gleich fünfmal auf Platz zwei oder drei gesprintet war.
„Milkias ist sicherlich eines der größten Radsporttalente Afrikas“, sagt Matthias Schnapka. Der Manager des Teams BikeAid, dem in dieser Saison neben Maekele noch zwei weitere Radsportler aus Afrika angehören, kennt die afrikanische Radsportszene ganz genau. BikeAid bestreitet selbst seit Jahren viele Radrennen in Afrika und ermöglicht regelmäßig einer Handvoll afrikanischer Talente Rennstarts außerhalb ihres eigenen Kontinents.
Viel Talent, wenig Fahrtechnik
„Es gibt in Arika viele Talente, die physisch einiges mitbringen. Weil sie aber kaum Gelegenheit haben, bei anpruchsvollen Rennen mit hochkarätiger Konkurrenz zu starten, fehlt es fast allen an Rennerfahrung. Daher haben die meisten eine – verglichen mit europäischen Fahrern – katastrophale Fahrtechnik“, sagt Schnapka.
Allerdings – so findet der Teamchef – geht es so ganz langsam bergauf in Afrika. „Immerhin ist es heute nichts Ungewöhnliches mehr, einen schwarzen Radsportler bei einem großen Event zu erleben.“ Diese Veränderung der Wertigkeiten spürte auch Merhawi Kudus. Kudus war in der ersten großen Stunde des afrikanischen Radsports dabei. 2015 trat er gemeinsam mit seinem Landsmann Daniel Teklehaimanot als erster schwarzer Sportler aus Afrika bei der Tour de France an. Teklehaimanot trug sogar für einige Tage das Bergtrikot der Tour.
Biniam Girmay – Boom in Eritrea
Kudus stammt wie Teklehaimanot aus Eritrea. Wo Radsport auch wegen der Verbindung zur ehemaligen Kolonialmacht Italien eine große Bedeutung genießt. Und wo Biniam Girmay zuletzt für einen regelrechten Radsport-Boom gesorgt hat.
Der Weltklasse-Sprinter, der 2024 drei Etappen bei der Tour de France gewann und am Ende das Grüne Trikot des Punktbesten ergattert hatte, gilt vielen Nachwuchs-Radsportlern aus dem kleinen ostafrikanischen Land als großes Vorbild. Über den Radsport einen Weg heraus aus der wirtschaftlichen Not finden – dieses Motiv treibt seit Girmays Erfolgen in Europa zahlreiche seiner jungen Landsleute an.
„Infrastruktur ist nach wie vor sehr schlecht“
„Maekele könnte der Nächste aus Eritrea werden, der es ganz nach oben schafft“, glaubt Matthias Schnapka. Für einen Radsport-Boom in Afrika hält der 44-Jährige die Zeit allerdings noch nicht für gekommen. „Dafür ist die Infrastruktur in Afrika viel zu schlecht. Und die Visabestimmungen der Länder machen es den allermeisten jungen Sportlern unmöglich, außerhalb ihres eigenen Landes zu fahren.“
Unterwegs bei der Tour of Tigray in Äthiopien
Im September wird die Radsport-WM in Ruanda stattfinden. Ein Hoffnungsschimmer. Erstmals findet dieses Event auf afrikanischen Boden statt. Allerdings, so glaubt Schnapka, ist Ruanda längst nicht mehr das Radsport-Vorzeigeland des Kontinents, als das es eine Zeit lang galt. Was nicht nur an politischen Problemen hängt – Ruanda wird vorgeworfen, im benachbarten Kongo eine Rebellentruppe militärisch zu unterstützen.
Ruanda – das einstige Vorzeigeland bröckelt
Auch die einst im Aufbau befindliche Radsport-Infrastruktur ist gewissermaßen wieder zusammengebrochen. Was mit dem Abzug von Jock Boyer und seinen Leuten zu tun hat. Der US-Amerikaner Boyer, ehemaliger Radprofi und einst erster US-amerikanischer Tour-de-France-Teilnehmer, siedelte 2007 nach Ruanda um und baute im Norden des Landes mit Hilfe potenter amerikanischer Sponsoren ein für afrikanische Verhältnisse erstklassig ausgestattetes Radsportzentrum auf.
Zahlreiche junge Radsportler erhielten eine gute Ausbildung, die daraus hervorgegangene ruandische Nationalmannschaft feierte erst Erfolge, Ruanda schien das afrikanische Radsport-Vorzeigeland werden zu können. Allerdings – entnervt von ewigen Konflikten mit Behörden und häufigen Korruptionsvorfällen innerhalb des Radsportverbandes, verlagerte Boyer nach zehn Jahren seinen Arbeits-Schwerpunkt, er verließ Ruanda.
Ein Trainingszentrum, das nicht mehr genutzt wird
Er gründete stattdessen mit „Africa rising“ eine gemeinnützige Organisation, die seither verschiedene afrikanische Länder und aufstrebende Talente in ihrer Radsportentwicklung unterstützt. Übrig geblieben in Ruanda ist ein ehemaliges Trainingszentrum, das heute kaum mehr genutzt wird. Und junge Sportler, die weitestgehend sich selbst überlassen sind.
Salim Kipkemboi, Radsportler aus Kenia (l.)
„Ich habe keine große Hoffnung in Bezug auf Ruanda“, sagt Matthias Schnapka heute. Für ihn ist eher Eritrea die derzeit spannendste Nation. Für BikeAid fahren in dieser Saison drei eritreische Talente – mit bereits 21 Fahrern aus 10 afrikanischen Ländern seit 2014, weiß das Team, welche Hürden damit verbunden sind.
Absprachen über Handy sind nicht möglich
„Ein afrikanischer Fahrer bedeutet für uns erheblich mehr Aufwand“, erklärt Schnapka. „Flüge, Visa, Unterkunft, Kommunikation – das ist eine logistische und finanzielle Herausforderung. In Eritrea gibt es kein mobiles Internet. Einfache Absprachen übers Handy? Fehlanzeige. Unsere Fahrer müssen in Internetcafés gehen, wenn sie uns kontaktieren wollen.“
Dennoch wollen er und seine Mitstreiter nicht aufhören, wenigstens einer Handvoll Talenten Jahr für Jahr eine Chance zu geben. „Wir stecken soviel Energie in den Radsport. Da möchten wir zumindest ein paar jungen Leuten aus Afrika die Chance geben, sich über den Radsport eine Brücke in eine bessere Zukunft zu bauen.“ Milkias Maekele könnte der nächste sein, der diese Chance nutzt.